Bonn (alphagalileo) - Sexualhormone im Wasserkreislauf werden unter anderem
als „Spermienkiller“ verdächtigt. Sie wirken schon in äußerst geringen Konzentrationen, die nur
mit großem Aufwand nachzuweisen sind. Wissenschaftler der Universität Bonn haben nun in Zusammenarbeit
mit der Dresdner Biotech-Firma quo data einen Antikörper-Test entwickelt, der um den Faktor zwanzig kostengünstiger
ist als bisher eingesetzte Nachweis-Methoden. Das Messgerät ist zudem extrem einfach und sicher in der Handhabung.
Vom 11. bis zum 14. Mai präsentieren die Projektpartner ihre Neuentwicklung, die sie inzwischen zum Patent
angemeldet haben, auf der Analytica, der Weltfachmesse für Analytik, in München (Halle A5, Stand 475).
Zumindest bei Fischen ist inzwischen gut dokumentiert, dass Rückstände der Anti-Baby-Pille im Wasser
bei ihnen großen Schaden anrichten können: Männliche Forellen werden weniger fruchtbar, junge Brassen
bilden in ihrem Hoden plötzlich Eizellen, bei Karpfen verschiebt sich das Geschlechterverhältnis zu Gunsten
weiblicher Tiere. Auch dass in westlichen Industrieländern die Spermienzahl bei Männern seit Jahrzehnten
sinkt, ist vielleicht der Wirkung künstlicher Östrogene zuzuschreiben. Immerhin scheinen Mäusespermien
unter dem Einfluss östrogenähnlicher Chemikalien schneller zu reifen und ihre Fruchtbarkeit zu verlieren.
„Die Crux vieler Medikamente ist, dass sie im Körper nur langsam abgebaut werden“, erklärt Dr. Rudolf
J. Schneider vom Bonner Institut für Pflanzenernährung. Das gilt auch für die Wirkstoffe in der
Anti-Baby-Pille: Ein großer Teil des darin enthaltenen künstlichen Östrogens Ethinylestradiol (EE2)
wird von den Frauen mit dem Urin unverändert ausgeschieden, gelangt ins Abwasser und von dort in die Kläranlagen.
„Im Kläranlagenablauf liegt die EE2-Konzentration zum Teil um den Faktor 50 über dem Schwellenwert, bei
dem in Regenbogenforellen Effekte nachzuweisen sind“, so der Forscher. Dr. Schneider hat nun zusammen mit seiner
Mitarbeiterin Therese Hintemann und der Firma quo data in Dresden in einem aus EU-Mitteln geförderten Projekt
ein Gerät entwickelt, das sowohl EE2 als auch das natürliche Östrogen 17?-Östradiol (E2) noch
in winzigen Spuren nachweisen kann.
Das Problem: E2 und EE2 wirken noch in unvorstellbar kleinen Konzentrationen von weniger als einem Milliardstel
Gramm pro Liter – würde man zwei Kilopakete Zucker in den Chiemsee schütten und kräftig rühren,
käme man auf eine ähnliche Verdünnung. „Der exakte Nachweis solch kleiner Mengen ist selbst mit
teurer Technik eine Herausforderung“, so Schneider. Zudem können schon kleine Ungenauigkeiten bei der Vorbereitung
und Analyse der Proben das Ergebnis erheblich verfälschen. Ziel der Projektpartner war daher eine empfindliche,
kostengünstige und vor allem „narrensichere“ Alternativmethode, die auch von Nicht-Fachkräften einfach
zu handhaben ist.
Dazu greifen die Entwickler auf ein bewährtes Messprinzip zurück: Beim so genannten ELISA-Test bindet
die nachzuweisende Substanz – in diesem Fall also beispielsweise das EE2 – an hochspezifische Antikörper.
Es konkurriert dabei mit einer chemisch veränderten EE2-Variante, die nach Zugabe von einer Art Indikator
eine Farbreaktion auslösen kann. Je mehr EE2 in der Probe ist, desto mehr Antikörper kann es blockieren.
Entsprechend weniger Platz bleibt also für die modifizierte EE2-Version; die Farbreaktion fällt gering
aus. Ein optischer Sensor misst nun die Färbung, aus der das Gerät dann die EE2-Konzentration in der
Probe errechnen kann – soweit die Theorie.
In der Praxis sieht das jedoch erheblich komplizierter aus: „Wenn man dieselbe Probe mehrmals misst, die verschiedenen
Reagenzien aber nicht exakt nach derselben Zeitspanne zugibt, können die Ergebnisse sehr unterschiedlich ausfallen“,
erklärt Therese Hintemann. Im Labor führt man derartige ELISA-Tests üblicherweise auf Antikörper-beschichteten
Mikrotiterplatten durch, die knapp hundert winzige Vertiefungen aufweisen – eine pro Messung. So empfindlich ist
die Methode, dass selbst der Ort der Messung – also welche Vertiefung genommen wird – das Ergebnis beeinflussen
kann. „Unser ESTR-A-LISER misst daher jede Probe mehrmals und wählt dabei die entsprechende Vertiefung auf
der Mikrotiterplatte nach dem Zufallsprinzip“, so die Doktorandin am Institut für Pflanzenernährung.
Weitere Testverbesserungen, an denen auch ihr Kollege Christian Schneider mitwirkte, und eine spezielle statistische
Auswertemethodik, die von quo data entwickelt wurde, ermöglichen eine Steigerung der Messempfindlichkeit um
den Faktor 10. Zudem eicht sich das Gerät jedes Mal vor einer Messung selbst, indem es eine Reihe von Standard-Konzentrationen
misst.
Das alles funktioniert dank des neuartigen Geräteprinzips und der von der quo data programmierten Computersteuerung
voll automatisch – Standardlösungen und bis zu acht Proben in das Probenrack, Klappe zu, und nach drei Stunden
liegen die Ergebnisse vor. Unter zehn Euro kostet eine Mehrfachanalyse mit dem ESTR-A-LISER; herkömmliche
High-End-Methoden sind mit etwa 200 Euro pro Einzelprobe erheblich teurer. Das Umweltbundesamt Wien sowie das chemische
Institut der Universität Aveiro in Portugal testen das Gerät momentan im rauen Praxisalltag – „alles
Anwender, die mit den Tücken von ELISA-Tests nicht vertraut sind“, verrät Dr. Schneider. „Denn gerade
Nicht-Fachleute sollen ja vom ESTR-A-LISER profitieren.“ |