Grüne Fraktion wählt Thema für Aktuelle Stunde im Nationalrat
Wien (pk) - Die Plenarsitzung des Nationalrates begann mit einer von den Grünen beantragten
Aktuellen Stunde am Mittwoch (26. 05.) zum Thema "Neoliberalismus oder soziales Europa".
Die Debattenbeiträge ließen zum Teil die Nähe des Termins für die Wahlen zum Europäischen
Parlament erkennen.
Abgeordneter Karl ÖLLINGER (G) betonte, dass Europa weit mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft sein
müsse. Dennoch sei heute festzustellen, dass die Entwicklung Europas zur Sozialunion völlig unzureichend
sei. Die Erweiterung, so Öllinger, habe man schlecht vorbereitet, weil die EU 15 nicht bereit gewesen seien,
den Beitrittsländern eine umfassende Hilfe in wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hinsicht angedeihen
zu lassen. Während man beim Stabilitätspakt harte, verbindliche Verträge unterschrieben und Sanktionen
sowie Messdatenerfolge fixiert habe, fehlten im gesamten Sozialbereich derartig strikte Vorgaben. In der Sozial-
und Beschäftigungspolitik gebe es lediglich unverbindliche Worte. Das Ergebnis seien 56 Millionen armutsgefährdete
und 18 Millionen arbeitslose Bürgerinnen und Bürger. Statt im Sozial- und Beschäftigungsbereich
sowohl national als auch auf europäischer Ebene verbindliche Maßnahmen vorzusehen, arbeite die Kommission
derzeit daran, die Arbeitszeiten auszudehnen. In die EU-Verfassung wolle man statt der Vollbeschäftigung die
Preisstabilität verankern. Das alles helfe jedoch nicht, Vollbeschäftigung und Wachstum zu sichern. Öllinger
hält es daher für notwendig, verbindliche Mindeststandards, zum Beispiel einen Mindestlohn in der Höhe
von 60 % des Durchschnittslohns, innerhalb eines Staates festzulegen, denn über 11 Millionen Menschen arbeiteten
momentan in einer Vollzeitbeschäftigung, ohne ausreichend für das tägliche Leben zu verdienen. Die
EU zeige zu wenig Kreativität zur Schaffung einer Sozialunion, der Steuerwettbewerb sei sicherlich nicht der
richtige Weg dazu. "Es muss Schluss sein mit dem neoliberalen Kauderwelsch", so Öllinger abschließend.
Bundesminister Dr. BARTENSTEIN ging aus seiner Sicht verwundert auf die Kritik Öllingers an der Politik
der EZB zur Preisstabilität und niedrigen Inflationsrate ein. Auch die Forderung des Grünen Mandatars,
ein Nichterreichen der Vollbeschäftigung mit Sanktionen zu belegen, bewertete er als nicht realisierbar, da
Vollbeschäftigung nicht leicht zu erreichen sei. Man könne lediglich die Vollbeschäftigung als Ziel
formulieren, sagte der Wirtschafts- und Arbeitsminister. Europas Wirtschaftsmodell beruhe auf den drei Säulen:
Wirtschaft, Soziales und Umwelt und stelle somit ein nachhaltiges Marktwirtschaftssystem dar. Dieses Dreieck müsse
im Gleichgewicht bleiben und damit unterscheide sich Europa bewusst vom angelsächsischen und asiatischen Modell.
"Sozial ist, was Arbeit schafft", sagte Bartenstein und räumte ein, dass 18 Millionen Arbeitslose
in Europa keinesfalls ein Zeichen für einen guten Arbeitsmarkt darstellten. Bartenstein verwies aber darauf,
dass Österreich die niedrigste Arbeitslosigkeit innerhalb der EU zu verzeichnen habe, dass seit dem Jahr 2000
80.000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden seien und die Öffnung Europas ab dem Jahr 1990 bis zum Jahr
2010 für zusätzlich 100.000 neue Arbeitsplätze sorgen werde. Laut Bartenstein geht es am 13. Juni
um zwei Wirtschaftsmodelle: Um dasjenige von Keynes mit der Schuldenpolitik oder um dasjenige von Schumpeter, Hayek
und Mises, das angebots- und nachfrageorientiert vorgehe, in Bildung, Forschung und Entwicklung investiere, die
Flexibilität des Arbeitsmarkts und die Deregulierung forciere.
