»Wegen einer Predigt ins KZ«  

erstellt am
09. 03. 04

3000 Priester als Häftlinge in Dachau
St. Pölten (diözese) - Die Rolle der Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus ist für viele auch heute noch ein Reizthema. War die Kirche nun Helfer oder Opfer? Der in Rom arbeitende Theologe Manfred Wendel-Gilliar hat in minutiöser Kleinarbeit aus den Häftlingslisten und Diözesan- bzw. Ordensarchiven Lebensdaten und Dokumente über die 3000 allein im KZ Dachau inhaftierten Priester und Ordensleute zusammengetragen. Auch in der Diözese St. Pölten hat er recheriert. Besonders beindruckend ist ein Nachruf auf den Groß-Siegharter Stadtpfarrer Richard Fraszl, der im Diözesanarchiv St. Pölten erhalten ist.
Pfarrer Richard Frasl, KZ Häftling (1898 – 17.4.1945)

Die Gefangenentransporte aus Österreich kamen gewöhnlich an jedem Freitagabend oder Samstagabend im Konzentrationslager Dachau an. Die SS-Wachmannschaften trieben die Häftlinge, die noch ihre verschmutzten und zerknitterten Zivilkleider trugen, mit Schimpfkanonaden und Fußtritten von dem offenen Lastauto herunter, in dem sie vom Münchner Polizeigefängnis nach Dachau befördert worden waren. Nachdem sie vor den Baracken der „Politischen Abteilung“ des Lagers, das war das Gestapokommissariat, aufgerufen und abgezählt worden waren, jagte man sie durch das Lagertor zum Badehaus und hier blieben sie bis zum nächsten Morgen, an dem sie dann durch das Schurhaus gingen, das heißt, kahl geschoren, desinfiziert, gebadet und uniformiert wurden. Danach waren sie dann keine Menschen mehr, sondern nur mehr Nummern, die Nummern, die sie sich an die Fetzen nähen mussten, mit denen man sie bekleidet hatte.

Es war streng verboten, mit den Neueingelieferten, den so genannten „Zugängen“ an jenem ersten Abend, an dem sie im Badehaus kampierten, in Verbindung zu treten. Trotzdem tat man es, versuchte es wenigstens, und derjenige, der es immer tat, war unser Kamerad Richard Frasl. An jedem Freitagabend nach dem Lagerappell, wenn die Häftlinge auf ihre Blöcke marschiert waren und dort das karge Nachtmahl verzehrt hatten, steckte sich Frasl ein paar Stücke Brot, die er sich von seiner Ration abgespart hatte, und ein paar Zigaretten in die Tasche und wanderte vom Sechzehnerblock, auf dem er hauste – dem so genannten Pfarrerblock, weil nämlich hier alle inhaftierten Geistlichen zusammen gefasst waren - ,zum Badehaus, um nachzusehen, ob „Zugänge“ aus Österreich angekommen waren.

Er war ein hochgewachsener Mann, mit breitem, kantigem Bauerngesicht, zu dem die gütig leuchtenden Augen und seine tiefe, beruhigende Stimme überraschend kontrastierten. Er ging mit nonchalanten Schritten die Lagerstraße hinunter, nicht wie ein Gefangener, sondern wie ein Herr, der in den Abendstunden noch einen Spaziergang zu unternehmen pflegt, blieb hier und dort bei einem Häftling stehen, plauderte mit ihm ein paar Worte und sein unbekümmertes Lachen schallte durch die Pappeln, mit denen die Lagerstraße zu beiden Seiten umsäumt waren. Dann ging er über den weiten Appellplatz, bis er endlich im Badehaus angekommen war.

