Mikroröhrchen zur Behandlung des grünen Stars  

erstellt am
20. 01. 04

Weltpremiere an der Augenklinik Jules Gonin in Lausanne
Lausanne (alphagalileo) - Der Augenmediziner André Mermoud von der Augenklinik Jules Gonin in Lausanne präsentiert eine Weltneuheit zur Behandlung des grünen Stars: Ein Röhrchen mit einem Durchmesser von nur 50 Mikrometern führt die Flüssigkeit ab, die zum erhöhten Augeninnendruck führt.

Bereits seit über hundert Jahren ist bekannt, dass der grüne Star (Glaukom) durch einen übermässigen Druck der Flüssigkeit zwischen der Linse und der Hornhaut entsteht. André Mermoud und sein Team von der Augenklinik Jules Gonin in Lausanne haben nun mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds eine Weltpremiere lanciert: Die Implantation eines winzigen Röhrchens ins Auge der Betroffenen. So kann die überschüssige Flüssigkeit abfliessen. Bis heute konnten zehn Personen von diesem völlig neuen Verfahren profitieren.

Das Video mit den Bildern der Operation ist sehr eindrücklich. Der Eingriff findet unmittelbar hinter der Iris statt. Durch ein Mikroskop 10-fach vergrössert erscheint die Klinge eines Diamant-Skalpells, das vom Chirurgen äusserst präzise geführt wird. Behutsam schneidet das Werkzeug eine Klappe mit vier Millimetern Seitenlänge in die Sklera, die derbe Lederhaut, die an die Hornhaut anschliesst und mit dieser die äusserste Schicht des Auges bildet. Durch das Wegklappen der Lederhaut wird der Schlemm-Kanal freigelegt. Seine Durchgängigkeit kann durch die Alterung der beteiligten Zellen beeinträchtigt sein. Dies verhindert das Abfliessen der überschüssigen Flüssigkeit, die zum Überdruck im Augeninnern führt.

Der Chirurge führt nun durch eine Nadel ein 3 Millimeter langes Mikroröhrchen ein, das im Durchmesser nur gerade 50 Mikrometer (50 Tausendstel Millimeter) misst und zur dauerhaften Verankerung mit einer hakenförmigen Spitze versehen ist. Auf diese Weise wird die Flüssigkeit in ein Reservoir geleitet, das durch die zu Beginn des Eingriffs in die Sklera geschnittene Klappe gebildet wird. Dazu wird die Klappe zurückgelegt und vernäht. Die kontinuierlich austretende Flüssigkeit kann nun vom Körper resorbiert werden. Die Operation dauert nur eine knappe halbe Stunde und wird unter Lokalanästhesie durchgeführt.
Diese Technik stellt einen Meilenstein in der Geschichte chirurgischer Eingriffe beim grünen Star dar. Das Problem ist nämlich altbekannt. Bereits im 19. Jahrhundert wurde der grüne Star behandelt, damals allerdings mit weit unsanfteren Methoden: Ohne Umschweife wurde ein Stückchen der Iris weggeschnitten und ein Loch ins Auge gebohrt. Die Folge war ein ebenso abrupter wie unerwünschter Zusammenbruch des Drucks.

Weiterentwicklung eines Verfahrens aus den 1990er Jahren
Mit der Implantation eines Röhrchens entwickelt André Mermoud ein Verfahren weiter, das er zusammen mit seinem internationalen Team Mitte der 1990er Jahre eingeführt hat. Bereits diese Methode ermöglichte eine weitgehend natürliche Regulation des Augeninnendrucks. Sie wird als tiefe Sklerektomie bezeichnet und heute weltweit von rund hundert Chirurgen angewendet. Wie bei der oben geschilderten Methode wird dabei eine Tasche eingerichtet, die als Reservoir für das überschüssige Kammerwasser dient. Statt durch ein Röhrchen tritt die Flüssigkeit aber direkt durch den chirurgisch präparierten Schlemm-Kanal aus.

«Bei diesem Teil des Eingriffs besteht ein hohes Risiko, dass die Membran, die den Kanal auskleidet, verletzt wird», erklärt André Mermoud. «Wir haben unsere Mikroröhrchen-Methode also entwickelt, um den Eingriff zu vereinfachen und einer möglichst grossen Zahl von Chirurgen zugänglich zu machen.» Ein weiterer Nachteil der tiefen Sklerektomie: Die im Innern des Reservoirs als Filter angelegte Membran wird in der Hälfte der Fälle mit der Zeit undurchlässig. Dieses Problem musste jeweils mit dem Laser korrigiert werden, was einen zusätzlichen Behandlungsaufwand darstellte.

Der Augenarzt räumt allerdings ein, dass sich die Implantation des Mikroröhrchens noch im Prototyp-Stadium befindet. Das verwendete Röhrchen ist in der gegenwärtig auf dem Markt erhältlichen Form etwas zu lang und der Haken reicht nicht ganz bis zur inneren Oberfläche der Hornhaut. Es sind deshalb noch Anpassungen erforderlich. Die Machbarkeit des Eingriffs konnte aber mehrfach gezeigt werden. Bei den zehn bisher behandelten Patienten hat sich der Augeninnendruck normalisiert. Und der einzige Hinweis auf den erfolgten Eingriff ist das Mikroröhrchen, das sich unmittelbar vor der Iris erahnen lässt. Aber nur wenn der Beobachter selbst genügend scharfe Augen hat, um dieses winzige Detail zu entdecken.

Mehr als 100.000 Betroffene in der Schweiz
In der Schweiz sind heute fast 100.000 Personen von einem Glaukom betroffen. Weltweit wird diese Zahl auf über 70 Millionen geschätzt. Im fortgeschrittenen Stadium wird der Sehnerv geschädigt, was zur Blindheit führen kann.

Wie es zu dieser Schädigung kommt, ist noch immer nicht vollständig geklärt. Der Sehnerv ist eine Leitung, die aus Tausenden von «Kabeln» besteht. Dort, wo diese «Kabel» vom Sehnerv in die Retina münden, werden sie stark gekrümmt. Diese Biegung ist die Achillesferse der Nervenzellen. Bei einem abrupten Anstieg des Augeninnendrucks können die Nervenfasern an dieser Stelle leicht brechen. Dies beeinträchtigt das Sehen.

Meist werden die Symptome erst relativ spät bemerkt. Betroffenen fällt zuerst eine Beeinträchtigung des peripheren Sehens auf. Sie können zwar nach wie vor Texte lesen, stossen sich aber immer häufiger an einer halboffenen Türe oder stolpern beim Treppensteigen. Ausserdem klagen sie über «blinde Flecken» in ihrem Sehfeld. Es handelt sich um gräuliche Zonen, in denen Gegenstände nicht erkennbar sind.

Nicht alle Menschen sind gleich anfällig für diese Krankheit. Auch genetische Faktoren spielen eine Rolle. Einen Einfluss hat dabei die ethnische Zugehörigkeit: Während in den westlichen Ländern rund 1 Prozent der Bevölkerung betroffen ist, beträgt die Häufigkeit in Asien 3 Prozent und bei gewissen schwarzen Völkern in der Karibik sogar bis zu 10 Prozent.
 
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