Gemeinsame Sitzung von Nationalrat und Bundesrat
Wien (pk) - Eine Festsitzung hätte es werden sollen, eine Trauersitzung
ist es geworden. Ursprünglich wollten Nationalrat und Bundesrat den scheidenden Bundespräsidenten feierlich
aus seinem Amt verabschieden, nun ist es ein Abschied für immer. Die Abgeordneten des Nationalrats und die
Mitglieder des Bundesrats versammelten sich am Donnerstag (08. 07.) gemeinsam mit den
Regierungsmitgliedern und weiteren Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens im historischen Sitzungssaal
des Parlaments, um den Tod Thomas Klestils zu betrauern und die Verdienste Klestils in seiner 12jährigen Amtszeit
zu würdigen.
Die Trauerreden hielten neben Nationalratspräsident Andreas Khol die Präsidentin des Bundesrats Anna
Elisabeth Haselbach, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, Kardinal Christoph Schönborn und der zuvor von
der Bundesversammlung angelobte neue Bundespräsident Heinz Fischer. Zwischen den Reden wurden Johann Ernst
Altenburgs "Priere du Matin", Leon Boltons "Wrapped in Mystery" und "Intrada" von
Moritz, Landgraf von Hessen, intoniert.
Nationalratspräsident Khol: Klestil hat sein gesamtes berufliches Wirken in den Dienst Österreichs
gestellt
Nationalratspräsident Khol erinnerte in seiner Trauerrede daran, dass heute vor 12 Jahren Dr. Thomas Klestil
zum ersten Mal als Bundespräsident angelobt wurde. Er habe der Republik 12 Jahre als Bundespräsident
unter Einsatz all seiner Kräfte gedient. Auch bevor er das höchste Amt im Staat innehatte, habe er sein
gesamtes berufliches Wirken in den Dienst unseres Landes gestellt, unterstrich Khol. Seine Leistung für unser
Land sei eindrucksvoll. Thomas Klestil habe sich klare Ziele gesetzt gehabt, von denen er viele erreichen konnte:
den EU-Beitritt Österreichs, die neue regionale Partnerschaft mit unseren Nachbarn und die Zentraleuropäische
Initiative; die Sicherung und den Ausbau des Wirtschafts- und Arbeitsstandortes Österreich, die Fortsetzung
der erfolgreichen Sozialpartnerschaft und das stetige Bemühen um einen breiten politischen Konsens zu Grundsatzfragen
unseres Landes seien deutliche Schwerpunkte seines erfolgreichen Bemühens gewesen.
Dr. Klestil sei stets ein Mann der Wirtschaft gewesen, betonte der Präsident. Die österreichische Wirtschaft
– und damit die Unternehmer, Arbeiter, Angestellten und Bauern – habe sich im internationalen Wettbewerb in beeindruckender
Weise behaupten können. Österreich habe die Chancen der Europäischen Integration, der Öffnung
Mittel- und Osteuropas, der Öffnung zur weltweiten Wirtschaft nutzen können. Die österreichischen
Investitionen im Ausland haben sich in den vergangenen 12 Jahren vervierfacht, die Exporte mehr als verdoppelt.
Die Arbeit von Bundespräsident Dr. Thomas Klestil habe zu dieser Entwicklung einen unverzichtbaren und wichtigen
Beitrag geleistet. Seine Auslandsreisen waren zu einem guten Teil den Interessen der österreichischen Wirtschaft
und damit auch den Arbeitnehmern des Landes gewidmet, sagte Präsident Khol.
Österreich habe sich in den Jahren der Präsidentschaft von Dr. Klestil auch seiner Geschichte gestellt.
Bedeutende Maßnahmen wurden gesetzt, mit denen Unrecht, das Menschen in den dunkelsten Jahren unserer Geschichte
widerfahren ist, anerkannt und Gesten der Versöhnung und der Entschädigung gesetzt wurden, führte
Khol weiter aus. Im Jahr 1995 sei der Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus eingesetzt worden. Im
Jahr 2000 wurde der Versöhnungsfonds für freiwillige Leistungen der Republik Österreich an ehemalige
Sklaven- und Zwangsarbeiter des nationalsozialistischen Regimes ins Leben gerufen. Im Jahr 2001 wurde ein Bundesgesetz
über die Errichtung eines Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus und
über Restitutionsmaßnahmen beschlossen. Seit 1998 begehen wir hier in diesem Saal alljährlich am
5. Mai den Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Bundespräsident
Dr. Thomas Klestil hat all diese Maßnahmen stets unterstützt und mitgetragen, war immer in unserer Mitte
und sein Staatsbesuch in Israel war sichtbarer Ausdruck eines neuen Verhältnisses unserer Länder, so
Khol.