Wegen einer Predigt ins KZ
Das saßen sie oder standen herum, die Elenden, die monatelang in den Gestapogefängnissen gepeinigt worden waren, die einen grauenvollen Transport hinter sich hatten … von Wien bis in das Stadtgefängnis von Salzburg, wo sie in verschmutzten Zellen zu Hunderten zusammengepfercht übernachten mussten auf der nackten Erde oder auf stinkenden, von Ungeziefer wimmelnden Strohsäcke. Von Salzburg nach München in das Polizeigefängnis, wo es nicht besser war, und weiter in das Lager. Da saßen sie und blickten mit angstvollen Augen jedem entgegen, der das Badehaus betrat. Denn sie fühlten noch die Fußtritte und Rippenstöße, mit denen die traktiert worden waren. Der Hunger wühlte in ihrem Gedärm. Was würden sie jetzt noch alles zu ertragen haben an Qualen und Erniedrigungen? Nun öffnete sich die Tür und in das Dämmerlicht des Badehauses trat ein hochgewachsener Mann in der blau-grau-gestreiften Häftlingsuniform und schien so frisch und munter, wie einer, der sich nirgends so wohl gefühlt hatte, wie hier im Konzentrationslager. Er unterhielt sich mit denen, die da verzweifelt und innerlich zerbrochen herumhockten. Er ließ sich erzählen, warum man sie eingesperrt hatte, und erzählte selbst, warum er nach Dachau gekommen war: wegen einer Predigt nämlich!

„Ist`s schlimm hier?“ fragten die Zugänge zaghaft. „Man gewöhnt sich“, antwortete Frasl leichthin. „Im Anfang kommt es einem so vor, als ob es sehr schlimm wäre, aber dann kommt man doch bald dahinter, daß dieses SS-G´frast diejenigen sind, die draufzahlen werden. Uns kann niemand etwas nehmen. Wir sind und bleiben, was wir sind!“

Scheinbar nichts sagende Worte, leere Phrasen. Und doch taten sie ihre Wirkung. Durch die Kraft der Persönlichkeit durch die ungebrochene Vitalität, die derjenige ausstrahlte, der sie ansprach. „Hast Hunger? Da hast du Brot!“ – „Magst rauchen? Da hast einen Tschick!“ Er verteilte, was er bei sich hatte. Gab jedem die Hand. „Morgen kommt`s ihr auf den Zugangsblock. Das ist ein bisserl arg im Anfang. Aber das gibt sich. Wenn ihr dann nach vier Wochen ein Kommando bekommt und verlegt werdet, dann habt ihr das Schlimmste überstanden. Alsdann: Gute Nacht“.

Wenn er die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann ging ein hörbares Aufatmen der Erleichterung durch die Reihen der „Zugänge“. Ein Mensch hatte zu ihnen gesprochen. Und er, er war, wie sie alle gesehen hatten, bisher nicht zerbrochen an all den Widerwärtigkeiten und bestialischen Quälereien. Er war stark und aufrecht. Ihm hatte das „ SS-G´fras“ nichts antun können.

Das war das große und wertvolle Geschenk, das Richard Frasl jedem Häftling im Dachauer Konzentrationslager machte. Er schenkte ihm ein Stück seines Herzens, ein Stück eines starken, männlichen Willens. Es war eine Transfusion seiner großen Seele, die er selbst an jedem Freitagabend an sich vornahm, wenn die österreichischen „Zugänge“ kamen.

Jetzt erfahren wir, dass unser Kamerad Frasl, Stadtpfarrer von Gross-Siegharts, vier Jahre Häftling im Konzentrationslager Dachau, weil er in einer Predigt den Nationalsozialismus angegriffen hatte, seiner Krankheit erlegen ist, der sein durch die lange Haft geschwächte Körper nicht Widerstand leisten konnte.

Wir, die wir wissen, was du uns gegeben hat, Kamerad Frasl: dein Herz, deinen Willen und deine Seele, wir grüßen dich. Und dir zum Gedächtnis will ich hier jene Worte aus der „Nachfolge Christi“ des Thomas a. Kempis zitieren, die du mir in der Weihnachtsnacht 1943 gesagt hast, als wir einen Augenblick auf der Lagerstraße unter den sternenklaren Himmel traten:

„Ich bin mächtig genug,
dir zu vergelten in jeder Weise und über alles Maß.
Eine Stunde kommt,
wo alle Mühe und Unruhe aufhören wird.
Gering und kurz ist alles,
was vorübergeht mit der Zeit.


Auszug aus:
Das Reich des Todes hat keine Macht auf Erden Bd. V/II Diözesananhang St. Pölten.

