Wachstumsmotor in Osteuropa schaltet von Konsum auf Investitionen  

erstellt am
05. 02. 04

2003 dank privatem Konsum gut überstanden – Investitionen zünden 2004/2005 den Konjunkturmotor in den Beitrittsländern – EU-Fördermittel wirken unterstützend, deutliche Effekte erst ab 2005
Wien (ba-ca) - Die Länder in Zentral- und Osteuropa haben das wirtschaftlich schwierige Jahr 2003 gut überstanden. Seit Beginn der zweiten Jahreshälfte haben sich die Investitionen erholt und sind nun zunehmend die treibenden Kraft der Wirtschaft. Die Volkswirte der Bank Austria Creditanstalt (BA-CA) erwarten für die acht neuen EU-Mitglieder eine Beschleunigung des Wirtschaftswachstums von 3,6 Prozent (2003) auf 3,9 Prozent im Jahr 2004. "Positiv dabei ist, dass das Wachstum 2004 von einem Aufschwung der Investitionen begleitet sein wird, also von Ausgaben für die Zukunft", betont Marianne Kager, Chefökonomin der BA-CA. Dabei wird der Aufschwung der Investitionen in den kommenden Jahren durch die Bereitstellung von rund 23 Milliarden Euro EU-Strukturhilfe unterstützt.

Wachstum 2003 konsumgetrieben
Nach einem eher schwächeren Jahresbeginn 2003 hat sich die Wirtschaftsdynamik zum Jahresende hin deutlich beschleunigt. Dabei hat das kräftige Wachstum in den baltischen Republiken (4,4 Prozent in Estland und 7,5 Prozent in Litauen) den Durchschnitt nach oben gezogen.

In den fünf zentraleuropäischen Reformländern (Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik und Ungarn) war die wirtschaftliche Dynamik im Vorjahr mit 3,3 Prozent BIP-Wachstum geringer. In Ungarn und Slowenien hat die Zunahme des BIP um nur 2,8 bzw. 2,4 Prozent einen langjährigen Tiefstwert erreicht. In beiden Ländern haben sich die flauen EU-Märkte negativ auf den Außenhandel ausgewirkt. Der zunehmende Schwung des privaten Konsums in Slowenien bzw. die anhaltend hohe Konsumdynamik in Ungarn konnten diesen Dämpfer nicht vollständig kompensieren.

Auch in der Slowakei verringerte sich der Anstieg des BIP im Jahr 2003, allerdings auf einen noch immer beachtlichen Wert von mehr als 4 Prozent. Im Gegensatz zu Slowenien und Ungarn stützte sich das Wirtschaftswachstum hier auf eine erfolgreiche Exportentwicklung. Die Slowakei konnte dank ausländischer Direktinvestitionen, vor allem in die Automobilindustrie, Marktanteile gewinnen.

Primär vom privaten Konsum getragen, stieg das Wirtschaftswachstum 2003 in der Tschechischen Republik auf fast 3 Prozent. Deutlich zulegen konnte die Dynamik vor allem in Polen, dem Schwergewicht der Region. Der Anstieg des BIP kletterte nach Einschätzung der BA-CA-Experten von 1,4 Prozent im Jahr 2002 auf immerhin 3,6 Prozent im vergangenem Jahr. Zu dieser Verbesserung trugen vor allem die Stärke des privaten Konsums sowie das Exportwachstum bei.

2004 und 2005 übernehmen Investitionen die Motorfunktion
Für die neuen EU-Mitglieder rechnen die Ökonomen der BA-CA mit einer Beschleunigung des Investitionswachstums von 2,1 Prozent auf 6,7 Prozent im laufenden Jahr. Für 2005 wird ein Anstieg auf nahezu fast 8 Prozent prognostiziert.

Ein wichtiger Faktor der Investitionsentwicklung in den Ländern Zentral- und Osteuropas ist das Investitionsverhalten der großen internationalen Unternehmen. "Allerdings nicht so sehr wegen des hohen Volumens, sondern vielmehr aufgrund ihrer Initialwirkung und Multiplikatoreffekte", so Marianne Kager. "Im Zuge des Ausbaus der Präsenz der multinationalen Unternehmen nehmen die Reformländer am globalen Investitionsaufschwung überproportional teil. Das ermöglicht auch langfristig eine höhere Wachstumsdynamik", so Kager weiter.

