Khol: Demokratie bedeutet Herrschaft auf Zeit und friedlichen Wandel  

erstellt am
09. 07. 04

Die Rede von Nationalratspräsident Andreas Khol im Wortlaut
Wien (pk) - Nach der Vorsitzenden der 16. Bundesversammlung Anna Elisabeth Haselbach richtete der Präsident des Nationalrats Andreas Khol das Wort an die Anwesenden:

Hohe Bundesversammlung !


Sehr geehrter Herr Bundespräsident !

Bevor ich die traditionelle Rede des Nationalratspräsidenten halte, möchte ich, wie schon gestern im Plenum des Nationalrats, Ihres Amtsvorgängers Dr. Thomas Klestil gedenken. Wie ich es bereits gestern gesagt habe: Wir bedauern alle, dass es ein tragisches Schicksal verhindert hat, dass wir ihm heute persönlich Dank, Anerkennung und Respekt aussprechen können und dass er dabei sein kann, wie eine gut geordnete Republik in die Hände des nächsten Bundespräsidenten übergeführt wird. Wir denken an ihn; ich möchte nochmals seiner Familie unser Beileid aussprechen.


Hohe Bundesversammlung !

Sehr geehrter Herr Bundespräsident !

Im Namen des österreichischen Nationalrats gratuliere ich Ihnen herzlich zu Ihrer Wahl zum Bundespräsidenten unserer Republik Österreich. Der Nationalrat bringt Ihnen als seinem langjährigen Präsidenten eine auf Erfahrung gegründete besondere Wertschätzung entgegen.

Das Amt des Bundespräsidenten kam 1920 in unsere Verfassung; seine heutige Form erhielt es im Jahr 1929. Immer wieder hat es Diskussionen über die politische und verfassungsrechtliche Dimension dieses Amtes gegeben, auch heute im Österreich-Konvent.

Das Amt des Bundespräsidenten - und das ist meine persönliche Überzeugung - ist von zentraler Bedeutung. Der Bundespräsident vertritt die Republik Österreich nach außen, gleichzeitig steht er für die Integration nach innen. Der Bundespräsident soll Identitätsperson, Leitbild, Vertrauensgeber für alle Österreicherinnen und Österreicher sein. Er ist der Wahrer des rechtsstaatlichen Verfahrens der Organe der Republik, er ist einer der Hüter unserer Verfassung.

Nehmt alles nur in allem: Das Amt, die Volkswahl und die sechsjährige Funktionsperiode haben sich bewährt. Im Österreich-Konvent wird das eine oder andere Detail, das im Jahre 1929 im Lichte der damaligen Umstände in den Aufgabenkatalog des Bundespräsidenten zögernd aufgenommen wurde, hinterfragt. Der Österreich-Konvent wird sicherlich konsensual und im Einvernehmen mit Ihnen, Herr Bundespräsident, seine Vorschläge erarbeiten. Sie waren Mitglied des Konvents. Ich bin überzeugt, dass Sie als einer der Gründerväter weiterhin Ihr Interesse fokussieren werden.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, bei der ersten Angelobung von Dr. Thomas Klestil zum Bundespräsidenten haben Sie in Ihrer Ansprache Arthur Koestler zitiert und die Figur des politischen Pendelschlags angesprochen, um vor zu großen Veränderungen in staatspolitisch wichtigen Fragen zu warnen. Sie haben sich damals insbesondere auf die politische Kultur und die Rolle der politischen Parteien bezogen. Sie haben darauf verwiesen, dass die Existenz und die Vielfalt politischer Parteien wesentliche Bestandteile der demokratischen Ordnung und Teil des österreichischen Verfassungsrechtes sind. In dieser Rede haben Sie auf das Zusammenwirken der gesetzgebenden Körperschaften mit dem Bundespräsidenten und auf die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Arbeitsteilung verwiesen. Ich möchte Ihre Aussagen von damals heute einmal mehr unterstreichen.