Österreich ist in den 12 Jahren der Amtszeit von Bundespräsident Dr. Klestil gewachsen. Als erster Mann
im Staate ist er 12 Jahre für dieses Österreich gestanden, hat Verantwortung getragen und unsere Heimat
auch im Ausland hervorragend und zu unserer aller Ehre vertreten. Er hat bis zuletzt mit aller Kraft für Österreich
und für die Menschen in unserem Land gearbeitet. Die Republik dankt ihm heute dafür. Österreich
hat mit Bundespräsident Dr. Thomas Klestil einen großen Politiker verloren. Er wird uns als bedeutender
Staatsmann in Erinnerung bleiben, schloss Khol.
Bundesratspräsidentin Haselbach: Trauer um einen Staatsmann, einen guten Menschen
Bundesratspräsidentin Haselbach dankte vorerst namens des Bundesrats für alles, was Bundespräsident
Dr. Klestil für Österreich, seine Bundesländer, aber vor allem für die Menschen geleistet hat.
In beiden Amtsperioden habe er sein aufrechtes Bekenntnis zum Föderalismus stets unter Beweis gestellt. Er
sei zutiefst davon überzeugt gewesen, dass der Föderalismus ein wesentliches Element des Österreich-Bewusstseins
der Bürger ist, betonte Haselbach.
Wann immer es seine Zeit und die Umstände erlaubten, sei er zu den Menschen in den Bundesländern gekommen.
Bei diesen Besuchen habe er allen seine Aufmerksamkeit geschenkt und auch geholfen, wo es ging. Diese persönliche
Anteilnahme habe ihm den großen Respekt und die herzliche Zuneigung seitens der Bevölkerung gebracht.
Haselbach erinnerte an Klestils Rede anlässlich seiner Angelobung am 8. Juli 1998, in der er darauf hingewiesen
habe, dass der Bundespräsident sein Amt auch als Hüter der Gemeinsamkeit nach innen zu versehen hat.
Wie hoch er sich diesem Versprechen verpflichtet gefühlt hat, zeigte sich sehr deutlich in seinem Bemühen,
Mahner und auch Wahrer der Stabilität im raschen Wandel der Tagespolitik zu sein, aber gleichzeitig auch ein
Vermittler für Künftiges. Seine Bereitschaft, unter seiner Schirmherrschaft runde Tische einzurichten,
um eine Meinungsfindung im Bereich anstehender Reformnotwendigkeiten zu ermöglichen, verpflichtet alle politischen
Kräfte Österreichs zu großer Dankbarkeit.
Sein Einsatz für das Vertrauen in die Berechenbarkeit und die Zuverlässigkeit Österreichs in der
Staatengemeinschaft werde sicher im Laufe der Zeit von der Geschichtsschreibung besonders gewürdigt werden,
sagte Haselbach.
In diesem Zusammenhang verwies die Bundesratspräsidentin auf Klestils Rede vom 12. März 1998 vor dem
Bundesrat, in der er u.a. in großer Betroffenheit darauf hingewiesen habe, „dass wir uns zu lange und zu
weit über die Zeit des Wiederaufbaus und der Identitätsfindung hinaus mit allzu einfachen Antworten auf
die Fragen nach Wahrheit abgefunden haben“. Durch dieses Bekenntnis im Bundesrat, bei vielen anderen Gelegenheiten
und im Ausland habe Dr. Klestil maßgeblich dazu beigetragen, dass Menschen, die nach Demütigung und
Vertreibung ihre Heimat Österreich für immer verloren glaubten, zu Vergebung und Versöhnung bereit
waren. Kränkung wich der Liebe zur alten Heimat. Dafür gebührt Dr. Klestil unser aller aufrichtiger
Dank.
