Die International League Against Epilepsy und ihre Österreichische Sektion
Wien (pr&d) - Am Sonntag (30. 05.) begann im Austria Center Vienna der 6th European Congress
on Epileptology. Dieser Kongress ist eine der größten Veranstaltungen in Europa, die einem einzelnen
Gesundheitsproblem gewidmet ist. Er wird alle zwei Jahre in einer europäischen Hauptstadt von der International
League Against Epilepsy (ILAE) mit Unterstützung der jeweiligen nationalen Sektion veranstaltet. Für
das Jahr 2004 wurde Wien als Veranstaltungsort gewählt, und die Österreichische Sektion stellt den Co-Vorsitz
des International Organising Committee und den Vorsitz des Scientific Advisory Committee.
Der European Congress on Epileptology (ECE) ist einer der größten medizinischen Spezialkongresse in
Europa. Dieses Jahr wird er zum sechsten Mal organisiert und findet vom 30. Mai bis 3. Juni in Wien im Austria
Center Vienna statt. Teilnehmen werden weit mehr als 3.000 Delegierte aus über 80 Ländern. Der Kongress
ist den neuesten klinischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Erkenntnissen über Epilepsie gewidmet
- ein Gesundheitsproblem, das derzeit in Österreich 65.000 Personen betrifft. Davon leben allein 12.000 in
Wien. Epilepsie - jeder ist betroffen Die Häufigkeit der Epilepsie in der Bevölkerung erläutert
Prof. Dr. Bruno Mamoli, Mitglied des International Organising Committee des 6th ECE und Vorstand der 2. Neurologischen
Abteilung, Neurologisches Krankenhaus Rosenhügel, Wien: "Knapp ein Prozent der europäischen Bevölkerung
leidet derzeit an Epilepsie. Bis zu drei Prozent werden irgendwann einmal in ihrem Leben mit diesem Gesundheitsproblem
konfrontiert werden. Statistisch gesehen kennt also jeder von uns zumindest eine Person, die davon bereits betroffen
ist oder zukünftig sein wird. Damit ist Epilepsie die häufigste chronische neurologische Erkrankung."
Physiologisch gesehen ist ein epileptischer Anfall eine kurz dauernde Störung des Gehirns aufgrund vermehrter
unkontrollierter elektrischer Entladungen von Nervenzellverbänden. Einzelne Anfälle können auch
im Rahmen von akuten Erkrankungen des Gehirns, wie zum Beispiel Meningitis, durch hohes Fieber und schließlich
durch extremen Schlafentzug oder Substanzmissbrauch verursacht werden - diese werden auch als akut symptomatische
Anfälle bezeichnet. 400.000 Personen in Österreich erleiden zumindest einmal in ihrem Leben einen derartigen
Anfall. Von Epilepsie im engeren Sinn spricht man hingegen erst dann, wenn wiederholte Anfälle ohne erkennbaren
Anlass auftreten. Die Ursachen der Epilepsie sind sehr vielfältig, wobei einerseits genetisch determinierte
und andererseits symptomatische Epilepsien unterschieden werden können. Oftmals ist die Ursache aber noch
unbekannt.
Unterstützung in Österreich ... In Österreich engagiert sich die Österreichische Sektion der
ILAE umfassend für die Optimierung der Behandlungsmöglichkeiten und die Anliegen der Epilepsie-Patienten.
So werden Patienten und Angehörige im Rahmen des Projekts MOSES geschult. Neurologen des Wiener AKH diskutieren
in modulartig aufgebauten Sitzungen den Umgang mit Epilepsie im Alltag. Durch Aufklärungsmaterial und Informationsbroschüren
hat jeder die Möglichkeit, sich über Epilepsie näher zu informieren. Um mehr über das Bewusstsein
zum Thema Epilepsie in der Bevölkerung zu erfahren, hat die Österreichische Sektion der ILAE von Mai
bis Juni 2003 eine Studie in Auftrag gegeben. Diese hat ergeben, dass in der Öffentlichkeit großer Aufklärungsbedarf
für dieses Gesundheitsproblem herrscht. Immerhin halten 10 % der Bevölkerung die Epilepsie immer noch
für eine Geisteskrankheit. Die Österreichische Sektion der ILAE engagiert sich aber auch stark für
die Unterstützung der Wissenschaft und Aus- bzw. Fortbildung im Bereich der Epilepsie. So bietet sie z. B.
