Abgeordnete und Experten diskutieren über moderne Architektur
Wien (pk) - Fragen der Architekturpolitik und der Baukultur standen am Dienstag
(30. 03.) im Mittelpunkt einer parlamentarischen Enquete-Kommission. Abgeordnete und
Experten diskutierten dabei über die Rahmenbedingungen zur Förderung einer zeitgenössischen Baukultur
sowie über Grundlagen einer ressortübergreifenden Architekturpolitik. Die Veranstaltung, die auf Initiative
aller vier Parlamentsfraktionen stattfand, wollte vor allem auch die Basis für ein breites, nationales Programm
zur Vermittlung von Architektur-, Raum- und Lebensqualität legen.
Nationalratspräsident Andreas Khol unterstrich in seinen einleitenden Worten den Charakter von
Architektur als Querschnittsmaterie und meinte, Architektur sei ein Teil der Kreativwirtschaft, Ausdruck der Lebenskultur
und der Identität des Landes, aber auch wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die heutige Enquete-Kommission war für
Khol eine Entscheidungsvorbereitung für konkrete Beschlüsse des Nationalrats. Die Tatsache, dass sich
das Parlament mit diesem Thema so ausführlich auseinandersetzt, zeige, wie wichtig der Gesetzgeber Architekturpolitik
und Baukultur nehme.
Abgeordnete Doris Bures (S), die den Vorsitz führte, erinnerte daran, dass der Bautenausschuss
und der Kulturausschuss gemeinsam die Vorbereitungen für diese Enquete übernommen hatten. Sie wertete
dies ebenfalls als Zeichen dafür, dass ressortübergreifende Lösungen durch den Gesetzgeber gefunden
werden müssen.
Impulsreferate
Die Reihe der Impulsreferate leitete Univ.-Prof. Dr. Friedrich Achleitner mit der kritischen
Feststellung ein, das heutige Bauen zeige vielfach eine radikale Kürzung der Lebenszyklen, man produziere
immer mehr ökonomisch kalkulierten Abbruch, ein großer Teil des Erbes werde keinen Cent wert sein. Die
Wirtschaft sehe die Architektur eher als Werbeträger und Imagepolitur, weniger aber als Arbeitswelt. Den Architekten
wiederum würden Schlingen komplizierter Vertragswerke um den Hals gelegt.
Baukultur sei Wahrnehmung und Pflege der kreativen Kräfte einer Gesellschaft, zeitgenössische Qualitätskultur
sichere das Kulturerbe von morgen. Dazu bedürfe es nach Meinung Achleitners einer Politik, die fähig
ist, die Gesellschaft als kulturelles Phänomen zu begreifen, und einer Wirtschaft, die Respekt vor kultureller
Arbeit hat. Baukultur ohne Basis werde es nicht geben, mahnte er.
Direktor Dietmar Steiner (Architektur Zentrum Wien) stellte fest, die österreichische Architektur
genieße international einen hervorragenden Ruf. Es seien gerade die Leistungen der österreichischen
Architekten, die heute den Begriff der Kulturnation Österreich begründen, sagte er. Was man allerdings
in den Städten an Bauwerken zu sehen bekomme, sei nicht Architektur, sondern nicht vorhandene Baukultur, ein
gebauter Ausdruck der gesellschaftlichen Realität, für die alle verantwortlich sind.
Steiner verlangte von der Politik, die Leistungen der österreichischen Architekten wirtschaftlich anzuerkennen
und Instrumente und Rahmenbedingungen zu entwickeln, um die weltweite Bedeutung der architektonischen Spitzenleistungen
Österreichs für die allgemeine Baukultur wirksam zu machen. Österreich müsse sich des großen
Potentials seiner architektonischen Produktivität bewusst sein, betonte er, denn "Architektur ist Lebensmittel,
ist Überlebensmittel".
Volker Dienst (Koordinator der Plattform für Architektur und Baukultur) befasste in seinen Ausführungen
mit der Verantwortung der Bauherren und schickte voraus, niemand in Österreich sei gegen Baukultur oder für
minderwertige Architektur. Es fehle aber an Rahmenbedingungen und innovativen strategischen Konzepten. Dienst verstand
Baukultur als qualitätsorientierte und interdisziplinäre Umweltgestaltung. Deshalb gehe es, wie er zu
bedenken gab, in der Architekturpolitik nicht um ein paar Stararchitekten, sondern vielmehr um die Sicherung der
Lebensqualität für die Bevölkerung. Aus diesem Grunde müsse das Wissen über Architektur
und Raumqualität zum Selbstverständnis auch der kleinen Leute werden, es dürfe nicht nur intellektuellen
Eliten vorbehalten bleiben.