Haselbach schloss ihre kurze Ansprache vor der Bundesversammlung mit dem Satz: „Wir trauern um einen Staatsmann,
um einen guten Menschen, der sich auf Grund seiner Liebe zu Österreich und seinen Menschen keine Schonung
erlaubte. Unser Mitgefühl und die liebevolle Anteilnahme vieler tausender Österreicher und vieler Menschen
im Ausland mögen seiner Gattin und seiner Familie Trost in dieser schweren Zeit sein.“
Schüssel: Dankt Klestil für dessen Verdienste um Österreich
Die Mitglieder des Nationalrates und des Bundesrates haben sich heute in großer Trauer versammelt,
um Dr. Thomas Klestil als Bundespräsident und als Mensch zu verabschieden, erklärte Bundeskanzler Wolfgang
Schüssel. Schon bei seiner Antrittsrede vor zwölf Jahren sei die Liebe und die Verbundenheit zu seiner
Heimat zum Ausdruck gekommen, die ihm sein ganzes Leben begleitet habe. Mit unbeirrbarer Heimatliebe habe er Österreich
und seine Bevölkerung "draußen in der Welt vertreten, auch an schwierigen Orten und zu schwierigen
Zeiten". Er habe ein neues, geläutertes Österreich vertreten, das sich nicht nur zu den "lichten,
sondern auch zu den dunklen Stunden seiner Vergangenheit bekannt und aus ihnen gelernt hat". Unvergesslich
bleibe etwa seine Fürsorge für zehntausende jüdische Altösterreicher, vor allem in Amerika,
die durch ihm eine neue Nähe zum Land ihrer Eltern gefunden haben. Und unvergesslich bleibe auch sein Besuch
in Israel und die enorme Herzlichkeit in Jerusalem, die er mit seinen Worten bewirkt hat, erinnerte Bundeskanzler
Schüssel.
Als Thomas Klestil sein Amt angetreten hat, standen Europa und Österreich ganz im Zeichen eines fundamentalen
Wandels. Wenige haben zur Überwindung der vielleicht sehr österreichischen Mentalität und Vorstellung,
in glücklicher Abgeschiedenheit allein leben zu können, mehr beigetragen als Thomas Klestil. Schon bei
seiner Antrittsrede habe er ein ausdrückliches Bekenntnis zu einer Mitgliedschaft Österreichs in der
EU abgelegt, und er war immer ein leidenschaftlicher Mitkämpfer und Mitgestalter bei diesem Projekt.
Das Sterben des Menschen Thomas Klestil habe uns schonungslos konfrontiert mit dem, wofür im Alltag meist
kein Platz sei, nämlich dem Wissen um die Endlichkeit des Lebens und die eigene Sterblichkeit, führte
der Bundeskanzler weiter aus. Zugleich habe man aber gespürt, wie die Nation in den Stunden des Verlustes
und der Trauer ein gutes Stück näher zusammengerückt sei. Thomas Klestil habe ein großes Herz
gehabt, das ihm gebot, sich ganz besonders all derer anzunehmen, die sich fürchteten, sich überfordert
und an den Rand gedrängt fühlten. Bei seiner Antrittsrede vor zwölf Jahren habe er folgende Worte
gesagt: "Die Politik braucht auch Menschen, die selbstlos für die res publica arbeiten, aus Liebe zu
Österreich und weil sie es als Ehre betrachten, dem Land zu dienen", zitierte der Kanzler. Und sicher
war er einer von denen. "Für diesen Dienst an Österreich, draußen in der Welt, zu Hause in
unserer Heimat danken wir ihm", betonte Schüssel.
Schönborn: Die Kirchen des Landes trauern um Thomas Klestil
"Media vita in morte sumus: Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben“, - mit diesen Worten eines alten christlichen
Liedes leitete Kardinal Dr. Christoph Schönborn seine Rede ein. Die Kirchen trauern heute um einen Brückenbauer,
dem aus jahrzehntelanger diplomatischer Tätigkeit der Blick über die Grenzen wohl vertraut war. Als Thomas
Klestil vor zwölf Jahren angelobt wurde, war die "Wiedervereinigung" Europas noch eine ferne Vision,
für deren Verwirklichung der Verstorbene mit der Autorität seines Amtes und mit größtem persönlichem
Einsatz unermüdlich eingetreten sei. Stets sei der verstorbene Bundespräsident der Völker verbindenden,
europäischen Aufgabe Österreichs bewusst gewesen und treu geblieben.
Die Kirchen des Landes trauern um einen Mann des Friedens und des Ausgleichs, betonte Schönborn. In ihrem
"ökumenischen Sozialwort" hätten die Kirchen zum Ausdruck gebracht, dass ihnen gemäß
dem Auftrag Jesu, "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst" der Menschen von heute, besonders der Bedrängten
und Notleidenden aller Art, ein vorrangiges Anliegen sind.
