Rosetta Nr. 3 – Vom Mythos zum Forschungsobjekt  

erstellt am
24. 02. 04

Das Bild vom Kometen wandelt sich über die Jahrhunderte
Paris (esa) - Im Februar 2004 ist es soweit: „Rosetta“ startet ihre lange Reise durch unser Sonnensystem in Richtung des Kometen Tschurjumow-Gerasimenko. Zehn Jahre wird die ESA-Raumsonde benötigen bis sie ihr Ziel erreicht. Der Komet, der sich auf einer Ellipsenbahn um die Sonne bewegt, wird zum Zeitpunkt des Rendezvous 675 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt sein und sich damit nahe seinem von der Sonne am weitesten entfernten Punkt befinden. Die Position ist nicht zufällig gewählt: Zu diesem Zeitpunkt ist der Komet noch nicht wirklich aktiv und nur ein gefrorener Klumpen aus Eis und interplanetarem Staub - wahrschein- lich jener Materie, aus der vor viereinhalb Milliarden Jahren unser Sonnensystem entstand. Rosetta soll unser Wissen über diese seltsamen Körper in unserem Sonnensystem vertiefen.

Der Komet wird sich auf seiner weiteren Reise verändern. Gelangt er in die Nähe der Sonne, wird er - wie alle Kometen - aktiv: Durch die Strahlung der Sonne aufgeheizt, verdampft das Eis und reißt kleine Staubteilchen von der Oberfläche mit. Dadurch entstehen Koma (der Kometenkopf) und Schweif.

Für den Menschen sichtbar sind nur diese beiden Phänomene. Der eigentliche Kometenkern hingegen ist viel zu winzig, um von der Erde aus gesichtet werden zu können - bei Tschurjumow-Gerasimenko gerade einmal rund 4 Kilometer im Durchmesser. „Die Ausbildung von Schweif und Koma beim Vorbeiflug an der Sonne kostet einen Kometen mehrere Meter Dicke seiner Oberflächenmaterie“, erklärt Dr. Uwe Keller vom Max-Planck-Institut für Aeronomie in Kaltenburg-Lindau, der für die von Rosetta mitgeführte Kamera OSIRIS zuständige Wissenschaftler. „Bei einem kleinen Kometen wie Tschurjumow-Gerasimenko reden wir durchaus von einem Prozent Verlust der Masse.“ Da er alle 6,6 Jahre an der Sonne vorbeifliegt, sind seine Tage - allerdings nur nach kosmischen Zeitmaßstäben - gezählt.

Mystische Kometendeutung
Die sichtbaren Phänomene der Kometen haben die Menschen seit jeher fasziniert - und ihnen Angst gemacht. Auch heutzutage noch finden sich mystische Erklärungen für Kometen im Weltbild einiger Völker: Die Andamanen-Insulaner, ein Naturvolk in der Bucht von Bengalen, sehen in Kometen brennende Fackeln, die Waldgeister emporgeschleudert haben, um leichter jene Menschen zu entdecken, die sich nachts unklugerweise im Freien aufhalten. Einige Ureinwohner Australiens halten Kometen für Feuerstöcke, auf denen mächtige Schamanen reiten.

Der Versuch, das Phänomen „cometa aster“ („haariger Stern“) naturwissenschaftlich zu erklären, reicht zurück bis in die Antike. Dabei brachten die Menschen Kometen bis vor wenigen hundert Jahren mit atmosphärischen Vorgängen in Verbindung. Aristoteles (384-322 v. Chr.) beschrieb in seinem Buch „Meteorologika“ wie brennbare Gase aus Felsspalten entweichen und sich in den höchsten Schichten der sublunaren Welt („Welt unter dem Mond“) sammeln und dort entzünden. Eine schnelle Freisetzung dieser Gase führe zu einer Sternschnuppe, eine langsame bewirke einen Kometen. Aristoteles wusste es nicht besser - und war sich seiner begrenzten Fähigkeit zur Erkenntnis wohl bewusst. Er selbst gesteht: „Da wir über Kometen kein eigentliches sinnliches Urteil haben, muss ich zufrieden sein mit einer Erklärung, wenn diese nur nichts den bekannten Wahrheiten Widersprechendes enthält.“ Und solche Wahrheiten waren seinerzeit bekanntermaßen dünner gesät.

Kometen als Verursacher von Katastrophen
Auch der sich im Laufe der Jahrhunderte durchsetzende Umkehrschluss entsprach nicht ganz den Tatsachen: Kometen wurden nun ihrerseits für extreme Hitzeperioden verantwortlich gemacht. Die Naturphilosophen gingen noch einen Schritt weiter. Kometen - so sagten sie - führen zu Hitze, Hitze zu Stürmen und diese zu Naturkatastrophen. Der Römer Plinius der Ältere (geb. ca. 23 n. Chr.) beispielsweise klassifizierte zwölf verschiedene Kometen-Phänomene nach ihrer äußeren Erscheinungsform. Jeder Klasse ordnete er daraufhin eine Naturkatastrophe zu.