Wissenschaftlern in Österreich eine Plattform, um ihre Forschungsergebnisse zu präsentieren - beispielsweise
wurde die im März einer breiten Öffentlichkeit vorgestellte Studie von Prof. Dr. Friedrich Zimprich über
die genetische Ursache der Probleme bei der medikamentösen Epilepsiebehandlung bereits im letzten Jahr auf
einer Veranstaltung der Österreichischen Sektion der ILAE vor Fachpublikum diskutiert.
Erstmals ist die Österreichische Sektion der ILAE dieses Jahr auch an der Ausrichtung des European Congress
on Epileptology beteiligt. Prof. Mamoli, der auch 1. Vorsitzender der Österreichischen Sektion der ILAE ist,
führt dazu aus: "Die Organisation des 6th European Congress on Epileptology stellt einen absoluten Höhepunkt
unserer Aktivitäten dar. Die Zuteilung des Kongresses an unsere Sektion kann als Beweis der Wertschätzung
unserer wissenschaftlichen und klinischen Aktivitäten in den letzten Jahren gewertet werden und sollte in
Zukunft einen weiteren Aufschwung für die Epileptologie in Österreich bedeuten."
... durch globale Zusammenarbeit Die ILAE ist eine nichtstaatliche Non-Profit-Organisation, die offizielle Beziehungen
zur World Health Organization (WHO) pflegt. Sie wurde 1909 in Budapest von einer Gruppe von Neurologen gegründet.
Der Präsident der ILAE, Prof. Giuliano Avanzini, schildert die Entwicklung der vergangenen Jahre folgendermaßen:
"In den letzten zehn Jahren hat die ILAE wirklich globale Dimensionen erreicht. In über 90 Ländern
existieren nationale Sektionen, die insgesamt mehr als 17.000 Mitglieder zählen." Das koordinierte Agieren
dieser zahlreichen Sektionen wird durch Kommissionen für die Bereiche Asien und Ozeanien, Europa, Lateinamerika
und Nordamerika sichergestellt. "Ein ganz wichtiger Teil unserer Strategie zielt darauf ab, die Standards
der Epilepsie-Versorgung in den weniger entwickelten Ländern zu heben. Während des Kongresses wird es
dazu in Hinblick auf Osteuropa auch eine eigene Veranstaltung geben", erläutert Prof. Avanzini die Aufgaben
der ILAE weiter. Eine wichtige Funktion für das Erreichen eines hohen und global ausgeglichenen Standards
der Versorgung von Epilepsie-Patienten erfüllen die von der ILAE herausgegebenen Richtlinien, Positionspapiere
und Unterrichtsmaterialien.
Zu den Aufgaben der ILAE zählt auch die Organisation eines umfangreichen internationalen Kongresskalenders
mit dem Ziel, den wissenschaftlichen Austausch und die Fortbildung auf vier Kontinenten zu fördern. Dabei
gehört der ECE in Europa zu den absoluten Höhepunkten. Dieses Jahr werden über 3.000 Delegierte
aus 80 Nationen über fünf Tage ein umfassendes Programm zu wissenschaftlichen, klinischen und sozialen
Aspekten der Epilepsie nutzen können. Prof. Dr. Gerhard Bauer, Chairman des International Organising Committee,
Leiter der Abteilung für EEG und Anfallskrankheiten, Universitätsklinik für Neurologie, Innsbruck,
führt dazu aus: "Das Programm des 6th ECE bietet Lehrveranstaltungen, Symposien, Diskussionsforen, Sponsoren-Veranstaltungen,
Poster-Sessions und sogar eine Kunstausstellung. Die hohe fachliche Qualität der einzelnen Veranstaltungen
wurde uns auch vom Council for Continuing Medical Education bestätigt, das die Veranstaltung offiziell akkreditierte.
Damit haben Ärzte die Möglichkeit, Teile ihrer offiziellen Fortbildung auf dem 6th ECE zu absolvieren."
Zu den über 70 Veranstaltungen gehören auch zwei Symposien zu Ehren der diesjährigen Gewinner des
European und des Austrian Epileptology Awards. Während des Chairman´s Symposiums am Montag, 31. Mai
(9 - 11 Uhr) werden sieben angesehene Experten aus sieben Ländern über den Wissenstransfer von der Grundlagenforschung
in den Klinikalltag sprechen. Dabei werden Mathematik, Physik, Genetik, Anatomie, Molekularbiologie, Physiologie
und Pharmakologie im Mittelpunkt stehen.
