Das Thema »Schrift und Tradition«
bestimmte das Ökumenische Wochenende im Bildungshaus Mariatrost
Graz (seckau) - Nicht ein Buch, sondern der lebendige Glaube der Kirche steht an erster Stelle –
das betonte am ersten Tag des ökumenischen Wochenendes zum Thema „Schrift und Tradition“ im Bildungshaus Mariatrost
in Graz der Dogmatiker Univ. Prof. Dr. Bernhard Körner. Im Glauben der Kirche sei die Bibel als Wort Gottes
zur Heiligen Schrift der Christen geworden. Bezüglich der Gewichtung von Schrift und Tradition erinnerte Körner
an das Zweite Vatikanische Konzil, das einen eindeutigen Schwerpunkt zugunsten der Heiligen Schrift setze: die
Schrift ist Wort Gottes, um zum Heilsereignis zu werden, braucht sie aber den Prozess der lebendigen, von der Glaubensgemeinschaft
der Kirche getragenen Weitergabe - die Tradition. Nach heutiger katholischer Auffassung habe die Tradition im Blick
auf die Heilige Schrift nicht ergänzende, sondern den Sinn erschließende, auslegende und absichernde
Funktion., so Körner. Wesentlich sei die Frage, wie das Wort Gottes als Offenbarung erkannt und gelebt werden
kann – zum Heil aller.
Das Thema „Schrift und Tradition“ war seit Jahrhunderten immer wieder Streitpunkt der konfessionellen Auseinandersetzungen,
wobei im ökumenischen Gespräch diesbezüglich merkbare Fortschritte zu verzeichnen sind. Die Direktorin
der Österreichischen Bibelgesellschaft, Dr. Jutta Henner, referierte über alte Probleme und neue Perspektiven
und erinnerte daran, dass es auch im Zeitalter der Reformation, als im Kampf gegen problematische kirchliche Traditionen
unter dem Schlagwort „Sola sriptura“ die Heilige Schrift als alleiniges Kriterium der Wahrheit galt, nicht um einen
traditionslosen Biblizismus ging. Vielmehr hätten die Reformatoren aus den Quellen der altkirchlichen Tradition
geschöpft und deren Autorität außer Zweifel gestellt. In der Diskussion um Schrift und Tradition
dürfe man auch die historische Dimension nicht außer Acht lassen. Die Schrift als ein historischer Text
bedürfe u.a. auch der ergänzenden historischen Auslegung, sonst bestünde die Gefahr einer Fundamentalisierung
ohne Fundament. Von Bedeutung seien heute auch die neuen Zugänge zur Bibel in den wachsenden Kirchen in anderen
Teilen der Erde, wo der Text aktuell gelesen und unmittelbar erfahren werde und Anstoß für Veränderungen
in der Gesellschaft gebe. Diese unmittelbare Erfahrung der Botschaft der Schrift im Hier und Heute dürfe man
auch bei uns nicht aus den Augen verlieren.
Als „sperrig im Raum stehend“ sieht die evangelische Theologin das römisch-katholische Lehramt – auch in der
Frage, wer in der Auslegung der Heiligen Schrift die Autorität hat. Bernhard Körner hatte in seinen Ausführungen
auch auf das Lehramt als „dritte Instanz mit Letztentscheidung“ verwiesen. Nach katholischer Auffassung biete das
Lehramt verlässliche Orientierung im Zusammenspiel mehrer Instanzen, zu denen neben Schrift und Tradition
auch die Kirchenväter, die Heiligen und die Liturgie zu zählen seien.
Für die orthodoxen Christen ist eine Kirche ohne Wurzeln und Tradition überhaupt nicht vorstellbar. Univ.
Prof. Dr. Grigorios Larentzakis sieht in der Rückbesinnung auf christliche Quellen eine selbstverständliche
Verpflichtung. Tradition stehe nicht für die statische Übernehme und Übergabe der Glaubensform,
sondern für dynamisches und lebendiges Wachstum. Der orthodoxe Theologe betont besonders auch die Bedeutung
der Kirchenväter als „unersetzliche Zeugen der Frohbotschaft Christi“. Sie hätten auf die jeweiligen
Probleme ihrer Epoche in der Sprache ihrer Zeit verständliche Antworten gegeben, sie stünden für
Dynamik, Toleranz, und Anpassungsfähigkeit, wobei sie niemals das Wesentliche des Glaubens aufgaben. Auf der
Betonung des lebendigen Glaubens, nicht auf dem Wort, müsse auch heute der Schwerpunkt liegen – denn „unterschiedliche
Formulierungen können durchaus das Gleiche meinen.“
Als große Fortschritte im ökumenischen Gespräch, gerade auch in den Differenzen um das Thema „Schrift
und Tradition“, wurden beim ökumenischen Wochenende die aus dem offiziellen Dialog zwischen evangelisch-lutherischem
Weltbund und der Gesamtorthodoxie hervorgegangenen Dokumente gewürdigt, die auch im Dialog mit der römisch-katholischen
Kirche einen wichtigen Beitrag leisten könnten. Larentzakis zeigte sich erfreut, dass die fundierten Ergebnisse
dieses Dialogs endlich beachtet und ernstgenommen und als Ausdruck des gemeinsamen Glaubens weitergegeben werden,
nachdem – wie er kritisch anmerkte – jahrzehntelang der Mantel des Schweigens über die Ergebnisse dieser Gespräche
gebreitet wurde.
Superintendent Mag. Hermann Miklas würdigte die Veranstaltung als „Diskussion mit Ecken und Kanten“, die auch
bei unterschiedlichen Meinungen keine Türen zugeschlagen, sondern neue Türen für den Dialog geöffnet
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