Ich erinnere aber auch an Wesensmerkmale des Demokratiebegriffes: Demokratie ist Herrschaft auf Zeit, und Demokratie bedeutet friedlichen Wandel. Wenn Wandel vollzogen wird, so ist das nicht notwendigerweise ein Pendelschlag zurück. Friedlicher Wandel heißt Verhandlung und Entscheidung im rechtsstaatlichen Verfassungsverfahren. Bei der Würdigung der Verdienste von Bundespräsident Dr. Thomas Klestil können wir feststellen, dass sich in seiner Amtszeit Österreich friedlich und gut gewandelt hat. Auch in den nächsten sechs Jahren müssen wir auf gesellschaftliche Veränderungen offen und mutig zugehen: Die Reform ist das tägliche Brot der demokratischen Entwicklung, wenn wir unseren sozialen Rechtsstaat nachhaltig sichern wollen. Wie heißt es im „Leopard“ von Tomaso di Lampedusa: "Es muss sich alles ändern, damit alles so bleibt, wie es ist."

Für die kommenden sechs Jahre zeichnen sich herausragende Aufgaben ab: In der Außenvertretung wird die Integration unserer mitteleuropäischen Partner in die Europäische Union Vorrang haben. Hier müssen wir alle gemeinsam an der Weiterentwicklung unserer regionalen Partnerschaft und der Zentraleuropäischen Initiative arbeiten. Die kommenden Jahre werden auch von der Ratifikation der Europäischen Verfassung geprägt sein, nicht nur bei uns, sondern in der ganzen EU. Das wird keine leichte Debatte sein, das wird nicht leicht über die Bühne gehen. Wir müssen uns gemeinsam bemühen, das große Projekt Europa den Österreicherinnen und Österreichern näher zu bringen und die Bedeutung der Europäischen Verfassung für Frieden, Freiheit und Wohlstand aufzuzeigen.

In Österreich wird die Verfassungsreform eine bedeutende Rolle spielen. Der Österreich-Konvent wird in den nächsten Monaten seine Schlussfolgerungen verabschieden. Im Spannungsfeld von Tradition und Fortschritt wird es zu einem bedachten Wandel unserer österreichischen Bundesverfassung kommen. Unser Ziel ist es, eine vollständige, übersichtliche, eine der Verwaltungsreform verpflichtete Verfassung zu verabschieden, die für die Bürger zugänglich ist und auf die sie stolz sein können.

Neben der Arbeit an einer neuen österreichischen Bundesverfassung stehen andere, weit reichende Reformen an: Wir müssen die Nachhaltigkeit unserer Sozialsysteme sichern. Wir müssen uns weiterhin bemühen, dass die österreichische Wirtschaft ausreichend qualitätsvolle Arbeitsplätze schaffen kann. Dafür müssen wir die Rahmenbedingungen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe garantieren. Wir müssen sicherstellen, dass die jungen Österreicherinnen und Österreicher optimale Ausbildungsmöglichkeiten vorfinden. Wir müssen dafür sorgen, dass Österreich den Status als familienfreundlichstes Land halten kann. In allen Fragen der Sozial- und Umweltpolitik werden wir uns in den nächsten Jahren vor allem um eines kümmern müssen: um die Nachhaltigkeit und die Generationengerechtigkeit als das Leitmotiv für eine nachhaltige, umweltbewusste Gesellschaftspolitik. Hiezu bedarf es der vertrauensvollen Zusammenarbeit aller Staatsorgane in jener politischen Kultur, die wir Österreicher uns in der Zweiten Republik erarbeitet haben und die sich bewährt hat.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Herr Bundespräsident! Vor 12 Jahren haben Sie Thomas Klestil bei seiner Angelobung ein Wort von Kurt Waldheim auf den Weg mitgegeben: Die politische und moralische Autorität, die dem Bundespräsidenten durch die Volkswahl verliehen wird, hat "an den Gewichten, die den politischen Kräften unseres Landes aufgrund anderer Wahlen zukommen, nicht das Geringste zu verändern". Goldene Worte damals, und sie sind es auch heute noch!

Herr Bundespräsident! Sie haben stets die politische Kultur als die Einhaltung der geschriebenen und ungeschriebenen Spielregeln der Demokratie, als die Übertragung der Regeln des Fair Play auf die Ebene der Politik definiert. Wir vertrauen Ihnen, dass Sie in Ihrem neuen Amt als Bundespräsident der Republik Österreich über den Parteien und über der Tagespolitik stehen werden, dass Sie sich für den Konsens in der österreichischen Politik einsetzen werden. Ich bin überzeugt, dass es Ihnen, Herr Bundespräsident, gelingen wird, Ihr Amt zum Wohle unserer Heimat, der Republik Österreich und ihrer Bürgerinnen und Bürger, zu gestalten. Ein herzliches Glückauf und meine persönliche Bitte um Gottes Segen für Ihre Arbeit begleiten Sie.
     
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