Wien (fwf) - Widrige Lebensbedingungen können Auswirkungen auf die Anordnung wichtiger Bakteriengene
haben. ForscherInnen der Universität für Bodenkultur Wien haben bei drei an erhöhte Temperaturen
angepassten Bakterienstämmen festgestellt, dass Gene für eine optimale Umweltanpassung direkt hintereinander
auf dem Genom liegen. Die Gene bewirken durch das Anhängen von Zuckern die gezielte Veränderung von Proteinen,
die einen Schutzmantel aufbauen. In zwei vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekten werden derzeit Einzelheiten
dieses Prozesses untersucht. Ergebnisse der Studien könnten auch die Herstellung optimierter Proteine für
den biotechnologischen und medizinischen Einsatz ermöglichen.
Noch vor kurzem herrschte die Annahme, dass ausschließlich mehrzellige Organismen in der Lage sind, Proteine
durch Anhängen von Zuckern zu so genannten Glykoproteinen zu verändern. Seit wenigen Jahren ist aber
bekannt, dass auch Bakterien dazu in der Lage sind. Diesen können die so gewonnenen Proteinfunktionen wichtige
Vorteile für ihr Überleben bieten.
Der Zucker macht´s
Das Team um Prof. Paul Messner am Zentrum für NanoBiotechnologie der Universität für Bodenkultur
Wien erforscht seit einigen Jahren bei Bakterien den Mechanismus der Glykosilierung - also die Vorgänge, wie
Zuckerreste an Proteine angehängt werden. Spezialisiert haben sich die ForscherInnen auf so genannte S-Schicht-Proteine.
Diese bilden einen Mantel um die Zellmembran des Bakteriums und schützen es vermutlich vor ungünstigen
Umwelteinflüssen. "Ein Teil dieser Funktionen könnten jene Zucker vermitteln, die an die Proteine
gebunden werden. Durch diese Glykosilierung kann die biologische Funktion der Proteine für den Organismus
verändert werden", führt Prof. Messner aus.
Die für die Glykosilierung notwendige Maschinerie haben die WissenschafterInnen bei drei unter erhöhten
Temperaturen lebenden bakteriellen Organismen auf der Ebene der Gene identifiziert. Diese drei Bakterienstämme
gehören zur Gruppe der Gram-positiven Bakterien, die sich von den Gram-negativen im Aufbau der Zellwand unterscheiden.
Je nach untersuchtem Bakterienstamm wurden 15 bis 30 Gene gefunden, die in einem Cluster angeordnet sind. Das bedeutet,
sie liegen auf dem Genom direkt hintereinander.
Erstaunlicherweise sind die Gene im Cluster jedoch nicht streng nach ihrer Funktion geordnet, wie es von anderen
Clustern bekannt ist. Diese "natürliche Unordnung" bei den untersuchten Arten ist möglicherweise
auf eine in der Evolution nacheinander erfolgte Übertragung der Gene im Cluster von Gram-negativen auf Gram-positive
Bakterien zurückzuführen. Das legen Sequenzvergleiche verschiedener Bakterienarten nahe. "Die Gram-positiven
Bakterien haben diese vermutlich nachträglich aufgenommenen Gene vorteilhaft in ihrem natürlichen Lebensraum
nützen können. Dafür spricht auch die Beobachtung, dass die Bakterien die Glykosilierungsfunktion
in erster Linie unter ungünstigen Umweltbedingungen einsetzen", erläutert Prof. Messner.
Der nächste Schritt des Projekts ist, die Funktion der für das Anknüpfen der Zuckerreste zuständigen
Gene näher zu charakterisieren. "Dazu schreiben wir die einzelnen Gene in ihre Proteine - Enzyme und
Transporter - um und analysieren deren Funktion im Detail. Das so gewonnene Verständnis erlaubt uns, ihr komplexes
Zusammenspiel während der Glykosilierung besser zu verstehen", beschreibt Prof. Messner.
Glykoproteine nach Maß
Die Kenntnis dieses Zusammenspiels ist auch Basis für die intelligente Nutzung der Glykosilierung
- und damit für ihre Anwendungsmöglichkeiten in Biotechnologie und Medizin. Denn bei den bisher verwendeten
Methoden, glykosilierte Proteine herzustellen, werden diese oft unzureichend beziehungsweise falsch glykosiliert,
wodurch ihre biologische Aktivität sinken kann. Durch gezielte Modifikation der Gensequenzen ("Carbohydrate
Engineering") könnten in Zukunft aber Bakterien Proteine mit maßgeschneiderter Zuckerstruktur erzeugen.
Mit diesem Potenzial für die biotechnologische und medizinische Anwendung bieten die FWF-Projekte zur Glykosilierung
von Proteinen ein überzeugendes Beispiel dafür, dass erst ein grundlegendes Verständnis natürlicher
Prozesse die Voraussetzung für die Anwendung innovativer Technologien schafft. |