Wissenschaftlicher Beitrag gegen polemische unsachliche Diskussion
Das Thema „Kirche und Nationalsozialismus“ ist heute stärker denn je von einem polemischen Ton gezeichnet. Angriffe gegen die Kirche und ihre Institutionen stehen an der Tagesordnung. Eine uninformierte Gesellschaft, stürzt sich gierig auf Publikationen wie „Hitlers willige Vollstrecker“ oder „Widerstand ist nicht das richtige Wort.“ Kaum einer macht sich die Mühe, einen Blick in seriöse geschichtswissenschaftliche Werke zu diesem Thema zu werfen, zeigen diese doch ein ganz anderes Bild.

„Helfer“ oder „Opfer“?
Der Nationalsozialismus sah in der Kirche, hier geht es nicht einzig und allein um die katholische Kirche, hier sind beide christliche Konfessionen betroffen, ihren eigentlichen Feind, der mit allen erdenklichen Mitteln bekämpft werden musste.

Im Fall von Pfarrer Richard Frasl reichte es aus, das Läuten der Kirchenglocken bei einer nicht kirchlichen Beerdigung zu unterlassen, um verhaftet und nach Dachau überstellt zu werden.

Wie wichtig es ist, die persönlichen Zeugnisse für die Haltung der Kirche gegenüber einem Terrorregime in Erinnerung zu rufen, zeigt die Dokumentation über Priester und Ordensleute, die in den Jahren 1933-1945 im KZ Dachau interniert waren.

3000 Priester im KZ Dachau
Der Autor dieser Dokumentation, Dipl. theol. Manfred Wendel-Gilliar, hat für diese Dokumentation einen Vers aus der hl. Schrift gewählt: Das Reich des Todes hat keine Macht auf Erden. (Weisheit 1,14)

Mit der auf sieben Bänden angelegten Dokumentation sollen erstmals alle zirka 3.000 Priester und Ordensleute erfasst werden, die aus ganz Europa in den Jahren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft im KZ Dachau interniert waren. Viele, hier vor allem polnische Geistliche, fanden ihren Tod in dem als Sanatorium getarnten Schloß Hartheim, Diözese Linz.

Der Autor der Dokumentation, die nach Diözesen geordnet ist, Dipl. theol. Manfred Wendel-Gilliar, fasst die Schicksale in einer Blockkarteikarte zusammen. Dabei konnten bisher noch nicht zugängliche Quellen genutzt werden. In der Dokumentation werden zum erstenmal Fotos von Priesterhäftlingen aus dem KZ Auschwitz gezeigt, die dort interniert und dann nach Dachau überstellt wurden.

In den Jahren 1933 bis 1945 standen beide großen Kirchen in Deutschland nicht als geschlossene Formation gegen den Terror auf. Der Widerstand lag bei den einzelnen katholischen oder evangelischen Geistlichen.
Kardinal Walter Kasper spricht in seinem Vorwort zum II. Band von einer „missionarischen Ausstrahlung“, einer „gelebten, erfahrenen Ökumene“ im KZ.

Die Dokumentation erscheint bei HERDER/ROM unter dem Titel:
DAS REICH DES TODES HAT KEINE MACHT AUF ERDEN
PRIESTER UND ORDENSLEUTE IM KZ DACHAU 1933-1945

In St. Pölten kann die Dokumentation zum Einzelpreis von 70,00 Euro (Band V)beim Behelfsdienst der Diözese St. Pölten, Pastoralamt, Klostergasse 15, 3101 St. Pölten, Ansprechpartner Peter F. Moser, bezogen werden, aber auch in jeder Buchhandlung.
Der für die Diözese St. Pölten ausschlaggebende Band erscheint im Spätherbst 2004. Vorbestellungen werden gerne entgegengenommen unter: Tel.: ++43 / (0)2742 / 398-315
e-mail: e-mail Vorbestellung


Band I: Kath. Diözesen A-F Umfang 584 S. mit 390 Einzelschicksalen - ISBN 88-85876-50-1
Band II: Kath. Diözesen G-K sowie Evangelische Pastore - ISBN 88-85876-51-X
Band III: Kath. Diözesen L-M sowie Orthodoxe Geistliche - ISBN 88-85876-52-8
Band IV: Kath. Diözesen N-P - ISBN 88-85876-53-6
Band V: Teilband I; Kath. Diözesen Q-Z - ISBN 88-85876-54-4
Band V: Teilband II - ISBN 88-85876-54-4
Registerband: - ISBN 88-85876-55-2
     
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