Brüssel (eu-int) - Mit einer formellen Entscheidung hat die Europäische Kommission dafür
gesorgt, dass in Kürze neue Zusagen der US-Regierung zum Tragen kommen, die den Datenschutz in den USA für
Passagiere von Transatlantikflügen gewährleisten. Laut dieser Entscheidung geht die Kommission davon
aus, dass die an die US-Behörden übermittelten Flugpassagierdaten „angemessen geschützt" werden.
Nur wenn dieser „angemessene Schutz" gewährleistet ist, dürfen nach der EU-Datenschutzrichtlinie
personenbezogene Daten in Länder außerhalb der EU übermittelt werden. In der Verpflichtungserklärung,
die die Kommission im Laufe des letzten Jahres mit dem US-Ministerium für Heimatschutz (Department of Homeland
Security - DHS) ausgehandelt hat, sagen die Vereinigten Staaten zu, weniger personenbezogene Daten als geplant
aus den Fluggastdatensätzen (Passenger Name Records - PNR) von Luftfahrtgesellschaften zu erheben, diese Daten
für einen sehr viel kürzeren Zeitraum als ursprünglich geplant zu speichern und sie nur für
enger eingegrenzte Zwecke zu nutzen, vornehmlich für das gemeinsame Ziel der Terrorismusbekämpfung. Die
Entscheidung wird in Kraft treten, sobald die Vereinigten Staaten ihre Verpflichtungserklärung und der Rat
und die Vereinigten Staaten das internationale Abkommen unterzeichnet haben, das die „Angemessenheitsfeststellung"
ergänzt.
Dazu der Verhandlungsführer auf Kommissionsseite, Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein: „Verhandlungslösungen
sind nie perfekt, vor allem dann nicht, wenn Ihnen ein Gesetz entgegengehalten wird, das der US-Kongress in der
verständlichen Überzeugung verabschiedet hat, dass es für den Schutz der USA gegen den Terrorismus
unerlässlich ist. Der Minister für Heimatschutz Tom Ridge war allerdings sehr konstruktiv; so konnten
wir eine ausgewogene Lösung erzielen, die von den Mitgliedstaaten mitgetragen wird. Das Europäische Parlament
ist zwar anderer Meinung, die Kommission vertritt aber die Auffassung, dass die ausgehandelte Lösung die Situation
für EU-Bürger und -Fluggesellschaften verbessern wird, weil damit wichtige Datenschutzgarantien der USA
wirksam werden und die Rechtssicherheit erhöht wird. Wir suchen keine Konfrontation mit dem Parlament, das
uns mit seinem starken politischen Druck seit März 2003 geholfen hat, der US-Seite Verbesserungen abzuringen.
Wir glauben indessen, dass wir die Ziele bestmöglich absichern, auf die wir im letzten Jahr hingearbeitet
haben: zum einen besseren Datenschutz und mehr Rechtssicherheit für die Fluggesellschaften, die nach den US-Gesetzen
verpflichtet sind, diese Daten zu liefern, zum anderen die Vermeidung unnötiger Verzögerungen für
die Flugpassagiere.
Die Alternative wäre nicht etwa weitere Konzessionen der USA gewesen, sondern vielmehr Rechtsunsicherheit
und die Gefahr, dass die Vereinigten Staaten ihre Datenschutzzusagen zurückgezogen hätten - mit anderen
Worten: Chaos für EU-Passagiere und -Fluggesellschaften."
