Rede von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele
am 21. Juli 2004
"Meine Damen und Herren! Mit besonderer Freude habe ich die Einladung zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele
2004 angenommen. Ich habe auch in früheren Jahren schon gelegentlich an der Eröffnung von Bregenzer Festspielen
teilgenommen und bin immer mit vielen guten und interessanten Eindrücken nach Hause gefahren, aber heuer habe
ich zum ersten Mal die Ehre, dieses hochkarätige Festspiel am Bodensee zu eröffnen. Es ist dies zugleich
ein erster Besuch in Vorarlberg nach meiner Wahl zum Bundespräsidenten und somit auch eine Gelegenheit, mich
der Vorarlberger Bevölkerung und den Teilnehmern der Festspieleröffnung vorzustellen. Gerne benutze ich
daher die Gelegenheit, um mich für das hohe Ausmaß an Vertrauen zu bedanken, das mir die Bevölkerung
der Landeshauptstadt Bregenz aber auch vieler anderer Gemeinden in Vorarlberg geschenkt hat und ich werde mich
sehr bemühen, dieses Vertrauen zu rechtfertigen.
Die Bregenzer Festspiele haben sich in den Jahren ihres Bestehens zu Recht den Ruf als erstklassiges und hochkarätiges
Musikfestival erworben, wobei die Musik ja nur den Schwerpunkt einer weit umfassenderen Kunstpräsentation
bildet. Neben klassischen Produktionen sind es vor allem Bregenzer Festspiele 2004: Rede Bundespräsident Heinz
Fischer Seite 1 von 4 moderne und zeitgenössische Veranstaltungen, die den Charakter und den Charme der Festspiele
hier am Bodensee bestimmen.
Ich habe mir erlaubt, in meiner Antrittsrede vor der Bundesversammlung unmittelbar nach meiner Angelobung auf die
Bedeutung von Kunst und Wissenschaft für unsere Gesellschaft zu verweisen. Ich wiederhole und bekräftige
das heute.
Und ich füge ausdrücklich hinzu, dass damit natürlich nicht nur jene Künstler und jene Kunstwerke
gemeint sind, die man als anerkannt, als akzeptiert, als klassisch bezeichnen kann, sondern dass dies der Kunst
schlechthin, auch der modernen Kunst gilt. Man stößt oft auf die Auffassung, dass die moderne Kunst
unverständlich sei, gleichgültig ob es sich um ein Musikstück, ein Bild, ein Gedicht oder ein Bauwerk
handelt. Ich habe darüber oft mit meinen Vater diskutiert, mit dem ich ein Höchstmaß an Übereinstimmung
hatte - mit Ausnahme von Fragen der modernen Kunst.
Ich gebe ja zu, dass es moderne Kunstwerke gibt, die ich ebenfalls schlicht und einfach nicht verstehe. Aber dann
muss ich mir eben in Erinnerung rufen, dass man sich das Verständnis moderner Kunst erarbeiten muss. Dass
Kunstwahrnehmung als Dialog verstanden werden muss, zu dem der Künstler ebenso bereit sein muss wie der Betrachter,
(der Rezipient) eines Kunstwerkes. Wie das Wort Dialog bereits sagt, gehören zumindest zwei dazu, die sich
über ein Kunstwerk austauschen und Sie wissen, wie vielschichtig der griechische Begriff Dialegein ist. Wer
mit Kunst nie oder nur selten in Berührung kommt, darf nicht erwarten, von ihr angesprochen zu werden oder
jene Antworten zu erhalten, die Kunst zu geben vermag.
Der Nährboden aller Kunst ist und bleibt ihre Macht uns zu verzaubern, zu begeistern oder zu erschüttern.
Künstlerische Ausdrucksweise und die Bereitschaft sich von Kunstwerken in den Bann ziehen zu lassen, sind
zwei Bregenzer Festspiele 2004: Rede Bundespräsident Heinz Fischer Seite 2 von 4 Seiten der gleichen Medaille.
Im Gewissen Sinn ist es auch das Thema der ersten Oper von Kurt Weil, die am heutigen Abend Premiere haben wird:
"Der Protagonist".
Die Pantomime einer Theatertruppe wird von der Wirklichkeit eingeholt und das Kunststück verwandelt sich mit
einem Male in tragische Realität. Ich habe kürzlich eine Doppelbiographie von Kurt Weil und Lotte Lenya
gelesen, die unter dem Titel "Zwei auf einer Insel" erschienen ist. Es ist dies - was Kurt Weil betrifft
- die eindrucksvolle Schilderung eines tragischen, komplizierten und doch erfüllten Lebens zwischen Europa
und Amerika, auf das die langen Schatten der Hitlerdiktatur gefallen sind und das nicht untypisch ist für
das Schicksal vieler hervorragender Intellektueller und Künstler, die im 20. Jahrhundert in diesem Teil Europas
gelebt und gearbeitet haben. Ich sehe daher der heutigen Aufführung besonders gespannt entgegen.
Die zweite Oper des heutigen Premierenabends, Kurt Weils "Royal Palace", ist in dem breiten Thema des
Verlustes an Authentizität gewidmet. Die oberflächlichen Verheißungen und raschen Genüsse
führen zu Lebensüberdruss angesichts der Konfrontation mit den Lebensverhältnissen der normalen
Menschen.
Diese Erfahrung ist so alt, wie unsere Kultur selbst. Am provokantesten wurde sie von Pier Paolo Pasolini in dem
polemischen Satz formuliert, wonach ein Leben im Überfluss ein überflüssiges Leben sei. Und gerade
angesichts unserer täglichen Erfahrung, dass wir immer mehr an Andere delegieren und unseren Wohlstand oft
mit Erfahrungsarmut bezahlen müssen, ist die in Kurt Weils Oper thematisierte Problematik so aktuell wie eh
und je.
Meine Damen und Herren!
Kunst geht in die Tiefe und konfrontiert uns mit Fragen, die nur allzu oft verschüttet bleiben oder denen
wir ausweichen. Ich bin allerdings überzeugt, Bregenzer Festspiele 2004: Rede Bundespräsident Heinz Fischer
Seite 3 von 4 dass Kunst auch Antworten geben kann auf Fragen, die sonst unbeantwortet bleiben oder erst gar nicht
gestellt werden. Die Bregenzer Festspiele sind ein guter Ort, um tiefer liegende Fragen unserer heutigen Gesellschaft
aufzuwerfen, Antworten zu suchen und auch zu finden. Ich wünsche in diesem Sinn allen mitwirkenden Künstlerinnen
und Künstlern viel Erfolg und Ihnen, dem Publikum interessante Stunden am Bodensee. Die Bregenzer Festspiele
2004 sind eröffnet."
Quelle: Bregenzer Festspiele |