Auf dem Weg zu einer europäischen Verfassung  

erstellt am
05. 05. 04

Erklärungen des Rates und der Kommission - Auf dem Weg zu einer europäischen Verfassung – Erklärungen und Aussprache
Brüssel (europarl.eu.int) - Der Vertreter der irischen Ratspräsidentschaft, Europaminister Dick ROCHE, erklärte, alle seien gemeinsam entschlossen, eine Verfassungsvertrag zu schaffen Bei vielen Punkten sei man weiter gekommen, als es jemals für möglich schien. Der Entwurf des Konvents sei ein hervorragender Rahmen. Er sei ein Dokument, das die Menschen in der EU anspreche und viele Vorzüge habe. Die irische Ratspräsidentschaft werde alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Verhandlungen vor der Tagung des Europäischen Rates im Juni abzuschließen.

Man sei einer Einigung näher als jemals zuvor. Auf ihrer Tagung am 17./18. Mai 2004 wollten die Außenminister so viele offenen Fragen wie möglich lösen. Wenn notwendig, würden sie die Verhandlungen danach noch fortführen. Wenn es den politischen Willen gebe, werde man einen Weg finden, um komplizierte Fragen zu lösen. Die Kommission müsse effizient sein, allerdings gebe es noch Bedenken einiger Mitgliedstaaten, was deren Zusammensetzung angehe. Eine Lösung könnte so aussehen, für längere Zeit einen Kommissar pro Mitgliedstaat zu ernennen und diese Zahl dann später anhand eines Rotationsmodells zu verringern.

Es sei auch der Wunsch der irischen Ratspräsidentschaft gewesen, die Verhandlungen noch vor den Europawahlen abzuschließen. Realistisch sei jedoch ein Abschluss erst bei der Ratstagung im Juni. Man dürfe nicht vergessen, was man bisher erzielt habe. Vieles sei nicht mehr strittig.

Erklärung der Kommission:
Für Kommissar Antonio VITORINO bedeutet die Erweiterung die Zukunft der Geschichte der Europäischen Union. Man müsse an dem gemeinsamen Projekt arbeiten und den Bürgern erklären, worum es gehe. Die Erweiterung sei eine einzigartige Chance, unsere Politik zu reformieren

Der Konvent habe sich eindeutig für eine Verfassung entschieden, die den Bürger in den Mittelpunkt rücke. Dieses ehrgeizige Projekt wolle man unter Berücksichtigung der Arbeiten des Konvents zu Ende führen. Das allgemeine Gleichgewicht des Textes solle beibehalten werden. Es müsse mehr Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit geben. Er unterstütze voll und ganz das Prinzip der doppelten Mehrheit. Man müsse dafür sorgen, dass sich alle in diesem System wiederfinden. Aber die Klarheit dürfe nicht verloren gehen. Der dritte Teil sei nicht durchlässig genug für die neuen Ziele, wie die Lissabon-Agenda und die Nachhaltigkeit.

Die Kommission teile die Meinung des EP, den Konsens aus dem Konvent bei den letzten Verhandlungen in der Regierungskonferenz nicht in Frage zu stellen. Rückschritte könne man den Bürgern nicht erläutern.

Angesichts der Ratifizierungsverfahren, und der eventuell anstehenden Referenden sei es grundlegend, dass eine öffentliche Debatte über die Verfassung abgehalten werde. Diese dürfe nicht in 25 nationale Debatten ausarten. Es müsse eine einheitliche europäische Debatte geben.

Vertreter der Fraktionen:
Hans-Gert POETTERING (EVP-ED, D) zog Bilanz über die Vergangenheit der Europäischen Einigung. Er sah mit Optimismus der Zukunft unseres Kontinents entgegen. Parallel zu den Erweiterungen habe es in der Vergangenheit immer Vertiefungen gegeben.

Die irische Ratspräsidentschaft führe die Verhandlungen mit Visionen, mit Pragmatismus und mit gutem Willen. Sie habe es ebenso wie Europa verdient, jetzt eine Verfassung zu bekommen. Seine Fraktion wünsche, dass in die Präambel eine Bezugnahme auf das christlich-jüdische Erbe Europas aufgenommen werde. Eine Einschränkung der Haushaltsrechte des EP dürfe nicht zugelassen werden. Die europäische Verfassung sei ein großer Fortschritt in vielen Bereichen. Europa werde handlungsfähiger und demokratischer. Die Verfassung sei ein Mittel, um die Einheit Europas zu erreichen.

