Haselbach: Lösungen durch Übereinstimmung statt Überstimmung  

erstellt am
09. 07. 04

Die Rede der Vorsitzenden der 16. Bundesversammlung im Wortlaut
Wien (pk) - Nachdem der neue Bundespräsident Dr. Heinz Fischer sein Gelöbnis auf die Verfassung und alle Gesetze der Republik geleistet hatte, wandte sich die Vorsitzende der 16. Bundesversammlung, Anna Elisabeth Haselbach, mit folgenden Worten an das Staatsoberhaupt:

"Soeben haben Sie gelobt, die Verfassung und die Gesetze der Republik getreulich zu beobachten. Dass Sie dies vor der Bundesversammlung in Anwesenheit der Bundesregierung bezeugt haben, ist Ausdruck dafür, dass gute und verantwortungsbewusste Zusammenarbeit zwischen Gesetzgebung, Bundesregierung und Bundespräsidenten auf der Basis der Verfassung die Voraussetzung ist für die Festigung, das Funktionieren und die Weiterentwicklung unserer Demokratie.

Wie sehr diese Aufgabenstellung Ihnen, sehr geehrter Herr Bundespräsident, ein Anliegen ist, haben Sie in Ihrem langen parlamentarischen Wirken, aber auch als Mitglied der Bundesregierung stets bewiesen. Ihr politisches Handeln war immer geleitet von der Bereitschaft, bestehende Gegensätze in Respekt und mit dem Willen zum Ausgleich zu mindern. Dies im Bewusstsein der Verpflichtung, adäquate Konfliktlösungen für das Zusammenleben einer pluralistischen Gesellschaft zu erreichen. Nämlich im Wissen, dass anstelle der Überstimmung die Übereinstimmung treten muss, wenn brauchbare dauerhafte Lösungen erzielt werden sollen.

Auf diese Ihre besondere Fähigkeit, immer Besonnenheit walten zu lassen, bauen wir auch für die zukünftige Zusammenarbeit.


Sehr geehrter Herr Bundespräsident!

Christian Broda, dem Sie freundschaftlich verbunden waren, schreibt in seinem Buch 'Demokratie, Recht, Gesellschaft' unter anderem: 'Die Demokratie als institutionalisierte Selbstbestimmung des Volkes beruht auf einer aktiven Anteilnahme möglichst vieler Staatsbürger am öffentlichen Geschehen. Die Demokratie braucht diese ständige Anteilnahme als belebenden Impuls; ohne ihn läuft sie Gefahr, unter Wahrung ihrer äußeren Formen der Herrschaft einiger weniger Raum zu geben.' Broda schreibt weiter: 'In der modernen Repräsentativdemokratie darf der Abstand zwischen der Masse des Staatsvolkes und der notwendigerweise kleinen Zahl der Mandatare und Funktionsträger nicht zu groß, die Kluft zwischen den Überzeugungen und Einflussmöglichkeiten beider Schichten nicht zu tief werden.'

Bedauerlicherweise sind wir aber schon seit einiger Zeit damit konfrontiert, dass die Bereitschaft am demokratischen Entscheidungsprozess teilzunehmen, im Abnehmen begriffen ist.

Die Paarung von Desinteresse und einem gewissen Misstrauen sowie mangelndes Wissen über Zusammenhänge führt nicht zuletzt auch zu den von allen, die der Demokratie unverbrüchlich verbunden sind, bedauerten niedrigen Wahlbeteiligungen. Es zeigt sich, dass die Analyse Brodas seit 1961 nichts an Aktualität eingebüßt hat.

Der Schluss, den wir daraus ziehen, muss dazu führen, in gemeinsamer Bemühung die Bedürfnisse und Interessen der Menschen zu verstehen, um so in den abseits Stehenden den Wunsch zu wecken, die Möglichkeiten der Partizipation zu nützen. Dieses Ziel, hoch verehrter Herr Bundespräsident, würden wir gerne mit Ihnen gemeinsam erreichen.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, wenn man zu Ihren früheren Amtsräumen hier im Hause ging, kam man an dem berühmten Bild vorbei, das die Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrages darstellt. Ich weiß, es ist für Sie auch eine Erinnerung an Ihren verehrten Vater, der im Bild zu finden ist. Ich glaube aber, dass dieses Bild viel mehr vermag als bloße Erinnerung zu wecken.

Es zeigt Persönlichkeiten vereint, die die finsterste Zeit Österreichs überlebt hatten, die sich vor der Zeit des Grauens feindlich gegenüber standen, aber als Österreich wiedererstanden ist unter Hintansetzung ihrer Gegensätze zusammengefunden haben.

Diese großen Österreicher haben bewiesen, dass mit vereinter Kraft Großes geleistet werden kann. Es ist Ihnen, Herr Bundespräsident, zu danken, dass Sie durch dieses Bild eine Botschaft an das Haus gerichtet haben.

Wir wünschen aus ganzem Herzen, dass diese Ihre Botschaft an alle Österreicher und alle Menschen, die hier Zuflucht und Heimat gefunden haben, mit Freude aufgenommen wird.

Herr Bundespräsident, wir wünschen Ihnen und Ihrer verehrten Gattin viel Glück und Ihnen eine Amtszeit, erfüllt von Erfolg für unser geliebtes Österreich inmitten eines Europas, das dem Frieden und der Menschenwürde verpflichtet ist.
     
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