Bonn (alphagalileo) - Die DNA in den „Kraftwerken“ der Zelle, den so genannten Mitochondrien, wird gerne
zur Untersuchung von Verwandtschaftsverhältnissen herangezogen: Da nach gängiger Theorie beim Menschen
immer die Mütter ihre Mitochondrien an die Kinder weitergeben, nie aber die Väter, lassen sich aus den
DNA-Unterschieden vergleichsweise unkompliziert umfangreiche Stammbäume rekonstruieren – bis zurück zur
„Ur-Eva“. Wissenschaftler aus den USA, Dänemark und Bonn haben das Dogma der rein mütterlichen Vererbung
mitochondrialer DNA (mtDNA) nun erschüttert: Aus den Muskelzellen eines 28-jährigen Mannes konnten sie
mitochondriales Erbgut isolieren, das auch Sequenzen aus der mtDNA des Vaters enthielt. Die Ergebnisse sind nun
im Wissenschaftsmagazin Science (Band 304 Nr. 5673, Mai 2004) erschienen; sie könnten unser Bild von der menschlichen
Evolution nachhaltig verändern.
Mitochondrien sind die Energielieferanten des Körpers. In jeder Zelle gibt es oft mehrere hundert Exemplare
dieser Minikraftwerke, die im Unterschied zu anderen Zellorganellen ein eigenes ringförmiges DNA-Molekül
besitzen. Vor einer Zellteilung vermehren sich auch die Mitochondrien und verteilen sich anschließend auf
die Tochterzellen.
Die mtDNA schien sich hervorragend für die Aufstellung von Stammbäumen zu eignen: Nach gängiger
Theorie stammen nämlich beim Menschen alle Mitochondrien eines Kindes aus der Eizelle der Mutter – die Zellkraftwerke
des Spermiums befinden sich in dessen „Hals“, und der nimmt nicht an der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle teil.
Veränderungen in der mtDNA können nach dieser Hypothese daher nicht durch die Vermischung väterlichen
und mütterlichen Erbguts entstehen, sondern sind einzig und allein auf zufällige Mutationsereignisse
zurückzuführen. Ohne derartige Mutationen hätten heutige Menschen in ihren Mitochondrien noch genau
die selbe DNA wie die „Ur-Eva“ vor hunderttausenden von Jahren. Nun mutiert mtDNA aber mit relativ hoher und sehr
konstanter Geschwindigkeit. Wenn man die mtDNA zweier Ethnien miteinander vergleicht, kann man daher anhand der
Anzahl von Unterschieden relativ genau sagen, wann sich diese Volksstämme voneinander trennten. So folgerten
Evolutionsbiologen beispielsweise aus genetischen Daten, dass die amerikanische Urbevölkerung am engsten mit
den ersten Bewohnern Japans verwandt ist.
Professor Dr. Wolfram S. Kunz konnte nun jedoch zusammen mit Kollegen aus den USA und Dänemark entgegen der
gängigen Auffassung in den Muskelzellen eines 28-jährigen Mannes mit einer mitochondrialen Erkrankung
auch mtDNA des Vaters nachweisen. Durch Rekombination, das heißt den Austausch ähnlicher Erbgutsequenzen,
war in einigen Mitochondrien augenscheinlich eine Art „Patchwork-DNA-Molekül“ entstanden, das neben mütterlichen
auch väterliche mtDNA-Sequenzen enthielt. Bislang war strittig, ob menschliche mtDNA überhaupt rekombinieren
kann. Derartige Rekombinationsereignisse können natürlich sehr schnell zu drastischen Änderungen
in der mitochondrialen DNA führen. „Wir wissen noch nicht, wie häufig solche Ereignisse wirklich sind“,
erklärt Professor Kunz, „dennoch habe unsere Ergebnisse für die genetische Stammbaumanalyse höchste
Relevanz.“ |