Abgeordneter NEUGEBAUER (V) unterstrich, dass Europa ein Friedensprojekt sei und lehnte die Gegenüberstellung
Neoliberalismus versus soziales Europa als Schwarz-Weiß-Malerei ab. Die Gleichung, Europa sei neoliberal,
hält Neugebauer schlichtweg für falsch und wies unter anderem auf die Lissabon-Strategie hin. Unverständlich
war für ihn, dass Abgeordneter Öllinger der Teuerung das Wort rede, da diese die ArbeitnehmerInnen am
meisten treffen würde. Neugebauer gab zu, dass Europa die Sozialpartnerschaft als sozialen Dialog erst lernen
müsse, die Agenda der Kommission zeige aber deutlich, dass Europa soziale Schwerpunkte setze. Der Redner warf
den Grünen auch "bewusste Falschmeldung" in der Wahlauseinandersetzung vor und hielt fest, dass
alle österreichischen Abgeordneten im EU-Parlament gegen die Liberalisierung der Wasserversorgung gestimmt
haben. Abschließend meinte er, man brauche ein "ökosoziales Europa mit starker Kraft in der Mitte".
Abgeordneter Dr. CAP (S) widmete seine Rede dem "Sündenregister" der österreichischen
Bundesregierung, die die österreichischen Interessen auf europäischer Ebene seiner Meinung nach zu wenig
vertrete. Er konstatierte seitens der Regierung eine mangelnde Bereitschaft, sich in Europa für eine Beschäftigungs-
und Wachstumsinitiative stark zu machen, indem sie zu sehr auf den Wachstums- und Stabilitätspakt fixiert
sei. Österreich habe keine Lobby aufgebaut, und das habe auch die Niederlagen beim Transit, wo 4 MinisterInnen
"dilettiert" hätten, sowie bei der Atompolitik bewirkt. Ebenso "jämmerlich versagt"
habe die Regierung im Bereich Beschäftigung, Wohlstand und Wirtschaftsinteressen. Zur gesamten Daseinsvorsorge
zeige die Regierung ein "gestörtes Verhältnis". Eine klare Position verlangte Cap im Hinblick
darauf, was man mit dem Wasser vorhabe. Wer Wasser privatisiere, bemerkte der SPÖ-Klubobmann, nehme in Kauf,
dass die Qualität schlechter werde und sich das Wasser verteuere. Die SPÖ werde daher bei der Liberalisierung
nicht mitmachen, unterstrich er. "Österreich muss wieder gehört werden", so Caps Appell in
Anlehnung an den Wahlslogan der SPÖ für die kommenden Europawahlen.
Abgeordneter Dr. BÖSCH (F) stimmte diesem Appell vollinhaltlich zu, schränkte aber ein, dass Österreich
nicht in dem Sinne gehört werden sollte, wie die SPÖ das wolle. Er sprach in diesem Zusammenhang die
Zeit der Sanktionen an, als Österreich von der SPÖ "verraten worden" sei, und wies auf einen
Brief des SPÖ-Spitzenkandidaten Swoboda hin, in dem sich dieser bei seinen KollegInnen in der EU für
die Sanktionen bedankt habe. Die EU, so Bösch weiter, sei keine neoliberale Schreckensunion mehr, die Regierung
habe aber ein hartes Erbe übernehmen müssen. Vieles sei von den vorangegangenen Regierungen nicht ausreichend
verhandelt worden. Dennoch müsse sich die EU vor allem im sozialen Bereich weiter entwickeln. Voraussetzung
dafür seien aber starke Länder mit einer guten Wirtschaftspolitik und einer effizienten, finanzierbaren
Sozialpolitik, unabhängig von den Turbulenzen auf EU-Ebene. Neben der Sozialpolitik seien auch die Atom- und
die Transitproblematik anzupacken. Bösch sprach sich für ein klares Wort der EU gegen die Menschenrechtsverletzungen
im Irak aus und meinte, die EU sollte sich als Gegengewicht zur USA bewähren. Wir brauchen "eine EU,
die die Interessen der Menschen vertritt", betonte Bösch abschließend.
