Schönborn fordert »große Versöhnungsinitiative« für Europa  

erstellt am
05. 04. 04

Das Christentum könne für diese Initiative zwei zentrale Leitsätze zur Verfügung stellen: die Gottebenbildlichkeit des Menschen und das umfassende Liebesgebot.
Wien (www.kath.net / PEW / red) - Für eine "große Versöhnungsinitiative" zwischen den europäischen Völkern tritt Kardinal Christoph Schönborn im Hinblick auf die EU-Erweiterung am 1. Mai ein. Das Christentum könne für diese Initiative zwei zentrale Leitsätze zur Verfügung stellen: die Gottebenbildlichkeit des Menschen und das umfassende Liebesgebot. Das sagte der Wiener Erzbischof bei einem Vortrag auf Einladung des "Mitteleuropäischen Bildungszentrum für Evangelisation" (MEBE) in Wien.

Zugleich erinnerte Schönborn daran, dass die Versöhnung nicht an den künftigen Außengrenzen der Union Halt machen dürfe. Die Hochschätzung menschlicher Individualität sei Bauprinzip der Europäischen Gemeinschaft. Der Wiener Erzbischof sieht drei Gefahren, die das Bauprinzip Europas bedrohen: den schrankenlosen Liberalismus, einen rückwärtsgewandten Nationalismus und den religiösen Fanatismus. Ausdrücklich plädierte Schönborn für eine soziale und nachhaltige Marktwirtschaft, zu der es keine Alternative gebe und die ganz im Sinne der christlichen Soziallehre sei.

Der Kardinal verwies auf die Europa-Rede des Papstes 1998 in Wien, als Johannes Paul II. auf das "unmenschliche Wohlstandsgefälle" innerhalb Europas hinwies. Dessen Abflachung und letztendliche Beseitigung sei eine Vorbedingung für Frieden und Versöhnung zwischen den Völkern. Dazu sei aber die Bereitschaft notwendig, eine gewisse Minderung des eigenen Wohlstands in Kauf zu nehmen. Es gelte, die neuen Mitgliedsländer nicht zum Spielball von Geschäftsinteressen zu machen und sie nicht zwecks eigener Besitzstandswahrung möglichst lange von den Chancen der neuen Gemeinschaft fern zu halten. "Wer in der Lage ist, die neuen Partner vorbehaltlos willkommen zu heißen und ihnen diesen Eindruck auch zu vermitteln, der wird zur Verwirklichung des gemeinsamen Europa und auch zur Versöhnung der europäischen Völker einen unentbehrlichen Beitrag leisten", sagte der Kardinal.

Eine deutliche Absage erteilte Schönborn jedem rückwärtsgewandten Nationalismus. "Wer glaubt, der Verwirklichung eines gemeinsamen Europa durch Rückgriff auf den Nationalismus des 19. Jahrhunderts begegnen zu können, der wird auch das 20. Jahrhundert ein zweites Mal erleben müssen." Tendenzen zur Renationalisierung gebe es sowohl in den neuen Beitrittsländern als auch in manchen Alt-Mitgliedsländern. Die Ursachen dafür seien vielfältig. Zum einen wären die Menschen der Beitrittsstaaten von der Reserviertheit des Westens enttäuscht, zum anderen wolle man die mühsam errungene Freiheit nicht gleich wieder an den weitgehend unbekannten Mechanismus "Union" verlieren.

Nationalismus in alten Mitgliedsländern stellte Schönborn vor allem in den Zusammenhang mit dem Versuch der Besitzstandswahrung. Weiters ortete der Wiener Erzbischof eine tiefe Vertrauenskrise zwischen Regierenden und Regierten, den einzelnen Völkern der Union und den Zentralbehörden in Brüssel. Dazu komme noch das gegenseitige Misstrauen zwischen großen und kleinen Mitgliedsländern. Diesem Renationalisierungstrend könne man nur durch ein Höchstmaß an Information und vertrauensbildende Maßnahmen entgegenwirken, so der Kardinal. Als "ältestem Globalinstitut der Welt mit einem Propheten and er Spitze" habe die katholische Kirche gerade im diesem Bereich eine wichtige Funktion und Aufgabe inne. Schönborn: "Die gottebenbildliche Menschheitsfamilie verträgt keine Abstufung oder Einschränkung nach nationalen Gesichtspunkten."

Gefährlich sei auch der zunehmende religiöse Fanatismus. In vielen Teilen der Welt würden Mitbürger wegen ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert und unterdrückt, kritisierte Schönborn. Auch das Gespenst des Antisemitismus komme "oft in der Maske des Anti-Israelismus" wieder zum Vorschein." Je mehr und je rascher es den Christen gelingt, die ökumenischen und interreligiösen Gespräche erfolgreich weiterzuführen, desto größer und nachhaltiger wird ihr Beitrag zur Versöhnung zwischen den europäischen Völkern sein", stellte der Kardinal fest.
     
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