Nationalrat beschließt einstimmig einheitliches Tierschutzgesetz
Wien (pk) - Ein großer Tag für den Tierschutz und ein großer Tag für Österreich
- das war der Tenor der Wortmeldungen in der Sitzung des Nationalrats am Donnerstag (27. 05.),
in der einstimmig eine bundeseinheitliche Regelung für den Tierschutz beschlossen wurde. Redner aller vier
Fraktionen und Mitglieder der Bundesregierung, einschließlich des Bundeskanzlers, feierten die Beschlussfassung
als Erfolg, wiesen aber auch darauf hin, dass man im Sinne einer Ausgewogenheit zwischen dem Anliegen des Tierschutzes
und wirtschaftlichen Interessen Abstriche bei eigenen Vorstellungen machen und Kompromisse schließen habe
müssen.
Vor Eingang in die Tagesordnung teilte der Vorsitz führende Präsident Dr. KHOL mit, dass von den Regierungsfraktionen
eine Dringliche Anfrage an die Außenministerin betreffend "Österreichs Haltung zur Außen-
und Sicherheitspolitik sowie zur Verfassung der Europäischen Union" eingebracht wurde. Außerdem
liege ein Verlangen auf Abhaltung einer kurzen Debatte über die Beantwortungeiner Anfragean den Bundeskanzler
betreffend "Europäisches Jahr der Erziehung durch Sport 2004" vor. Die Debatte über die Dringliche
Anfrage beginnt um 15 Uhr; im Anschluss daran findet die kurze Debatte über die Anfragebeantwortung statt.
Der Bericht des Verfassungsausschusses, der die Grundlage für die Beschlussfassung bildet, fasst folgende
Verhandlungsgegenstände zusammen: V-Antrag 2/A, S-Anträge 5/Aund 9/A, G-Antrag 12/A, S-G-Antrag 127/A
sowie S-Antrag 184/Aund die Regierungsvorlage 446 d.B.
Es sei nicht immer einfach, Tierschutz-Sprecherin in der ÖVP zu sein, eröffnete Abgeordnete Dr. BAUMGARTNER-GABITZER,
Obfrau des für die Materie zuständigen Verfassungsausschusses und Verhandlungsführerin ihrer
Fraktion, die Debatte. Es gelte ja, den Tierschutz und die Interessen der bäuerlichen Betriebe miteinander
zu verbinden. "Es war ein schwieriger Weg", bekannte sie denn auch und dankte den Betrieben, den Tierschutz-SprecherInnen
der anderen Fraktionen sowie den am Zustandekommen des Gesetzes beteiligten Experten. Tierschützer und Menschen,
die von Tieren leben, hätten einen sehr unterschiedlichen Zugang zum Thema, sagte Baumgartner-Gabitzer, zumal
die österreichischen Betriebe sich in Konkurrenz zu Betrieben in Ländern befänden, die überhaupt
keinen Tierschutz kennen. Österreich sei etwa bezüglich der Haltung von Legehennen europaweit an der
Spitze, drei Jahre, bevor eine derartige Regelung in der EU in Kraft trete, werde es in Österreich keine Käfighaltung
geben. Durch die Zertifizierung neuer Haltungssysteme hätten die Betriebe Rechtssicherheit, meinte die Rednerin.
Ihre Fraktion habe im Übrigen - etwa beim Tierombudsmann - auch Vorstellungen anderer Fraktionen übernommen.
Auf dem jetzt erreichten einheitlichen Grundkonsens gelte es aufzubauen, betonte Baumgartner-Gabitzer.
Auch für Abgeordnete Mag. SIMA (S) ist der Tag der Beschlussfassung "ein historischer Tag für
den Tierschutz, auf den viele Menschen lange warten mussten". Das "heillose Durcheinander" im Tierschutz
gehöre der Vergangenheit an. Sima zeigte sich stolz, dass die SPÖ für sie wichtige Punkte habe durchsetzen
können. Im Einzelnen nannte sie die Abschaffung der Käfigbatterien mit Beginn 2009, die Einrichtung der
Tier-Ombudschaft, das Verbot von Elektroschockgeräten, der Kettenhundhaltung und der Haltung von Heimtieren
in Tierhandlungen. Sima appellierte an die KonsumentInnen, nur "glückliche Eier" - ein derartiges
Exemplar hatte Sima zu Demonstrationszwecken mitgebracht - zu kaufen. Mit Augenmaß habe man zu großzügigen
Übergangsfristen gefunden, führte die Abgeordnete weiter aus. Kritisch wandte sie sich gegen eine Inseratenserie
des NÖ Bauernbundes und forderte, Bauern und Tierschutz sollten nicht länger gegen einander ausgespielt
werden. Vieles habe man zum Besseren verändert, fasste Sima abschließend zusammen, das Gesetz sei aber
auch ein "Startschuss für neue Aktivitäten".