Abgeordnete Dr. LICHTENBERGER (G) bezeichnete ein soziales Europa als "unverzichtbar für die wirtschaftliche
Weiterentwicklung und ökosoziale Marktwirtschaft". Sie kritisierte, dass bei dieser Debatte der Sozialminister
nicht anwesend war, und zeigte kein Verständnis für die Aussagen Bartensteins, Vollbeschäftigung
sei nicht zu erreichen. Laut Lichtenberger missbrauche die Regierung die EU, um neoliberale Ansätze, Privatisierungen
und Binnenmarktpolitik zu rechtfertigen. Die Bundesregierung begünstige die Politik des Sozialdumpings in
Europa und setze in erster Linie Maßnahmen gegen die sozial Schwachen. Man strebe offensichtlich eine Manövriermasse
billiger Arbeitskräfte an, um auf die Löhne Druck auszuüben. Ein solches Konzept habe sich noch
nie bewährt, sagte Lichtenberger, vielmehr müsse das Konzept der sozialen Marktwirtschaft angestrebt
werden. Der amerikanische Weg bringe eine geringe Wertschöpfung pro Kopf, ein hohes soziales Risiko und eine
hohe Unzufriedenheit der ArbeitnehmerInnen. Die Lissabon-Strategie habe lediglich unverbindliche Zielsetzungen
fixiert, stellte sie fest, deshalb brauche man im Steuerwettbewerb eine "Abdichtung nach unten", sonst
gefährde man das europäische Sozialsystem.
Abgeordnete Barbara RIENER (V) stellte eingangs fest, dass Europa nur so sozial sein könne, wie die
einzelnen Mitgliedstaaten. Unter diesem Aspekt habe die österreichische Regierung in den vergangenen Jahren
eine Menge geleistet. Kinderbetreuungsgeld, Hinterbliebenenrenten, Studienbeihilfen, Arbeitslosen- und Notstandsgeld,
Rezeptgebührenbefreiung, Pflegegeld, Abfertigung neu oder nun das Recht auf Teilzeitarbeit seien nur einige
der Sozialleistungen, welche die Regierung Schüssel erreicht habe. Österreich könne sich sehen lassen.
Trotz der globalen Konjunkturkrise wäre Österreich auf einem guten Weg, so Riener weiter. Besonders die
niederen Arbeitslosenzahlen und die europaweit geringste Jugendarbeitslosigkeit seien hervorzuheben. Auch die Zahlen
des Arbeitsmarktservice vom April 2004, die eine Zunahme der offenen Stellen um 10 % ausweisen, würden zeigen,
dass die Positionierung Österreichs die richtige sei. In ihren weiteren Ausführungen unterstrich die
VP-Abgeordnete, dass die jüngste Steuerreform den Wirtschaftsstandort und Arbeitsplätze sichern würde,
es aber trotzdem noch einiges zu tun gebe. Jeder Arbeitslose sei einer zu viel. In diesem Zusammenhang meinte Riener,
dass die Sozialpartnerschaft gefordert sei.
Abgeordneter Caspar EINEM (S) warf in seinem Redebeitrag der Regierung vor, dass diese sich nicht um die
Menschen kümmere. Zum Thema Arbeitslosigkeit gab der S-Abgeordnete zu bedenken, dass - seitdem die Regierung
angetreten ist - die Arbeitslosenzahlen stetig angestiegen seien. Die Regierung „schaut nur zu“, meinte Einem.
Schlimmer noch, die Bundesregierung habe durch die Pensionsreform bei den Menschen Ängste ausgelöst,
die sich in vermehrtem Sparen und dadurch verringertem Konsum manifestieren würde. Nach Auffassung Einems
würde deshalb die Arbeitslosigkeit weiter steigen.