Darüber hinaus sprach Dienst auch die finanzielle Seite der Baukultur an. Schlechte Architektur koste genauso
viel wie gute, stand für ihn dabei fest. Er trat dafür ein, 0,3 Promille des Budgets in die Architekturpolitik
zu investieren. Dies würde weniger als 7 € pro Einwohner jährlich ausmachen und sei es wert, damit sich
auch noch die nächste Generation über das kulturelle Erbe Österreichs freuen kann, schloss er.
Herbert Logar (BIG) präsentierte die Bundesimmobiliengesellschaft als größten Architekturproduzenten
in Österreich und unterstrich, die Ausrichtung der BIG auf den Wettbewerb sei zwingend gewesen. Trotz aller
betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen glaube die BIG aber an ihren gesellschaftlichen und kulturpolitischen
Auftrag und fördere Qualitätsarchitektur. Logar warnte allerdings, dass verordnete Regulative einen einseitigen
Wettbewerbsnachteil gegenüber der Privatwirtschaft darstellen könnten.
Christoph Stadlhuber (BIG) zeigte sich überzeugt, dass gut bauen preiswerter sei als billig
bauen. Als entscheidend sah er es an, bereits in einer sehr frühen Phase Kontakt mit den Nutzern aufzunehmen
und ihre Bedürfnisse abzustecken. Gute Architektur entstehe nicht erst in der Bauphase, sondern in der Vorbereitungsphase,
war für Stadlhuber klar. Wichtig sei es weiters, die Folgekosten der Projekte absehbar zu gestalten. Er kündigte
in diesem Zusammenhang die Herausgabe eines Weißbuches "Wettbewerbe" als freiwillige Selbstverpflichtung
der BIG an, um Qualitätsstandards für gute Architekturproduktionen zu erarbeiten.
Diskussion
Helmut Reitter (Präsident der Kammer für Architekten und Ingenieurskonsulenten für Tirol
und Vorarlberg) eröffnete die Diskussionsrunde mit der Bemerkung, Programme seien wichtig, ebenso wichtig
sei es aber, dass die richtigen Personen mit Begeisterung an der richtigen Stelle tätig sind. Er verwies in
diesem Zusammenhang auf Beispiele in Tirol, wo Lebensmittelmärkte in Zusammenarbeit mit Architekten architektonisch
hochwertig gestaltet wurden, aber auch auf die Architekturoffensive der ÖBB unter Generaldirektor Draxler.
Univ.-Prof. Mag. Roland Gnaiger (Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung
Linz, Institut für Architekturkonzeption und Entwurf) sprach die Rolle der Bürgermeister als erste Instanz
in Bauverfahren an und trat für eine Forcierung der diesbezüglichen Verfahren in den Gemeindeausschüssen,
aber auch für eine verstärkte Förderung von Vermittlungsinitiativen für die politischen Entscheidungsträger
ein. Anhand von Best-Practice-Projekten sollte den Kommunalpolitikern die Entscheidung für Qualitätsarchitektur
leichter gemacht werden.
DI Sabine Gretner (Grüner Klub im Rathaus) erwartete sich von der Enquete-Kommission eine Bewusstseinsänderung
in Richtung Baukultur. Es sollten Handlungsweisen gefunden werden, die dem kulturellen Niveau Österreichs
im Bereich der Architektur gerecht werden, meinte sie.
Andreas Vass (IG-Architektur) erläuterte die Interessenlage jüngerer Architekturschaffender
und kleinerer Architekturbüros. Es wäre ein Beitrag zur Verbesserung der Baukultur, würde ein breiteres
Spektrum von Architekten berücksichtigt. "Die Kreativwirtschaft lebt nicht nur von Stars und großen
Büros". In diesem Sinn appellierte Vass an die Parlamentarier, die Entwürfe zum Ziviltechnikergesetz
und zum Ziviltechniker-Kammergesetz nicht in der vorliegenden Form zu beschließen, da sie Verschlechterungen
für kleine Architekturbüros mit sich brächten.