Der Tag der Beschlussfassung des bundeseinheitlichen Tierschutzgesetzes sei "ein großer Tag für
die Freiheitlichen", fand Abgeordneter WITTAUER (F), Tierschutzsprecher seiner Fraktion, und erinnerte
daran, dass Herbert Haupt 1986 diese Forderung erhoben habe. Zum Dank für diese Initiative überreichte
er dem auf der Regierungsbank sitzenden Sozialminister einen braunen Plüschhund. Die Freiheitlichen hätten
90 % ihrer Forderungen durchgesetzt, resümierte Wittauer, sprach aber auch Schwierigkeiten an. In diesem Zusammenhang
kam er auf die Regelung hinsichtlich der rituellen Schlachtung zu sprechen, durch die Tierleid nur verkürzt,
aber nicht beseitigt worden sei. Er werde aber weiter dafür kämpfen, dass die Betäubung vor und
nicht erst unmittelbar nach dem Schächtschnitt erfolge. Wittauer - er ist Landwirtschaftsmeister - wies im
weiteren auf die Notwendigkeit der Hilfestellung für die klein strukturierte österreichische Landwirtschaft
hin, etwa im Zusammenhang mit dem Umstieg von der Käfighaltung von Hühnern und bei den Änderungen
hinsichtlich der Anbindehaltung von Rindern. Als "Wermutstropfen" wertete Wittauer, dass die Staatszielbestimmung
Tierschutz nicht schon jetzt in die Verfassung komme und wies auf den entsprechenden, dem Ausschussbericht bereits
beigedruckten Antrag hin.
Der Sieg habe immer viele Väter und Mütter, stellte die Tierschutz-Sprecherin der Grünen, Abgeordnete
Mag. WEINZINGER, fest, und beim bundeseinheitlichen Tierschutzgesetz gelte das besonders. Sie erinnerte an
die 460.000 Unterschriften unter das Tierschutz- Volksbegehren des Jahres 1996 - den entsprechenden Stoß
Mappen und Papier hatte sie zur Veranschaulichung auf dem Rednerpult deponiert. Das neue Gesetz sei ein Erfolg
für die Demokratie, sagte sie in diesem Zusammenhang. Es sei aber auch ein Erfolg für die Humanität
in Österreich, weil damit das Tier als "leidensfähiges Wesen" anerkannt werde. Es sei ein Erfolg
für den Tierschutz, aus dem sich auch die Verpflichtung ergebe, den Tierschutz aktiv wahr zu nehmen. Mit dem
Gesetz würden einige der Hauptforderungen des Volksbegehrens - bundeseinheitliche Regelung, ideelle und finanzielle
Förderung des Tierschutzes, Tierschutz im Verfassungsrang - erfüllt. Trotz der Erfolge habe es aber auch
"bittere Kompromisse" gegeben, meinte die Abgeordnete. Im Einzelnen nannte sie die Tatsache, dass große
Bereiche nicht gesetzlich geregelt bzw. im Verordnungsweg geregelt würden. Defizite gebe es auch bei der Schweinehaltung,
speziell im Hinblick auf die Spaltböden, beim nach wie vor erlaubten Kastrieren von Ferkeln ohne Betäubung.
Als Zwischenbilanz könne man aber sagen: "Ein Anfang ist gemacht", sagte Weinzinger.