Epilepsie - Fenster zum Gehirn Der 6th ECE wird auch demonstrieren, dass die Epilepsie eine einzigartige Modellerkrankung
für die Erforschung des menschlichen Gehirns darstellt. Dazu Prof. Dr. Christoph Baumgartner, Chairman des
Scientific Advisory Committee und Leiter der Epilepsy Monitoring Unit an der Universitätsklinik für Neurologie,
AKH Wien: "Die Epilepsie eröffnet uns quasi ein Fenster ins menschliche Gehirn, sodass wir die Grundlagen
von Sprache, Gedächtnis, Emotion und Bewusstsein besser verstehen lernen. Daraus ergeben sich auch unmittelbare
Konsequenzen für andere neurologische und psychiatrische Erkrankungen."
Die Entwicklung der Hirnforschung in den letzten Jahren führte auch zu bedeutenden Fortschritten in der Epilepsie-Diagnostik.
So konnten bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomographie extrem verfeinert werden. Prof. Baumgartner
erklärt: "Heute können wir mittels der Magnetresonanztomographie die Struktur des menschlichen Gehirns
millimetergenau darstellen und somit kleinste Veränderungen als Ursache von epileptischen Anfällen nachweisen.
In experimentellen Studien kann bereits eine Auflösung im mikroskopischen Bereich erzielt werden. Zudem ermöglicht
die funktionelle Magnetresonanztomographie die nicht-invasive Visualisierung von Hirnvorgängen, während
wir uns bewegen, sprechen, denken oder fühlen. Sie ist deshalb zu einer unentbehrlichen Methode im Vorfeld
der Hirnchirurgie geworden. Aber auch völlig neue funktionelle Diagnoseverfahren wurden in den letzen Jahren
entwickelt. Sie ermöglichen einen Einblick in aktive Hirnprozesse. Diese sind die Magnetic Resonance Spectroscopy
(MRS) und das Magnetic Source Imaging (MSI).
Viele Wege führen zur Heilung Auch im Bereich der Therapie haben sich in den letzten Jahren entscheidende
Fortschritte erzielen lassen. Es wurde eine Reihe von neuen Anti-Epileptika entwickelt, die bei guter Wirksamkeit
eine wesentlich bessere Verträglichkeit besitzen als die bisher verfügbaren Medikamente - dies bedeutet
für die Patienten eine signifikante Verbesserung ihrer Lebensqualität. Nach wie vor sprechen jedoch ca.
30 % der Patienten nur unzureichend auf die Medikamente an. Die Ursachen hierfür konnten in den letzten Jahren
unter anderem durch die zuvor erwähnte Studie von Prof. Zimprich aufgeklärt werden, erläutert Prof.
Baumgartner: "Bei vielen dieser Patienten existieren - wahrscheinlich genetisch bedingt - an der Blut-Hirnschranke
so genannte Transporterproteine in großer Menge. Diese sind für Entgiftungsprozesse zuständig und
unterscheiden dabei nicht zwischen "Gut" und "Böse" - so werden auch Medikamente, die
zur Epilepsie-Behandlung dienen sollen, von diesen Transporterproteinen entsorgt." Neue Ansätze zur Lösung
dieses Problems zielen darauf ab, eben diese Transporterproteine zu hemmen.
Eine andere Strategie, jenen Patienten zu helfen, bei denen Medikamente nicht wirken, ist die Epilepsie-Chirurgie.
Durch Entfernung der Hirnregion, von der die Anfälle ihren Ausgang nehmen, kann in 80 % der Fälle Anfallsfreiheit
und somit eine Heilung erzielt werden. Für Patienten, bei denen ein chirurgischer Eingriff nicht möglich
ist, steht neuerdings die Hirnstimulation zur Verfügung. Hier werden die Anfälle mit ins Gehirn implantierten
Elektroden elektrisch unterdrückt. Mithilfe neuer Methoden wird es in Zukunft möglich sein, den herannahenden
Anfall bereits im Vorfeld zu erkennen und dann entsprechende Maßnahmen zu setzen - die gezielte Applikation
eines elektrischen Reizes oder eines Medikaments. Auch im Bereich der Stammzellforschung zur Epilepsiebehandlung
wird intensiv gearbeitet. Bisher konnte bereits in Tierversuchen gezeigt werden, dass, wenn man aus embryonalen
Stammzellen hergestellte Neuronen in das Gehirn einbringt, diese auch tatsächlich die ihnen zugedachten heilenden
und regenerativen Funktionen übernehmen können. |