Graz-Seckau: Weit geöffnete Türen für den Dialog  

erstellt am
27. 01. 04

Das Thema »Schrift und Tradition« bestimmte das Ökumenische Wochenende im Bildungshaus Mariatrost
Graz (seckau) - Nicht ein Buch, sondern der lebendige Glaube der Kirche steht an erster Stelle – das betonte am ersten Tag des ökumenischen Wochenendes zum Thema „Schrift und Tradition“ im Bildungshaus Mariatrost in Graz der Dogmatiker Univ. Prof. Dr. Bernhard Körner. Im Glauben der Kirche sei die Bibel als Wort Gottes zur Heiligen Schrift der Christen geworden. Bezüglich der Gewichtung von Schrift und Tradition erinnerte Körner an das Zweite Vatikanische Konzil, das einen eindeutigen Schwerpunkt zugunsten der Heiligen Schrift setze: die Schrift ist Wort Gottes, um zum Heilsereignis zu werden, braucht sie aber den Prozess der lebendigen, von der Glaubensgemeinschaft der Kirche getragenen Weitergabe - die Tradition. Nach heutiger katholischer Auffassung habe die Tradition im Blick auf die Heilige Schrift nicht ergänzende, sondern den Sinn erschließende, auslegende und absichernde Funktion., so Körner. Wesentlich sei die Frage, wie das Wort Gottes als Offenbarung erkannt und gelebt werden kann – zum Heil aller.

Das Thema „Schrift und Tradition“ war seit Jahrhunderten immer wieder Streitpunkt der konfessionellen Auseinandersetzungen, wobei im ökumenischen Gespräch diesbezüglich merkbare Fortschritte zu verzeichnen sind. Die Direktorin der Österreichischen Bibelgesellschaft, Dr. Jutta Henner, referierte über alte Probleme und neue Perspektiven und erinnerte daran, dass es auch im Zeitalter der Reformation, als im Kampf gegen problematische kirchliche Traditionen unter dem Schlagwort „Sola sriptura“ die Heilige Schrift als alleiniges Kriterium der Wahrheit galt, nicht um einen traditionslosen Biblizismus ging. Vielmehr hätten die Reformatoren aus den Quellen der altkirchlichen Tradition geschöpft und deren Autorität außer Zweifel gestellt. In der Diskussion um Schrift und Tradition dürfe man auch die historische Dimension nicht außer Acht lassen. Die Schrift als ein historischer Text bedürfe u.a. auch der ergänzenden historischen Auslegung, sonst bestünde die Gefahr einer Fundamentalisierung ohne Fundament. Von Bedeutung seien heute auch die neuen Zugänge zur Bibel in den wachsenden Kirchen in anderen Teilen der Erde, wo der Text aktuell gelesen und unmittelbar erfahren werde und Anstoß für Veränderungen in der Gesellschaft gebe. Diese unmittelbare Erfahrung der Botschaft der Schrift im Hier und Heute dürfe man auch bei uns nicht aus den Augen verlieren.

Als „sperrig im Raum stehend“ sieht die evangelische Theologin das römisch-katholische Lehramt – auch in der Frage, wer in der Auslegung der Heiligen Schrift die Autorität hat. Bernhard Körner hatte in seinen Ausführungen auch auf das Lehramt als „dritte Instanz mit Letztentscheidung“ verwiesen. Nach katholischer Auffassung biete das Lehramt verlässliche Orientierung im Zusammenspiel mehrer Instanzen, zu denen neben Schrift und Tradition auch die Kirchenväter, die Heiligen und die Liturgie zu zählen seien.

Für die orthodoxen Christen ist eine Kirche ohne Wurzeln und Tradition überhaupt nicht vorstellbar. Univ. Prof. Dr. Grigorios Larentzakis sieht in der Rückbesinnung auf christliche Quellen eine selbstverständliche Verpflichtung. Tradition stehe nicht für die statische Übernehme und Übergabe der Glaubensform, sondern für dynamisches und lebendiges Wachstum. Der orthodoxe Theologe betont besonders auch die Bedeutung der Kirchenväter als „unersetzliche Zeugen der Frohbotschaft Christi“. Sie hätten auf die jeweiligen Probleme ihrer Epoche in der Sprache ihrer Zeit verständliche Antworten gegeben, sie stünden für Dynamik, Toleranz, und Anpassungsfähigkeit, wobei sie niemals das Wesentliche des Glaubens aufgaben. Auf der Betonung des lebendigen Glaubens, nicht auf dem Wort, müsse auch heute der Schwerpunkt liegen – denn „unterschiedliche Formulierungen können durchaus das Gleiche meinen.“

Als große Fortschritte im ökumenischen Gespräch, gerade auch in den Differenzen um das Thema „Schrift und Tradition“, wurden beim ökumenischen Wochenende die aus dem offiziellen Dialog zwischen evangelisch-lutherischem Weltbund und der Gesamtorthodoxie hervorgegangenen Dokumente gewürdigt, die auch im Dialog mit der römisch-katholischen Kirche einen wichtigen Beitrag leisten könnten. Larentzakis zeigte sich erfreut, dass die fundierten Ergebnisse dieses Dialogs endlich beachtet und ernstgenommen und als Ausdruck des gemeinsamen Glaubens weitergegeben werden, nachdem – wie er kritisch anmerkte – jahrzehntelang der Mantel des Schweigens über die Ergebnisse dieser Gespräche gebreitet wurde.

Superintendent Mag. Hermann Miklas würdigte die Veranstaltung als „Diskussion mit Ecken und Kanten“, die auch bei unterschiedlichen Meinungen keine Türen zugeschlagen, sondern neue Türen für den Dialog geöffnet habe.
 
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