Nach den Ereignissen des 11. September 2001 hat der US-Kongress ein Gesetz verabschiedet, das alle Fluggesellschaften,
die Flüge in die, aus den oder durch die USA durchführen, verpflichtet, den US-Behörden elektronischen
Zugang zu ihren Fluggastdatensätzen zu gewähren. Die Vereinigten Staaten waren bereit, die Anwendung
dieser Vorschriften auf Fluggesellschaften mit Sitz in der Europäischen Union mehrmals zu verschieben, weil
die Fluggesellschaften, unterstützt von der Europäischen Kommission, Bedenken anmeldeten, dass sie damit
gegen das EU-Datenschutzrecht verstoßen könnten. Der US-Zoll teilte dann jedoch mit, ab 5. März
2003 würden Fluggesellschaften, die keine PNR-Daten lieferten, bestraft. Daraufhin nahm die Kommission intensive
Verhandlungen mit dem US-Heimatschutzministerium auf um sicherzustellen, dass in die USA übermittelte Fluggastdaten
angemessen geschützt werden, so wie es die EU-Datenschutzrichtlinie verlangt. Unterdessen begannen die meisten
EU-Fluggesellschaften, den Vereinigten Staaten die geforderten Daten zur Verfügung zu stellen.
Im Dezember 2003 teilte die Kommission mit, sie habe ihre Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten zu einem zufrieden
stellenden Abschluss gebracht und sei bereit, das offizielle Verfahren für die Verabschiedung einer Kommissionsentscheidung
einzuleiten, mit der der Zoll- und Grenzschutzbehörde (Bureau of Customs and Border Protection - CBP) der
Vereinigten Staaten ein angemessener Datenschutz bescheinigt wird. Die so genannte „Verpflichtungs- erklärung"
der Behörde beinhaltete wesentliche Verbesserungen des Datenschutzes gegenüber der gegenwärtigen
Situation. insbesondere:
- Es werden weniger Daten von den US-Behörden erhoben und gespeichert als ursprünglich beabsichtigt.
Es wurde eine Liste von 34 Datenkategorien vereinbart (die Fluggastdatensätze mancher Fluggesellschaften umfassen
über 60 Felder), wobei in den individuellen Datensätzen meist nur eine begrenzte Zahl dieser Felder ausgefüllt
sein wird.
- Sensible Daten wie beispielsweise Angaben über die Bestellung von Mahlzeiten oder andere Reisedaten, aus
denen sich die Rasse, die Religion oder der Gesundheitszustand des Passagiers ableiten lassen, werden entweder
gar nicht übermittelt oder, falls sie übermittelt werden, herausgefiltert und vom CBP gelöscht.
- Die PNR-Daten werden nur für die Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus, mit dem Terrorismus
verknüpfter Straftaten und schwerer länderübergreifender Straftaten einschließlich der organisierten
Kriminalität verwendet, und nicht wie ursprünglich von den Vereinigten Staaten vorgesehen für sehr
viel umfassendere Strafverfolgungszwecke.
- Es wird keine pauschale Weitergabe der PNR-Daten an andere Behörden geben. Damit wird Bedenken hinsichtlich
der Verwendung dieser Daten in allgemeinen Überwachungssystemen Rechnung getragen, an denen die USA wohl arbeiten.
Das CBP wird ihm überlassene Daten aus den Fluggastdatensätzen nur von Fall zu Fall und nur für
die ursprünglich vereinbarten Zwecke weitergeben. Wenn aus der EU stammende Daten unter diesen strengen Bedingungen
an Strafverfolgungsbehörden außerhalb der Vereinigten Staaten weitergegeben werden, wird automatisch
eine designierte Behörde in der EU benachrichtigt.
- Die meisten PNR-Daten werden nach dreieinhalb Jahren gelöscht werden (ursprünglich wollten die USA
die Daten fünfzig Jahre speichern). Datensätze, auf die zugegriffen wurde, werden in einer Datei für
gelöschte Daten weitere acht Jahre zu Kontrollzwecken aufbewahrt (ursprünglich wollte man sie für
unbegrenzte Zeit aufbewahren).
- Die EU-Datenschutzbehörden werden mit dem Datenschutzbeauftragten des Heimatschutzministeriums die Fälle
erörtern können, in denen Beschwerden von Passagieren, z. B. über einen etwaigen Missbrauch ihrer
Daten oder eine nicht erfolgte Berichtigung, vom Heimatschutzministerium nicht zufrieden stellend behandelt worden
sind.
