Bonner Forscher kraxeln am Computer ins ewige Eis  

erstellt am
19. 01. 04

Detaillierte 3D-Simulationen können teure Expeditionen ergänzen
Bonn (universität) - Geländekartierungen erfordern Kondition und gutes Schuhwerk. Oder einen schnellen Rechner: Vom Turtmanntal im Wallis existiert inzwischen eines der detailliertesten digitale Höhenmodelle weltweit, in dem sich selbst Objekte von einem Meter Größe ausfindig machen lassen - ein Modell, das Wissenschaftler der Universität Bonn rege nutzen, um beispielsweise mehr über Geburt und Tod von Blockgletschern herauszufinden. Die vier Forscher im Graduiertenkolleg "Das Relief - eine strukturierte und veränderliche Grenzfläche" können so zumindest für Voruntersuchungen auf zeitraubende und teure Expeditionen vor Ort verzichten.

Die aus Luftaufnahmen gewonnenen dreidimensionalen Computergrafiken ermöglichen Einblicke, die man sonst nur vom Hubschrauber aus hat. Dabei hilft auch die so genannte Powerwall, ein modernes Visualisierungstool, das kürzlich an der Universität Bonn eingeweiht wurde und mit dem sich blitzschnell realitätsnahe 3D-Ansichten erstellen lassen. "Die Ausgangsbilder wurden übrigens mit einem Vorläufer der HRSC-Kamera aufgenommen, die momentan auf der Raumsonde ‚Mars Express' zum Einsatz kommt", erzählt Dr. Stefan Rasemann vom Graduiertenkolleg. "Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat aus diesen Daten dann das Digitale Höhenmodell berechnet, mit dem wir hier arbeiten." Ein Vorteil des Modells: Am Rechner lassen sich ganz gezielt interessante Punkte "anfliegen" und Details jederzeit stark vergrößern. "So können wir oft schon am Bildschirm auffällige Oberflächenstrukturen erkennen", ergänzt Rasemanns Kollege Jan-Christoph Otto.

Otto interessiert sich insbesondere für Schutthalden. "Die entstehen beispielsweise, wenn von Felswänden regelmäßig Gestein zu Boden fällt." Wenn Wasser zwischen die Steine dringt und gefriert, kann es das Geröll über die Jahrtausende wie ein Omelette zu einer harten Masse verbacken. Und wenn dann noch die Hangneigung stimmt, "fließt" der ganze Schutthaufen schließlich langsam talwärts: Ein Blockgletscher ist geboren.


Ein Sprinter ist so ein Blockgletscher nicht gerade: "Die Geröllmassen wandern selten schneller als einen Meter pro Jahr", so die Geographin Isabelle Roer. Der ständig nachbröckelnde Schutt sorgt dafür, dass der Nachschub nicht abreißt, so dass schließlich eine lange Geröllzunge entsteht. "Im 3D-Modell kann man diese Zungen sehr schön sehen und sogar die Längsfurchen erkennen, die entstehen, wenn der Blockgletscher an einigen Stellen besonders schnell wandert", freut sich ihr Mitstreiter Michael Nyenhuis. Dinge, die man sonst nur vom Hubschrauber aus in dieser Form sieht - zu Fuß ist man nämlich meist "zu nah dran", um den Überblick zu behalten.

Die Geoforscher untersuchen, wie und wo sich Blockgletscher bilden - und wie sie später wieder sterben. Wird es ihnen nämlich zu warm, schmilzt das Eis, und die Schuttzunge sackt in sich zusammen. Dabei bilden sich charakteristische Einbuchtungen, die zum Teil auch auf den Computerbildern zu erkennen sind. Zurück bleibt ein Blockgletscher-Fossil. Abgesehen von aktiven und fossilen Blockgletschern gibt es auch noch inaktive Zwischenstadien. Sie bewegen sich nicht mehr, enthalten aber noch Eis. Aus der Verteilung dieser drei Varianten wollen die Wissenschaftler unter anderem Rückschlüsse auf das Klima längst vergangener Jahrhunderte ziehen. Dazu kooperieren sie auch mit Forschern der Uni Zürich.

Bei allen Vorzügen: Die Expedition vor Ort lässt sich auf digitalem Wege nicht ersetzen. Aber selbst wenn sie es könnten, würden die Geographen wohl nicht darauf verzichten, ihre Untersuchungs-Objekte auch auf eigenen Füßen zu erkunden - schon aus purer Faszination: "Im Gegensatz zu Gletschern aus Eis sind das schließlich Gletscher mit Zukunft", scherzt Jan-Christoph Otto.
 
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