Der verstorbene Bundespräsident habe sein Amt zu Zeiten einer weithin außer Frage stehenden Sozialpartnerschaft
angetreten. Seither sei die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung in Österreich, aber auch in
ganz Europa, härter geworden, gab der Kardinal zu bedenken. Alte Gräben seien dabei wieder zum Vorschein
gekommen, neue Spannungen dazugekommen. Auch in dieser veränderten politischen und gesellschaftlichen Landschaft
sei Thomas Klestil nicht müde geworden, vermittelnd und ausgleichend zu wirken und in festgefahrenen Situationen
seine Dienste anzubieten.
Die Kirchen trauern um einen stets unverdrossenen Arbeiter am Gemeinwohl. Kompromisslos habe er diese Aufgabe trotz
schwerer Erkrankungen während seiner Amtszeit bis zum Ende wahrgenommen. Sein Tod am letzten Tag seiner Amtsperiode
habe wohl symbolisches Gewicht, meinte Schönborn. Thomas Klestil höre die vorbereiteten Würdigungen
seiner Amtsführung nun nicht mehr als unter uns Weilender. Das möge zum selbstkritischen Nachdenken anregen,
ob wir mit solcher Anerkennung während seiner Amtszeit nicht manchmal zu sparsam gewesen sind, gab Schönborn
zu bedenken. "Braucht es denn immer erst Krankheit und Tod, dass wir einander etwas mehr Wohlwollen und Dankbarkeit
zeigen? Und auch etwas mehr Barmherzigkeit?"
Die Kirchen trauern um einen Mitchristen, der – fehlbar wie alle Menschen – mit der Übernahme des höchsten
Staatsamtes auf jegliche Privatheit Verzicht leisten musste, bis hin zu den letzten Bulletins der heroisch um sein
Leben kämpfenden Ärzte. Thomas Klestil hat seinen irdischen Weg beendet, er hat ausgekämpft und
ausgelitten. Mit ganzem Herzen glaubte er, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. "Sein fester Glaube gibt
ihm und uns die Hoffnung, dass nun auch das Umgekehrte wahr ist: Mitten im Tod sind wir vom Leben umgeben. Gott
schenke dir, lieber Freund, das ewige Leben", schloss Schönborn.
Fischer: Aus dem Schmerz des Abschieds werde helle Erinnerung
Bundespräsident Heinz Fischer meinte am Beginn seiner Rede, "wir haben uns gefreut auf diesen heutigen
Tag, wir haben uns vorbereitet und uns bemüht, dem Bundespräsidenten eine würdige und von Zuneigung
und Respekt getragene Verabschiedung in den Ruhestand und eine Verabschiedung aus seinen Pflichten zu ermöglichen".
Bis in die letzten Tage seien sich alle sicher gewesen, dass diese Festsitzung stattfinden werde, und auch Bundespräsident
Klestil habe sich auf diesen Moment gefreut. Er habe zum Schluss gespürt, dass die Lasten schwer geworden
seien für ihn, und habe geplant, sich nach dem 8. Juli zu schonen. Gerade darum sei es, sagte Fischer, so
traurig und so tragisch, dass aus der Verabschiedung in den Ruhestand eine Verabschiedung auf Dauer geworden sei.
Fischer erinnerte in seiner Rede an den sensiblen Umgang Klestils mit den verschiedensten Minderheiten in Österreich
und an seine viel beachteten Auftritte im Ausland, vor allem jenen in Israel. "Wir können stolz sein
über die Reaktionen, die es in diesen Tagen aus dem Ausland gibt", betonte er, kaum ein Staatsmann in
Europa und außerhalb Europas, der Klestil nun nicht mit wahren Worten würdige. Überdies unterstrich
Fischer, dass der verstorbene Bundespräsident immer wieder gezeigt habe, dass ihm das Parlament viel bedeute
und dass er dem Parlamentarismus großen Respekt entgegen bringe. Es sei schmerzlich, dass Klestil knapp vor
Ende einer so erfolgreichen 12jährigen Amtszeit verstorben sei.
In Richtung von Klestils Witwe, Margot Klestil-Löffler, meinte Fischer, er hoffe und er glaube, dass sie darauf
vertrauen könne, dass sich der große Schmerz des Abschieds mit der Zeit in eine dankbare und helle Erinnerung
verwandle. "Das wünsche ich Ihnen aus ganzem Herzen." |