Enrique BARÓN CRESPO (SPE, E) erinnerte daran, dass Jean Monnet gesagt habe, die Erfahrungen der Menschen begönnen immer wieder neu, nur Institutionen sammelten Erfahrungen. Dies wolle man mit der Verfassung erreichen.

Wichtig sei die Solidarität. Man müsse Schritt für Schritt vorgehen. Der Verfassungsentwurf in der vom Konvent ausgearbeiteten Form sei zu unterstützen. Einige Teile müssten noch verbessert werden, wie die Frage der Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit im Rat. Es müsse auch einen Legislativrat geben, da Gesetze öffentlich verabschiedet werden müssten. Der Vertreter des EP an der Regierungskonferenz müsse vollberechtigt an den Debatten teilnehmen können. Das EP müsse sofort über Entscheidungen informiert werden. Es sei wichtig, nicht nur bei der Zusammensetzung der Kommission Fortschritte zu erzielen. Die Amtsperioden des Europäischen Parlaments und der Kommission sollten identisch sein.

Andrew DUFF (LIBE, UK) erklärte, das Parlament sei ein beständiger Spieler in dem konstituierenden Prozess. Man habe Europa dabei unterstützt, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob die EU sich gleichzeitig erweitern und vertiefen könne. Die Antwort laute "Ja". Er erwarte, dass der Europäische Rat den politischen Willen an den Tag lege, um die Regierungskonferenz zu einem baldigen Abschluss zu führen. Die EU und ihre Rolle in der Welt würden dadurch gestärkt. Das EP dürfe nicht in der letzten Phase blasser werden. Präsident Cox müsse sich weiterhin voll und ganz an den Verhandlungen beteiligen. Mitentscheidungsbefugnisse des EP dürften nicht beschnitten werden. Der jüngste Vorschlag des irischen Ratsvorsitzes sehe eine Schwächung der Mitwirkungsbefugnisse des EP bei den Strukturfonds vor. Parlamentarische Rechenschaftspflicht und Kontrolle dürften nicht abgeschafft werden. Eine negative Einschätzung der Ergebnisse der Regierungskonferenz durch das EP könnte Schwierigkeiten für nachfolgende Referenden bedeuten.

Francis WURTZ (KVEL/NGL, F) erklärte, seine Fraktion sei davon überzeugt, dass man ein Europa brauche, um die Welt zu verändern. Man habe sich allerdings immer gegen ein liberales Verfassungsmodell eingesetzt. Es gebe nun viele Ideen, die in Widerspruch zu dem stünden, was er wolle. Wo stehe Europa denn jetzt? In der Eurozone seien mehr Arbeitsplätze zerstört als geschaffen worden. Jeder sechste Europäer habe nicht die notwendigen schulischen Grundkenntnisse. Man könne keine Wunder vom Europäischen Rat erwarten. Er wolle ein Referendum. Zuvor müsse es eine echte Debatte geben.

Monica FRASSONI (GRÜNE/EFA, B) kritisierte, dass die Arbeiten der Regierungskonferenz geheim blieben und man sich auf Einzelheiten verlassen müsse. Hinter dem Optimismus verberge sich ein Sieg der Regierungen, denen die Interessen Europas egal seien. Auch die Kommission vertrete eine andere Linie, als sie in Dublin gesagt habe.
   

Die Charta der Grundrechte werde durch die interpretative Klausel virtuell. Auch werde über Einschnitte in die Befugnisse des EP debattiert. Die Situation heute unterscheide sich vollständig von der gestrigen. Sie wolle nicht, dass man heute die Scherben des europäische Traumes von gestern aufsammele.

Es müsse eine Debatte über die Folgen eines negativen Ausgangs eines Referendums begonnen werden.

Für Rudolf ŽIAK (UEN, SK) sind Anpassungen an die neuen Bedingungen notwendig. Eine Annahme der Verfassung sei nicht möglich, wenn die Bürger Europas den Text nicht kennen würden. Man müsse die Stimme jedes Bürgers hören. Die Bürger müssten selbst entscheiden dürfen, wie es mit Europa weitergehe. Die Zielsetzung der EU sollte nicht die Schaffung eines Superstaates, sondern vielmehr eines supranationalen Körpers unter Berücksichtigung der Souveränität der Mitglieder sein. Europa sollte auf dem Grundsatz der Gleichheit der Mitglieder aufgebaut werden.

