Bundeskanzler Schüssel bei Festveranstaltung zum Europatag
Wien (bpd) - "Die aktuellen europäischen Entwicklungen, besonders die EU-Erweiterung, sind
ein erlebter Traum, eine verwirklichte Vision. Wir müssen aber mit den Füßen auf dem Boden der
Realität bleiben. Das bedeutet, europäische Ansprüche und nationale Forderungen in der gelebten
Wirklichkeit zu verbinden", betonte Bundeskanzler Schüssel in einer Podiumsdiskussion im Rahmen der vom
EU-Parlament und der EU-Kommission organisierten Festveranstaltung anlässlich des Europatages im Palais Ferstel.
"Europa hat durch die Erweiterung seine Qualität geändert, es ist komplizierter geworden. Gleichzeitig
stehen wir am Beginn eines umfassenden Europas. Wir müssen eine seriöse Diskussion führen und uns
folgenden Fragen stellen: Wie soll die künftige Organisation der EU aussehen? Wie sollen wir die Europäische
Verfassung gestalten? Welche Aufgaben sollen die Union, welche die Mitgliedstaaten wahrnehmen? Wo sind unsere Grenzen?
Bei diesen Themen dürfen wir nicht polarisieren, sondern müssen mehr Zeit und Phantasie für Lösungen
einbringen", so Schüssel weiter und betonte, dass es nicht möglich sein werde, unbegrenzt vielen
Staaten eine Vollmitgliedschaft in Aussicht zu stellen. "Aber ein Ring an Freunden ist verwirklichbar",
so Schüssel.
Der Bundeskanzler sagte, dass die Verabschiedung einer EU-Verfassung dringend notwendig sei. "Wenn dies scheitern
sollte, wird das negative Auswirkungen auf die künftige europäische Entwicklung haben. Zurzeit ist zwar
wenig Substantielles sichtbar, aber ich bin hoffnungsfroh", so Schüssel. Hinzu komme, dass man im Rahmen
der Verfassungsdiskussion die falschen Themen hochspiele. "Die Diskussion um die Stimmgewichtung im Rat ist
eine virtuelle Debatte. Tatsache ist, dass egal nach welchen Abstimmungsregeln, ob jetzt die im Nizzavertrag festgelegten
oder die im Rahmen der Verfassung diskutierten, Entscheidungen getroffen werden, der Unterschied im Abstimmungsverhalten
relativ gering ist", betonte der Bundeskanzler. Vielmehr müsse man hervor streichen, dass die 60 Jahre
Frieden, in dem der Großteil der europäischen Bevölkerung leben, Resultat des europäischen
Einigungsprozesses sei. Falsch sei es auch, den Europawahlkampf als virtuelle Volksabstimmung über den Türkei-Beitritt
oder als innenpolitischen Denkzettel zu gestalten. "Klar ist, wir brauchen nun eine Denkpause, um die aktuelle
Erweiterung zu verkraften. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, welche Integrationsschritte innerhalb kürzester
Zeit gut gelaufen sind. Deshalb wünsche ich mir, dass wir die Neugier auf die Neuen wach halten, dass wir
uns nicht selbst genügen, sondern auf die Themen der anderen eingehen. Deshalb ist auch die Europawahl wichtig,
denn nur eine hohe Wahlbeteiligung stärkt das EU-Parlament", so Schüssel abschließend. |