Bezogen auf die Steuerreform kritisierte der Abgeordnete, dass keine Investitionen in die Bildung und die Infrastrukturen
getätigt worden seien und auch die kleinen Einkommen seien nicht entlastet worden. Das sei eine unsoziale
Politik, so Einem, die die Regierung auch auf EU-Ebene betreiben würde. Die Regierung Schüssel wolle
sich mit den USA vergleichen, dort aber gebe es Wachstum, weil investiert werde. Das müsse auch hier passieren,
folgerte Caspar Einem, denn „sonst passiert Wachstum nicht“. Man müsse weg von der starken und einseitigen
Landwirtschaftsförderung hin zur Förderung von Investitionen. Es gebe auch keine Absicherung derer, die
nicht von der EU-Erweiterung profitieren. "Dies haben wir ihrer Regierung vorzuwerfen", so Einem. Schließlich
forderte er die Bundesregierung auf, "endlich Politik im Interesse der Menschen" zu machen. Wenn dies
nicht geschehe, verdiene sich die Regierung bei den anstehenden EU-Wahlen einen Denkzettel.
In einer Replik auf die Äußerungen Einems sagte Bundesminister Martin BARTENSTEIN, dass keine
Regierung zusätzlich so viel in Infrastruktur Forschung, Entwicklung und Bildung investiert habe. Die aktuelle
Regierung habe für die genannten Felder 1,2 Milliarden Euro zusätzlich von 2004 bis 2006 zur Verfügung
gestellt. 2,27 % F&E-Quote im Jahr 2004, das sei fast die Hälfte mehr, als die SPÖ der jetzigen
Regierung hinterlassen habe. Auch in der Arbeitslosenpolitik habe die Regierung Schüssel mit zuletzt 1,44
Mrd. Euro fast doppelt so viel investiert wie 1999, als unter einem SPÖ-Arbeitsminister 750 Millionen Euro
eingesetzt worden wären.
Abgeordneter Herbert SCHEIBNER (F) bezeichnete die Aussagen der SP-Redner Cap und Einem zur EU als eine
"Drohung". Einems „Politik im Interesse der Menschen“ und Caps „Österreich muss wieder gehört
werden“ würden ihn an Aussagen des jetzigen Spitzenkandidaten der SPÖ zu den Europawahlen, Hannes Swoboda,
erinnern. Dieser habe im März 2000 mit genau denselben Worte ein „Danke für die Sanktionen“ ausgesprochen
und die gewalttätigen Demonstrationen im Jahr 2000 unterstützt, so Scheibner. Der F-Klubobmann erwartet
sich von SP-Politikern eine Distanzierung von ihrem Spitzenkandidaten. „Am besten streicht man Swoboda von der
Kandidatenliste“, sagte Scheibner. Schließlich ging der F-Abgeordnete noch auf das Thema Wasser-Privatisierung
ein und meinte, dass es die FPÖ gewesen sei, die sich für die Beibehaltung des Einstimmigkeitsprinzips
in dieser Frage stark gemacht habe.
Abgeordnete SBURNY (G): Wenn im Rahmen der Debatte über die Europäische Verfassung die Frage gestellt
wird, welche verbindlichen Regeln aufgestellt werden sollen, dann falle auf, dass alles, was in den Bereich der
Wirtschaftsunion fällt, gesetzlich festgelegt werden soll, während alles, was in den Bereich der Beschäftigung
und der Sozialunion fällt, allgemeine Appelle sind. Preisstabilität und Budgetkonsolidierung seien der
Regierung wesentlich wichtiger als Vollbeschäftigung und Verteilungsgerechtigkeit, betonte die Rednerin. Zentrale
Fragen, die für den Neoliberalismus typisch sind, werden auch von der österreichischen Regierung mitgetragen,
z.B. die Senkung der Steuern und Abgaben für das Großkapital, für große Unternehmen und Konzerne
und die Belastung der unteren Einkommensschichten. Die Regierung wurde von der Sprecherin aufgefordert, sich für
eine Sozialunion einzusetzen und keine Maßnahmen zu ergreifen, die soziale Konflikte erhöhen. |