William ABITBOL (EDU, F) erklärte, bei den Europawahlen würden ca. 300 Millionen Wähler aufgerufen zu wählen, ohne dass sie eine Antwort auf die wichtigen Fragen hätten. Die europäischen Völker und Bürger würden mit Missachtung behandelt. Es sei nicht zu akzeptieren, dass die Verfassung erst nach den Wahlen vorgelegt werden solle. Dies sei nur ein weiterer Stein in der Mauer zwischen dem Europa der Institutionen und dem Europa der Völker. Der Juni-Gipfel sollte um eine Woche vorgezogen werden.

Georges BERTHU (FL, F) erklärte, Europa habe eine Geschichte voller Versprechungen hinter sich. Es müsse seine Funktionsweise nun revolutionieren. Bisher sei Europa auf einem altem Modell aufgebaut. Die Verfassung folge diesem ungeeigneten supranationalen Modell. Man benötige die Legitimität der nationalen Demokratien. Diese müssten wiederbelebt werden.

Weitere deutschsprachige Abgeordnete:
Klaus HÄNSCH (SPE, D) begrüßte die Entschlossenheit der irischen Ratspräsidentschaft. Nur mit der Verfassung könne Europa seiner weltpolitischen Verantwortung gerecht werden. Ohne die Verfassung werde die EU zur Zollunion regenerieren. Mit einer Verfassung könne die EU ihre Attraktivität zurückgewinnen. Ein Scheitern wäre mehr als das Ende einer großen Hoffnung, es wäre ein Anfang vom Ende von Europa.

Ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten sei keine Alternative zur Verfassung. Das Schlüsselwort der Verfassung sei Gleichgewicht. Die Verfassung stelle ein Gleichgewicht her durch gleiche Partizipation aller Staaten. An die Stelle des Gleichgewichts der Mächte des alten Europas setzte die Verfassung das Gleichgewicht und die Legitimation der Institutionen.

Die Union der Europäer auf der Grundlage der Verfassung sei unsere Antwort auf die Globalisierung. Die Verfassung sei historisch die Neugründung der Europäische Union.
Sylvia-Yvonne KAUFMANN (KVEL/NGL, D) erklärte, die Öffentlichkeit wisse nicht, was konkret verhandelt werde. Sie appellierte daran, dem Drängen der EZB nach Reduktion der Zielbestimmungen nicht beizugeben. Teil III des Verfassungsentwurfs müsse an Teil I angepasst werden, um die soziale Dimension abzusichern. In die Präambel gehöre kein Gottesbezug.

Man brauche ein Referendum über die Verfassung. Sie plädierte für einen EU-weiten Volksentscheid am 8. Mai 2005.

Laut Claude TURMES (GRÜNE/EFA, L) soll auch die Frage von Euratom in der Verfassung behandelt werden. Dieser Vertrag, der noch aus dem letzten Jahrhundert stamme, rufe große Verzerrungen des Strommarktes hervor. Milliarden von Euro würden ausgegeben, um die Kernenergie tragfähig zu gestalten.

Hans-Peter MARTIN (FL, A) forderte dringend eine Verfassung. Die EU brauche eine Gewaltenteilung und eine direkte Bürgerbeteiligung. Man brauche eine Verfassung, um zu gewährleisten, dass der Westen bereit für den Beitritt des Ostens wird. Momentan habe man nicht die notwendigen Fundamente hierfür.

Man sei gezwungen, die EU von Grund auf neu zu gestalten. Die Verfassung müsse Volksabstimmungen in allen Ländern unterworfen werden. Man brauche mehr Transparenz. Es gebe keine Demokratie ohne Transparenz.

Elmar BROK (EVP-ED, D) erklärte, die Erarbeitung des Verfassungsentwurf im Konvent sei ein offener Prozess gewesen, an dem alle Legitimierten beteiligt gewesen seien.

Das Jahrhundertprojekt der Einigung Europas sei nun erreicht. Er hoffe, dass nun die praktischen Konsequenzen aus den Reden der letzten Tage gezogen würden. Wer für eine Wiedervereinigung Europas sei, müsse für die Verfassung sein. Niemand könne mehr in dieser Welt nur seine eigenen Interessen durchsetzen. Nur über ein gemeinsames Vorgehen könne die EU die Stärke entwickeln, um auch nationale Interessen durchzusetzen.
     
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