Abgeordnete Christine Muttonen (S) ging davon aus, dass die Baukultur den Lebensraum der Menschen
beeinflusse und Architektur ein zentrales Element der Kultur darstelle. Sie unterstützte daher die Forderung
nach einer ressortübergreifenden Architekturpolitik und sah den Bund aufgefordert, sich seiner architekturpolitischen
Verantwortung nicht zu entziehen, wenn auch klar sei, dass Länder und Gemeinden im Bauwesen hauptsächlich
zuständig seien. Muttonen mahnte die Vorbildwirkung des Bundes bei seinen Bauprojekten ein und verlangte die
Einsetzung eines Architekturrates sowie die Herausgabe eines jährlichen Berichts zur Lage der Architektur
und Baukultur.
DI Reinhard Seiß (Verein URBAN) listete auf, was schlechte Architektur und schlechte Bauplanung
dem Bund an Folgekosten verursache. Die Zersiedelung zwinge die öffentliche Hand, große Summen für
Straßenbau sowie für Wasserver- und Abwasserentsorgung aufzuwenden. Zugleich werde der Bürger immer
abhängiger vom Auto, die Städte immer unattraktiver und eine immer größere Zahl von Stadtbewohnern
ziehen in die "Speckgürtel" rund um die Städte. Eine Fläche von der Größe Vorarlbergs
sei bereits für den Straßenverkehr versiegelt. Täglich werden 7 bis 12 Quadratmeter pro Kopf verbaut.
Bei der Co2-Reduktion nehme Österreich innerhalb der EU die vorletzte Stelle ein, kritisierte Seiß.
Abgeordnete Gabriela Moser (G) schloss sich den Ausführungen ihres Vorredners an und fügte
hinzu, dass in Oberösterreich täglich eine Fläche von zwei Fußballfeldern verbaut werde. Ihre
Kritik galt einer Raumplanung, die das Gebot der Nachhaltigkeit verletze. Mosers Forderungen galten einem höheren
Qualitätsbewusstsein sowie der Ausbildung der Bürgermeister zur besseren Wahrnehmung ihrer Aufgaben als
erste Bauinstanz, außerdem erkundigte sich Moser nach der Zukunft der Wohnbauförderung.
Präsident DI Ortfried Friedreich (Kammer für Architekten und Ingenieurskonsulenten für
Wien, Niederösterreich und Burgenland) unterstrich die Bedeutung einer hohen Qualität von Architekten-
und Ingenieurleistungen für die Gesellschaft, weil Architekten und Ingenieure hohe Investitionen steuern und
mit Gebäuden und Infrastruktureinrichtungen Bauwerke schaffen, die mehreren Generationen zur Verfügung
stehen. Es entspreche daher gesellschaftlicher und kultureller Verantwortung, der Architektur- und Ingenieurskunst
die entsprechenden Rahmenbedingungen zu geben. Dazu gehören klug vorbereitete und korrekt durchgeführte
Vergabeverfahren sowie die Geltung des Bestbieterprinzips.
Amtsführender Stadtrat DI Rudolf Schicker (Amt der Wiener Landesregierung und Österreichischer
Städtebund) plädierte nachdrücklich für eine intensive Auseinandersetzung über architekturpolitische
Fragen und machte dabei auf Erfahrungen aufmerksam, die Wien auf diesem Gebiet gemacht habe. Sein Bundesland habe
durch Wettbewerbe versucht, ein Höchstmaß an Transparenz und Breite zu gewinnen und dafür gemeinsam
mit der Architektenkammer einen Leitfaden ausgearbeitet. Dazu kam die Bevorzugung junger Büros und das Bemühen
um eine Erhöhung des Frauenanteils unter den ArchitektInnen. Für wichtig hielt Schicker auch den internationalen
Austausch, den Wien durch die Ausstellung "Stand der Dinge" fördere. Abschließend wandte sich
der Stadtrat gegen die Absicht, die Wohnbauförderung zu sistieren.
Abgeordneter Dr. Peter Sonnberger (V) berichtete von positiven Erfahrungen seiner Heimatstadt Linz
mit der Einrichtung eines Beirates, der aus fünf ArchitektInnen zusammengesetzt sei, die aus dem In- und Ausland
kommen und dem mindestens eine Frau angehören müsse. Der Beirat tage sechsmal jährlich an zwei Tagen
und habe hunderte Projekte begutachtet, die jeweils Auswirkungen auf das Stadtbild haben. Die Qualität der
Architektur in Linz sei durch die Arbeit dieses Beirates gestiegen, zeigte sich der Abgeordnete überzeugt.