Bundeskanzler Dr. SCHÜSSEL skizzierte zunächst die Dimension des Kreises der "Betroffenen":
In Österreich gebe es über 3 Mill. Schweine, 2 Mill. Rinder, 12 Mill. Hühner, 300.000 Schafe, über
1,5 Mill. Katzen, 600.000 Hunde und 600.000 andere Heimtiere. Der Tierschutz beginne nicht erst heute, Österreich
mit seiner Familien-Landwirtschaft sei ein herausragendes Beispiel, dass Themen, die national und international
auf der Tagesordnung stehen, ernst genommen würden. Die heutige Beschlussfassung baue auf einer langjährigen
Tradition auf; neu sei, dass es nun einheitliche Tierschutz-Standards in Österreich gebe. Es sei gut gewesen,
in die Verhandlungen alle einzubinden, führte der Bundeskanzler aus.
Das Parlament beweise mit seinem heutigen Beschluss, dass man Tierschutz, Menschenschutz, Betriebsschutz und Naturschutz
nicht gegeneinander ausspielen darf, sondern vielmehr zusammenführen muss, betonte Schüssel. Österreich
werde sich nun, wie der Kanzler ankündigte, dafür einsetzen, dass die Grundsätze dieses Gesetzes
auch auf europäischer Ebene verankert werden. Er appellierte in diesem Sinn an die Abgeordneten, die österreichischen
Tierschutzprinzipien in den EU-Gremien zu einem europäischen Aktionsprogramm zu machen.
Wichtig war für Schüssel zudem, dass dem Gesetzesbeschluss nun in einem zweiten Schritt auch Handel und
Konsumenten Rechnung tragen, gehe es doch darum, Tierschutz zu exportieren und nicht über Billigprodukte Tierleid
zu importieren, unterstrich Schüssel.
Abgeordneter GRILLITSCH (V) bekannte sich zum neuen Gesetz, das er nicht als Sieg, sondern als Friedensschluss
zwischen Bauern und Tierschutz bezeichnete. Nun gelte es aber, den Bauern die notwendige Trittfestigkeit zur Bewältigung
der Umstellungsmaßnahmen zu geben, mahnte er.
Das Ergebnis der Verhandlungen stimme ihn, wie er sagte, zwar nicht glücklich, erfülle ihn aber mit Hoffnung.
Als besonders schmerzlich empfand Grillitsch das Käfighaltungsverbot, wobei er zu bedenken gab, hier gehe
es um bäuerliche Familien, die in ihrer Existenz bedroht sind. Mit Nachdruck forderte er daher entsprechende
Begleitmaßnahmen für die Bauern und meinte zugleich, die nunmehr höheren Produktionskosten müssten
letztlich auch durch höhere Preise für die Bauern ausgeglichen werden.
Im Übrigen sah auch Grillitsch die Konsumenten angesprochen. Tierschutz könne nicht nur durch Gesetz
festgelegt werden, er sei auch eine Frage des Kaufverhaltens. Grillitsch rief deshalb die Bevölkerung dazu
auf, sich für österreichische Lebensmittel zu entscheiden.
Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (S) sah in der Vier-Parteien-Einigung eine Feierstunde des Parlamentarismus.
Wenn heute nicht alle mit dem Gesetz zufrieden sind, so entspreche dies dem Wesen eines Kompromisses in einer Materie,
wo viele unterschiedliche Interessen betroffen sind. Nach dieser Einigung sollten nun aber alle zu dem Gesetz stehen,
betonte Gusenbauer, der in diesem Zusammenhang kritisch auf die Inseratenkampagne des Bauernbundes reagierte.
Auch Gusenbauer sprach die europäische Ebene an und meinte, der heutige Beschluss sollte der Beginn einer
Kampagne in der EU mit dem Ziel sein, Lebendtiertransporte zu verbieten. Eine große Verantwortung komme überdies
den österreichischen Konsumenten zu, die nach den Worten Gusenbauers nun dazu aufgerufen sind, jene heimischen
Produkte zu kaufen, die aus artgerechter Haltung stammen.
Resümierend stellte der Redner fest, wenn jede Regierungsvorlage zu einem solchen Ergebnis führte wie
dieses Gesetz, dann wäre dies eine tatsächliche Qualitätssteigerung in der parlamentarischen Arbeit.
Abgeordneter DI SCHEUCH (F) bemerkte, als Bauernvertreter habe er heute ein lachendes und ein weinendes
Auge. Er zeigte sich irritiert über die Diskussion im Vorfeld des Beschlusses, die seiner Meinung nach gegen
die Bauern gerichtet war. Auch sei er sich der Probleme bewusst, die die neuen Tierschutzstandards nun für
die Bauern bringen werden. Es habe jetzt vor allem darum zu gehen, den Bauern die notwendigen Rahmenbedingungen
zu geben, damit sie die Vorgaben des Gesetzes auch erfüllen können.
Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG (G) begrüßte den Konsens, meinte aber, es gebe noch viel zu tun.
Sie forderte einheitliche Regelungen auch auf den Gebieten Jagd und Fischerei sowie die Verankerung des Tierschutzes
als Staatsziel in der neuen Verfassung. Klar war sich Glawischnig auch über die Notwendigkeit finanzieller
Unterstützungen an die Bauern für die Umrüstung auf artgerechte Haltungssysteme.
Bundesminister Mag. HAUPT erinnerte an den langen Weg der Gesetzeswerdung und stellte zufrieden fest, am
Ende dieses Prozesses stehe nun ein modernes Gesetz, das den Tierschutz und die Bauern in ihrem Miteinander stärkt.
Haupt sah die Vier-Parteien-Einigung aber auch als Signal an die EU, dass der Tierschutz in Österreich einen
höheren Stellenwert einnimmt als in anderen Mitgliedsländern.
Abgeordneter Dr. LOPATKA (V) führte den Konsens auf die Bereitschaft zurück, aufeinander zuzugehen
und dabei die Sache und nicht die Parteipolitik in den Vordergrund zu stellen. Jeder Abgeordnete könne heute
mit gutem Gewissen diesem modernsten Tierschutzgesetz der EU zustimmen, dies sei auch ein wichtiges Signal an Europa,
sagte er. Ziel müsse es nun sein, das, was in Österreich erreicht wurde, auch auf die europäische
Ebene zu tragen.
Abgeordneter GRADWOHL (S) drängte ebenfalls darauf, nun den Grundsätzen des Gesetzes auch in der
EU zum Durchbruch zu verhelfen, und appellierte an Landwirtschaftsminister Pröll, sich in der Union für
die Abschaffung des Transportes von Lebendtieren einzusetzen.
In einem Entschließungsantrag der SPÖ forderte Gradwohl die Bereitstellung von Förderungsmitteln
für die Bauern zur Umstellung auf tierfreundliche Haltungssysteme.
Heute ist ein wichtiger und schöner Tag, und zwar nicht nur für den Tierschutz, sondern auch für
den Parlamentarismus, meinte Abgeordneter SCHEIBNER (F). Wenn man nämlich die ursprüngliche Regierungsvorlage
mit dem nun zu beschließendem Gesetz vergleicht, dann erkennt man, dass alle vier Fraktionen wesentlich an
den Abänderungen mitgewirkt haben. Außerdem sei es der gemeinsame Wille aller vier Parteien im Verfassungskonvent,
eine Staatszielbestimmung für den Tierschutz festzuschreiben. Auch im Grundrechtskatalog soll klar festgehalten
werden, dass Tierquälerei immer verboten sein soll. Was das Schächten angeht, so sei er froh darüber,
dass es zumindest gelungen sei, dass Betäubung und Schlachtung gleichzeitig erfolgen müssen. Vor allem
sei es verboten, diese Schächtungen in irgendwelchen Hinterhöfen und ohne tierärztliche Kontrolle
durchzuführen.
Auch Abgeordneter DI PIRKLHUBER (G) sprach von einem positiven Signal des österreichischen Parlamentarismus
und einem Meilenstein der Demokratiedebatte im Hohen Haus. Bei dieser Thematik sei nämlich sichtbar geworden,
dass es möglich sei, gute Lösungen zu entwickeln, wenn die Regierungsfraktionen bereit sind, sich die
Argumente der Opposition anzuhören und ernst zu nehmen. Das Bundestierschutzgesetz biete auch eine Riesenchance
für die Landwirtschaft, da es seiner Meinung nach ein Eckpfeiler einer sozialen und ökologischen Agrarpolitik
sei. Ein riesiger Erfolg sei etwa der Ausstieg aus der Käfighaltung spätestens ab 2008, weil damit auch
das Auseinanderdriften einer industriellen Landwirtschaft und einer bäuerlichen Landwirtschaft verhindert
wird. Positiv wertete Pirklhuber auch die Ausnahmebestimmungen hinsichtlich der kleinbäuerlichen Rinderhaltung
in den Berggebieten. |