Rede von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer zur Eröffnung der Salzburger Festspiele am
23. Juli 2004
"Meine Damen und Herren!
Ich teile mit Ihnen die Vorfreude auf die bevorstehenden Veranstaltungen und Aufführungen der Salzburger Festspiele
und bedanke mich für die Ehre, diese zum ersten Mal eröffnen zu dürfen.
Einen ganz besonderen Dank möchte ich gleich zu Beginn an die Adresse jener richten, die – meistens hinter
den Kulissen – zu der gewaltigen Organisation eines solchen Festspielsommers beigetragen haben und beitragen und
deren Leistungen nicht unerwähnt bleiben sollen.
Ich habe in den vergangenen Jahren oft die Gelegenheit wahrgenommen, Aufführungen und Veranstaltungen der
Salzburger Festspiele zu besuchen und es hat manchmal ein Spannungsverhältnis zwischen meinen subjektiven
Empfindungen und den vorherrschenden beziehungsweise veröffentlichten Meinungen zu einzelnen Aufführungen
oder zu bestimmten Themen gegeben. Aber genau das macht die Salzburger Festspiele und die Kunst schlechthin spannend.
Zum Wesen der Kunst gehört es ja, dass der Kunstschaffende und der Rezipient – damit meine ich die, die sich
mit einem Kunstwerk auseinander setzen - in einem komplexen, ja dialektischen Verhältnis zueinander stehen.
Einerseits müssen die beiden – also der Künstler und sein Publikum – auf einander zugehen und zum Empfindungsaustausch
bereit sein, vielleicht sogar um eine gemeinsame Sprache bemüht sein. Andererseits muss das Spannungsverhältnis
und die Individualität der Rezeption aufrecht bleiben. Distanzlosigkeit macht die Kunst zur Gewohnheit, die
angenehm sein kann, aber bei der die Empfindungsintensität abnimmt. Es ist eher so, wie Thomas Mann es einmal
formulierte, dass erst die Gemeinsamkeit ermöglicht, dass man unterschiedlicher Meinung ist. Diese Möglichkeit
darf nicht nivelliert und zugeschüttet werden.
Meine Damen und Herren!
Ich zähle es zu den Pluspunkten der Salzburger Festspiele, dass sie auf Grund ihrer Geschichte, auf Grund
ihrer Prägungen, aber auch auf Grund ihres Selbstverständnisses immer wieder zu Assoziationen mit bestimmten
aktuellen Themen Anstoß geben.
Wenn ich mir die Nationalität der hier gastierenden Künstlerinnen und Künstler vor Augen führe,
wenn ich das Publikum betrachte, wenn ich an die Auswahl des Festredners denke, dann spüre ich und dann weiß
ich, dass die Salzburger Festspiele ein europäisches Festival sind; dem kommt im Jahr der Erweiterung der
Europäischen Union und im Jahr der Diskussion um eine europäische Verfassung besondere Relevanz zu.
Auch in dieser Beziehung stehen die Salzburger Festspiele in der Tradition Hugo von Hofmannsthals, der kurz vor
dem Ende des 1. Weltkrieges die "Idee Europa" als Gegenkonzept zur Bankrotterklärung des Krieges
gesehen hat.
Die Bemühungen seiner Generation sind leider gescheitert, die Saat einer Berta von Suttner und anderer ist
zunächst nicht aufgegangen, der Wahnsinn des 2. Weltkrieges war die nicht vorstellbare Steigerung des vorangegangenen
Wahnsinns des 1. Weltkrieges.
Und doch gibt es Fortschritt in der Geschichte.
Die Einigung Europas ist die Antwort auf die beiden verheerenden Weltkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Eine Friedenszone von Irland bis Malta, von Estland bis Portugal ist ein eindrucksvoller Beweis dafür, dass
wir ja doch aus der Geschichte lernen können. In Umkehrung eines verhängnisvollen Satzes römischer
Feldherren möchte ich daher sagen: „Si vis pacem para pacem“, also: „Willst du den Frieden, dann bereite den
Frieden“!
Was das mit den Salzburger Festspielen zu tun hat?
Sehr sehr viel, denke ich. Und zwar nicht nur deshalb, weil Kunst und Politik, Kunst und Friede, Kunst und Gewalt
immer wieder Themen des Festspielprogramms sind, sondern auch deshalb, weil wir den Römern den klugen Satz
verdanken: Wo Mars regiert, schweigen die Musen. Und ich denke, auch das Gegenteil davon ist wahr, beziehungsweise
sollte zur Wahrheit gemacht werden: Wenn die Musen regieren, hat Mars zu schweigen. Betrachten wir das vereinigte
Europa als eine Errungenschaft, die uns hilft, den Musen ihren Stellenwert zu geben und so dem Friedenswerk dienen.
Das bedeutet ja nicht, dass wir verpflichtet sind, jedem Kunstwerk mit Lob und Begeisterung zu begegnen. Auch der
Betrachter von Kunst hat seine Freiheit. Aber: Kunst muss möglich sein. Und sie muss die faire Chance haben,
unsere Selbstgefälligkeit heraus zu fordern und unsere Lebenswelt auf den Prüfstand zu stellen. Und sie
darf nicht auf Festspiele und auf exklusive Plätze im Scheinwerferlicht beschränkt sein. Kunst muss die
Chance zur Auseinandersetzung erhalten. Ich empfinde es auch als einen perfiden Untergriff gegen die Kunst, alles
und jedes gut zu heißen. Undifferenziertes Lob verweigert den Dialog mit der Kunst ebenso, wie jede pauschale
Verurteilung. Damit umgeht man die Auseinandersetzung. Kritik ist nicht nur erlaubt, sondern notwendig. Sie muss
allerdings die Proportionen wahren und muss sich auf Argumente stützen, nicht auf Macht. Und sie darf nicht
dazu dienen, Kunst zu verhindern.
Ich möchte der Kunst und den Künstlern jedenfalls ein Wort der Ermunterung sagen und sie ermutigen, uns,
das Publikum ernst zu nehmen – und heraus zu fordern.
Die Salzburger Festspiele sind eröffnet"
Quelle: Präsidentschaftskanzlei |