Das christliche Mittelalter sah in Kometenerscheinungen nicht mehr das blinde Wüten einer anonymen Natur, sondern interpretierte sie vielmehr als von Gott gesandte Zeichen. Theologen wie die heilige Hildegard von Bingen (1098-1179) oder Albert Magnus (1200-1280) beriefen sich auf die heilige Schrift. Bei Jeremias (Kap.1,11-12) ist zu lesen, dass Gott eine wachsende Rute, eine „Zuchtrute“, am Himmel erscheinen ließe, um seine Worte durchzusetzen. Bei Lukas steht in Kapitel 21,11: „Es wird gewaltige Erdbeben und an vielen Orten Hungersnöte geben und am Himmel wird man gewaltige Zeichen sehen“.

1066 sah man im Halleyschen Kometen den Vorboten der normannischen Eroberung Englands, bildlich festgehalten im Wandteppich von Bayeux, der die Schlacht von Hastings in szenischen Bildern aufzeichnet.

Den wesentlichen Beitrag zur Berichtigung des Fehlurteils, Kometen seien atmosphärische Erscheinungen, leistete der dänische Astronom Tycho Brahe im Jahre 1577. Er beobachtete von seiner Sternwarte in Uranienburg über zweieinhalb Monate lang den Zug eines Kometen am Himmel. Über das Phänomen der „täglichen Parallaxe“ - einer scheinbaren „Zitterbewegung“ der Himmelskörper, die im Standpunkt des Betrachters auf der sich drehenden Erde begründet liegt - konnte er nachweisen, dass sich der Komet jenseits der Mondbahn befinden musste.

Halley entdeckt elliptische Bahn
Den nächsten wichtigen Schritt auf dem Weg der naturwissenschaftlichen Beschreibung von Kometen verdanken wir dem britischen Astronomen und Physiker Edmond Halley, einem Freund und Förderer Isaac Newtons. Als er 1705 die Messreihen von Kometen untersuchte, stellte er fest, dass sich einige Kometenbahnen glichen: Seine eigene Berechnung der Bahn eines Kometen von 1682 stimmte mit den von Johannes Kepler im Jahre 1607 berichteten Daten sowie mit jenen von Apianus von 1531 überein. Er schloss daraus, dass verschiedene Kometenbeobachtungen ein und demselben Kometen zuzuschreiben sind - und behielt recht, als er die Wiederkehr des Kometen vorhersagte: Im Dezember 1758 wurde der fortan nach ihm benannte Komet erneut gesichtet und bestätigte damit seine These, dass scheinbare Parabelbahnen von Kometen „nur“ Teile einer riesigen Ellipsenbahn sind. Inzwischen konnten schriftliche Aufzeichnungen aus China im Jahre 240 v. Chr. als Sichtung von Halley identifiziert werden - bislang das älteste bekannte Dokument über dieses Phänomen.

Was in der Bibel als Zeichen Gottes erklärt wird, interpretierte Fred Hoyle, britischer Astrophysiker, als mögliche Erklärung der großen Zäsuren in der Geschichte. Er war der Auffassung, dass einschneidende Ereignisse wie das Aussterben der Mammuts auf Einschläge von Kometenteilen zurückzuführen seien. Dabei griff er die 1982 entwickelte These der britischen Astronomen Victor Clube und Bill Napier auf, dass ein riesiger Komet vor 15 000 Jahren von unserem Sonnensystem eingefangen worden sei. Die Trümmer dieses Kometen hätten in seiner periodischen Wiederkehr alle 1 600 Jahre einschneidende Zäsuren auf der Welt bewirkt. Auch Legenden wie die Sintflut könnten damit erklärt werden.

Ein „eisiger Matschbrocken“
Doch wie sieht der eigentliche Kometenkern aus? Eine erste Antwort auf diese Frage lieferte die Raumsonde „Giotto“ der Europäischen Weltraumorganisation (ESA). Sie wurde nach dem bedeutenden italienischen Maler Giotto di Bondone benannt, der auf dem Wandgemälde der Scrovegni-Kapelle in Padua Anfang des vierzehnten Jahrhunderts einen Kometen abbildete. Am 14. März 1986 gelang es der Sonde Fotos vom Kern des Kometen Halley aus nur 600 Kilometer Entfernung mit einer Auflösung im 100-Meterbereich aufzunehmen. „Durch die Mission mussten wir unser bisheriges Bild von einem Kometenkern als schmutzigem Schneeball revidieren. Die Bilder belegten, dass es sich vielmehr um einen eisigen Matschbrocken handelt“, erklärt Dr. Uwe Keller. „Der feste Anteil des Kerns ist bei weitem größer als der aus Eis.“

Kaum hatte Giotto jedoch sein elektronisches Auge auf den Himmelskörper gerichtet, war es auch schon vorbei mit der Bilderserie: Ein ungefähr ein Millimeter großes Staubkorn traf die Sonde. Da die Differenzgeschwindigkeit zwischen Sonde und Komet 68,4 Kilometer pro Sekunde betrug, genügte die Wucht der unfreiwilligen Begegnung, weitere Schnappschüsse zu vereiteln. Trotz beschädigter Kamera konnte die Mission fortgesetzt werden: Nach zweimaligem „Winterschlaf“ erfolgte der Vorbeiflug am Kometen Grigg-Skjellerup am 10.7.1992.

Völlig neue Erkenntnisse über Kometenkerne wird jetzt Rosetta liefern. Sie kreist in einer Umlaufbahn um den Kometen und setzt eine kleine Landesonde auf ihm ab. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wird damit ein Komet auf dem Weg zur Sonne „live vor Ort“ untersucht.
     
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