- Um die Einhaltung der Zusagen zu gewährleisten wird mindestens einmal jährlich eine gemeinsame Überprüfung
erfolgen, und zwar durch das Ministerium für Heimatschutz und ein von der Kommission geführtes Team aus
der EU, dem auch Vertreter der Datenschutz- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten angehören.
In dem von der EU und den USA vereinbarten Paket ist auch der Grundsatz der Gegenseitigkeit festgeschrieben für
den Fall, dass die EU oder ihre Mitgliedstaaten ähnliche Daten für Flüge aus den Vereinigten Staaten
verlangen. Außerdem verpflichten sich die USA, Personen, die keine US-Staatsangehörigen sind bzw. keinen
Wohnsitz in den USA haben, gegenüber Bürgern und Einwohnern der USA nicht in ungesetzlicher Weise zu
benachteiligen. Das gesamte Paket läuft nach dreieinhalb Jahren aus, wenn beide Seiten keine Verlängerung
vereinbaren. Es handelt sich also um eine weitere Zwischenlösung. Die Kommission hofft indessen, dass diese
Lösung zu gegebener Zeit durch von der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) vereinbarte Standards
ersetzt wird. Die EU hat vor kurzem Gespräche bei der ICAO über die Verwendung von PNR-Daten für
Zwecke des Grenzschutzes und der Flugsicherheit initiiert.
Damit der verbesserte Datenschutz und die anderen Vorteile zum Tragen kommen, sind zwei Rechtsinstrumente erforderlich:
Beim ersten handelt es sich um die Entscheidung der Kommission nach Artikel 25 Absatz 6 der Datenschutzrichtlinie,
mit der festgestellt wird, dass die US-Zoll- und Grenzschutzbehörde als Empfänger und „Eigentümer"
der Daten in den USA aufgrund der abgegebenen Verpflichtungserklärung einen „angemessenen Datenschutz"
bietet. Das zweite ist ein bilaterales internationales Abkommen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten, das
die „Angemessenheitsfeststellung" ergänzt und in dem eine Reihe von Fragen geregelt sind, beispielsweise
die Gleichbehandlung und Gegenseitigkeit sowie der Direktzugriff des CBP auf die Datenbanken der Fluggesellschaften,
solange kein EU-System zur aktiven Übermittlung solcher Daten eingerichtet wurde. Mit diesem Abkommen wird
außerdem die US-amerikanische Auflage für Fluggesellschaften, PNR-Daten bereitzustellen, zu einer Auflage
nach EU-Recht. Zuständig für den Abschluss des internationalen Abkommens ist gemäß Artikel
300 Absatz 3 EG-Vertrag der EU-Ministerrat. Die US-Verpflichtungserklärung und die Verbesserungen, die sie
beinhaltet, werden wirksam, sobald die Angemessenheitsfeststellung verabschiedet und das internationale Abkommen
geschlossen ist.
Eine große Mehrheit der Mitgliedstaaten unterstützt den Kurs der Kommission. Hingegen hat das Europäische
Parlament am 31. März 2004 eine Entschließung verabschiedet, in der es zum Ausdruck bringt, dass es
die US-Verpflichtungserklärung nicht als Gewähr für einen angemessenen Datenschutz betrachte, und
die Kommission auffordert, die Entscheidung zurückzuziehen und ein substanzielleres Abkommen mit den Vereinigten
Staaten auszuhandeln.
Am 21. April hat das Parlament ferner beschlossen, beim Gerichtshof ein Gutachten zu der Frage einzuholen, ob das
internationale Abkommen nicht dem Parlament zur Zustimmung hätte vorgelegt werden müssen, da damit die
Datenschutzrichtlinie geändert werde.
Nach gängiger Rechtsprechung des Gerichtshofes wird das Ersuchen des Europäischen Parlaments um ein Gutachten
gegenstandslos, wenn das Abkommen vom Rat geschlossen wird. Dann hätte das Parlament jedoch die Möglichkeit,
seine Befugnisse nach Artikel 230 EG-Vertrag wahrzunehmen und die Nichtigerklärung des internationalen Abkommens
oder der Angemessenheitsentscheidung oder beider Texte zu beantragen.
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