Nach Einschätzung der BA-CA-Volkswirte wird sich das Wirtschaftswachstum in den neuen EU-Mitgliedsländern 2004 und 2005 aufgrund des weltweit verbesserten Konjunkturklimas und dessen positiven Auswirkungen auf die Investitionstätigkeit und den Außenhandel in der Region auf durchschnittlich 4 Prozent erhöhen. Die baltischen Staaten bleiben mit Zuwachsraten von 5 bis 6,5 Prozent Spitzenreiter. In Zentraleuropa kann sich Polen 2004 als dynamischste Volkswirtschaft mit einem Anstieg des BIP um mehr als 4 Prozent behaupten. Auch in allen anderen Ländern der Region wird ab dem laufenden Jahr das Wirtschaftswachstum voraussichtlich über der 3-Prozent-Grenze liegen.

Zusätzlicher Investitionsimpuls durch EU-Strukturfördermittel
"Der Aufschwung der Investitionen wird in den kommenden Jahren durch die Bereitstellung von rund 23 Milliarden Euro EU-Strukturhilfe unterstützt", meint Kager. Nach Berechnungen der Ökonomen der BA-CA entsprechen die Fördermittel 1,7 Prozent des jährlichen BIP der Region. Gemäß den Erweiterungsverträgen besteht für die zukünftigen EU-Mitglieder bereits seit Anfang 2004 die Möglichkeit, Nutzen aus den Struktur- bzw. Kohäsionsfonds zu ziehen.

Von der Gesamtsumme entfallen rund 15 Milliarden Euro auf die Strukturfonds, unter anderem zum Zweck der Regionalförderung. Die restlichen 8 Milliarden Euro stehen im Rahmen des Kohäsionsfonds zur Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen im Umwelt- und Transportbereich zur Verfügung.

Polen, das über 50 Prozent der Einwohner der aktuellen Erweiterungsrunde stellt, ist in absoluten Zahlen auch der größte Nutznießer mit einem Förderbetrag von insgesamt fast 12,5 Milliarden Euro, gefolgt von Ungarn mit 3,1 Milliarden Euro und der Tschechischen Republik mit knapp 2,5 Milliarden Euro.

Im Durchschnitt stehen rund 300 Euro pro Kopf zur Verfügung. Die baltischen Republiken profitieren mit einem Betrag von durchschnittlich mehr als 400 Euro pro Kopf am stärksten. In Zentral- und Osteuropa erhält Slowenien, das mit einem BIP pro Kopf von mehr als 70 Prozent des EU-Durchschnitts das derzeit höchste Wohlstandsniveau erreicht hat, die geringsten Finanzierungsmittel von knapp 200 Euro pro Einwohner.

Ausnützung der Fördertöpfe vorerst schaumgebremst
Generell dürfte die Absorptionsfähigkeit der Beitrittsländer vorerst eher gering sein. Erst ab 2005 ist damit zu rechnen, dass die Förderungen voll anlaufen, denn zum einen stellt der hohe bürokratische Aufwand bei Antragstellungen vor allem in der ersten Phase eine Hürde dar. Zum anderen wird die Wirkung auch durch die Notwendigkeit gedämpft, in den Budgets Platz für die Kofinanzierung, die in der Regel rund 25 Prozent aus heimischen Quellen erfordert, zu schaffen. Dennoch dürfte der EU-Beitritt im Mai ein wichtiger Faktor sein, der weitere Investitionen stimuliert. Die Ökonomen der Bank Austria Creditanstalt schätzen das Volumen der Anlageinvestitionen in den neuen EU-Mitgliedsländern über die nächsten drei Jahre auf rund 350 Milliarden Euro.

Ausblick
Hauptfrage für die weitere Entwicklung in Mittel- und Osteuropa ist, wie gut es den Beitrittsländern in den beiden kommenden Jahren gelingen wird, ihre Budgetdefizite zu reduzieren. Eine schwierige Aufgabe - umso mehr, als etliche Länder von Regierungen ohne parlamentarische Mehrheiten gelenkt werden. Die fiskalischen Probleme sorgten zuletzt in Ungarn und Polen für Unruhe auf den Finanzmärkten und führten zu einer Schwächung der Wechselkurse.

"Eine starke Verzögerung der Budgetkonsolidierung könnte zwar kurzfristig wegen höherer Staatsausgaben sogar wachstumsstützend wirken, später aber radikalere Sparmaßnahmen mit einer erheblich wachstumsdämpfenden Wirkung erfordern. Zudem würden die Kapitalmärkte eine solche Politik negativ bewerten, was hohe Volatilitäten zur Folge hätte", meint Kager abschließend.
     
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