Neues Europa bedarf noch vieler Lernprozesse  

erstellt am
03. 02. 04

Gesellschaftspolitische Tagung der Katholischen Aktion zum Thema Europa
Graz (diözese graz seckau) - Für eine Art Kampagne „Lerne den Nachbarn kennen“ plädierte der ehemalige Vizekanzler Erhard Busek bei der Gesellschaftspolitischen Tagung der Katholischen Aktion (KA), die gemeinsam mit dem Cartell-Verband ins Bildungshaus Mariatrost geladen hatte. Hier liege eine wichtige Aufgabe des Mitteleuropäische Katholikentages der im Bezug auf das Kennenlernen viel bewirken und zur Versöhnung beitragen könne. Für den erfolgreichen „Prozess Europa“ müsse man auf allen Ebenen öffentlich reden, wozu auch diese Veranstaltung ein wichtiger Beitrag sei.

„Altes, neues, vereintes Europa“, so der Titel der Tagung, die trotz der derzeit propagierten EU-Skepsis den Vortragssaal in Mariatrost an den Rand der Kapazität brachte. KA-Präsident Dr. Josef Wilhelm zeigte sich ob der großen Teilnehmerzahl erfreut, denn „wenn so viele mitdenken, mitdiskutieren und sich mit den anstehenden Fragen auseinandersetzen, wird ein wichtiger Schritt auf ein größeres Europa hin getan“. Bischofsvikar Prälat Dr. Willibald Rodler, der die Grüße von Diözesanbischof Dr. Egon Kapellari überbrachte, mahnte die Besinnung auf die Wurzeln ein, die für den Fortschritt ebenso wichtig seien wie das feste Fundament aus Glaube und Frieden.

Unter der Moderation von Kleine-Zeitung-Korrespondent Michael Jungwirth, der an die zahlreichen anstehenden Einschnitte in diesem „Schlüsseljahr in der Geschichte der EU“ erinnerte (Erweiterung um 10 neue Mitglieder, Erweiterung der NATO, Wahl des EU-Parlaments, neue EU-Kommission, Verfassungsvertrag...), wurde in allen Referaten deutlich, dass „der Lernprozess, was Europa bedeutet, noch in hohem Ausmaß nachzutragen ist“ (Busek). Das auf demokratischem Weg entstandene „Neue Europa“ brauche Zeit und erfordere viele Lernprozesse. Es fehle die Kenntnis der historischen Zusammenhänge, auch die Bewältigung der Ost-West-Trennung habe sich in den Gehirnen noch nicht ganz vollzogen. Während die Kultur längst europäisch sei, wie Busek an den Beispielen Salzburger Festspiele und Graz 2003 belegte, und auch im Bereich der Wissenschaft das gemeinsame Europa bereits stattfinde, hinke die Politik in diesem Entwicklungsprozess nach. Hier sei ein gewisser „nationaler Egoismus“ gegeben, der besonders auch im Bildungsbereich zum Tragen komme. Obwohl Bildung einer der wesentlichsten Punkte für ein funktionierendes neues Europa sei, sei dieser Bereich eine Schwachstelle, da es keine primäre Kompetenz der EU gebe, so der Referent.

Die Antwort auf die Frage „reine Zweckgemeinschaft oder auch „Wertegemeinschaft?“ ist für den Balkankoordinator der EU klar: Werte wie der Schutz des Lebens, die Achtung der Würde jedes Menschen, Solidarität...müssten in der europäischen Gemeinschaft selbstverständlich sein. Auch hier hofft Busek auf positive Wirkung des Mitteleuropäischen Katholikentages.

Dass die EU-Erweiterung manche Probleme aufwirft, wurde bei der Tagung weder in den Referaten noch in der angeregten Diskussion unter den Tisch gekehrt. Die neuen Mitglieder seien einem fundamentalen Wandlungsprozess unterworfen, sie müssten die Tiefenwirkungen des Kommunismus ebenso überwinden wie die Unterschiede in den Sichtweisen und Erfahrungen der Generationen, - der verarmten Älteren, die die Wende herbeigeführt haben und doch zu den großen Verlierern zählen und der Jungen, die sich selbstverständlich im neuen Raum bewegen und eine starke Bereitschaft zu kostenintensiven Investitionen haben.

Busek verglich das sich einigende Europa mit einem Dorf: es sei eine faszinierende Aufgabe, die Lebensbedingungen der Nachbarn durch aktive Nachbarschaftshilfe zu verbessern. „Denn wenn es dem Nachbarn gut geht, geht es mir auch gut“.

Dr. Barbara Coudenhove-Kalergi , Journalistin und Publizistin und profunde Kennerin des früheren Ostblocks, sprach in Hinblick auf schmerzende Begleiterscheinungen im europäischen Einigungsprozess vor allem den Konflikt zwischen Österreich und Tschechien an, der trotz ähnlicher Kultur und ähnlicher Interessen durch konkrete Probleme (Benes-Dekrete, Temelin) genährt werde. Die völlig verschiedenartige Wahrnehmung von Problemen könne nur durch kultiviertes Miteinander, durch gegenseitiges Zuhören und den Versuch, den jeweils anderen Standpunkt zu verstehen, relativiert werden. Anleihen aus der langen gemeinsamen Geschichte seien kaum förderlich und mit erhobenem Zeigefinger eingeforderte Schuldbekenntnisse würden die Aufarbeitung eher erschweren, so die langjährige Leiterin der Osteuropa-Redaktion im ORF. Hoffnungsträger sei vor allem die junge Generation, die auf beiden Seiten Begegnungen suche, Kontakte knüpfe und vernünftiger reagiere als die Politik und auf lokaler Ebene viel zum gegenseitigen Kennenlernen, zum Verständnis und zur Klärung der historischen Zusammenhänge beitrage.

Univ. Prof. Dr. Wladislav Bartoszevsky, ehemaliger polnischer Außenminister, merkte kritisch an, dass in Europa ein lang ausgerichtetes strategisches Denken fehle und Reaktionen auf konkrete Bedrohungssituationen noch weitgehend offen seien. Die Zukunft der europäischen Sicherheit sieht er in der engen Zusammenarbeit Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands und Polens. Im Hinblick auf die Kritik am Einsatz polnischer Truppen in der Irak-Krise vermisst Bartoszevsky die europäische Solidarität und stellt klar, dass Polen beste Beziehungen zu Europas Mächten suche, aber auch an Amerika als Verbündetem interessiert sei - eine Neuorientierung, die von allen parlamentarischen Parteien gemeinsam getragen und gerechtfertigt werde. Sowohl die transatlantische als auch die europäische Gemeinschaft müssten sachlich fundierte Meinungsverschiedenheiten vertragen, um einen breiten demokratischen Kompromiss zu erreichen. Dass aus Europa nach Vorbild der USA die „Vereinigten Staaten von Europa“ werden könnten, sieht der Pole als „virtuelle Idee“, deren eventuelle Verwirklichung unseren Urenkeln zu überlassen sei.
     
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