DI Markus Spiegelfeld (Architekturbeirat und Staatssekretariat für Kunst und Medien) hielt es
für falsch, Baukultur nur unter finanziellen Gesichtspunkten zu diskutieren, da hochwertige Architektur einen
Mehrwert für die gesamte Gesellschaft bedeute. Konkret wies Spiegelfeld darauf hin, dass Architektur ein wichtiger
Standortfaktor sei, der bedeutende Auswirkungen auf Gebiete wie Sicherheit, Fremdenverkehr und Umwelt habe. Er
hoffe auf eine Marketinginitiative für Architektur, die sich an eine breite Öffentlichkeit richtet, sowie
auf die Einsetzung eines Architekturbeauftragten im Nationalrat.
Univ.-Prof. Dr. Martin Treberspurg (Universität für Bodenkultur Wien) machte darauf aufmerksam,
wie viel Energie beim Bau und beim Betrieb von Gebäuden verbraucht werde. Daher sei bei Gebäuden sehr
viel Co2 einzusparen, und zwar - im Unterschied zu anderen Gebieten des Energiesparens - mit äußerst
positiven volkswirtschaftlichen Nebeneffekten. Die thermische Optimierung von Gebäuden erhöhe die heimische
Wertschöpfung, schaffe Arbeitsplätze und sorge für die Zeit vor, in der die fossilen Energieträger
knapp werden. Treberspurg warnte davor, die österreichischen Co2-Reduktionsaufgaben zu vernachlässigen,
weil dies hohe Strafzahlungen an die EU nach sich ziehen werde.
DI Dr. Jana Revedin (Amt der Kärntner Landesregierung) hielt das Gespräch zwischen Architekten
und Politikern für wichtig, da diese die Rahmenbedingungen für das Bauwesen festlegen können. Grundsätzlich
meinte die Architekturlehrerin, dass man das Starsystem bei den Architekten nicht zu fördern brauche, weil
sich dieses selbst fördere. Man sollte vielmehr dafür sorgen, dass junge Architekten die Möglichkeit
bekommen, Einfamilienhäuser zu bauen. Das Kammersystem kritisierte Revedin als ein "Rauswurfsystem",
das der Teambildung von Architekten entgegenwirke sowie ihre Öffnung gegenüber anderen Disziplinen und
die Weiterbildung behindere. Junge Architekten sollten die Chance bekommen, in den zentralen Problemen des modernen
Bauens, bei der Gestaltung der Stadtzentren, im Tourismus, im Bereich des Wassers und bei den Zufahrten zu den
Ballungsräumen tätig zu werden. Die Bürgermeister kleiner Gemeinden sah Revedin völlig überfordert,
ihre architekturpolitischen Aufgaben wahrzunehmen.
DI Franz Neuwirth (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur) plädierte dafür,
die Bemühungen um die Erhaltung des Bauerbes, also den Denkmal- und Landschaftsschutz in die Diskussion über
eine zeitgenössische Architektur einzubeziehen. Neuwirth sprach sich für eine interdisziplinäre
Vorgangsweise aus, wies auf die engen Zusammenhänge zwischen der Erhaltung des Weltkulturerbes und des Kulturtourismus
hin, der mit zweistelligen Wachstumsraten rechnen könne. Investitionen in die Denkmalpflege weisen einen Arbeitsplatzmultiplikator
von 1:10 auf.
Abgeordneter Wolfgang Großruck (V) wandte sich gegen Schuldzuweisungen an Politiker und insbesondere
an Bürgermeister, räumte aber ein, dass man die geltende Pro-Kopf-Zuteilung von Ertragsanteilen überdenken
sollte, weil dies eine quantitativ ausgerichtete Ansiedelungspolitik der Gemeinden fördere. Als erfolgreich
sah Großruck die Abhaltung von Architektenwettbewerben an, wobei er festhielt, dass es sich keine Gemeinde
leisten könne, auf fachliche Beratung zu verzichten. Hausaufgaben seien im Bereich der Bebauungspläne
zu lösen, sagte Großruck und brach eine Lanze für die Förderung junger Architekten.
DI Cordula Loidl-Reisch setzte sich dafür ein, die Landschaftsgestaltung in Architekturprojekte
stärker einzubeziehen. Es sollte bewusst gemacht werden, dass auch Freiräume Lebensräume seien,
die man nicht als "Restflächen" betrachten sollte, auf die man am Schluss noch rasch ein paar Sträucher
pflanze. Zarte Ansätze in diese Richtung sah die Architektin in der Wiener Bauordnung. Landschaftsarchitekten
sollten in Bauprojekte einbezogen werden, die Freiflächen enthalten und überdies sollte die Zahl der
geschützten Parks erweitert werden, resümierte Loidl-Reisch. |