Rede von Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel anlässlich der Eröffnung der
			Salzburger Festspiele am 23. Juli 2004 
			"Der Festspielsommer hat seine festen, großen und kleinen Termine, seine Stammgäste, seine Rituale,
			mit der Genauigkeit eines Metronoms wird der Eröffnungstakt geschlagen, vorgestern in Bregenz, heute in Salzburg.
			Und wie man hört, aus den Kartenbüros, verlässlich sind die Opern, die Theater, die Konzerte gut
			besucht, und man sagt ja auch manchmal den Festspielen, vor allem dort, wo sie erfolgreich sind, und Gäste
			anziehen und verführen, nach, das sie Routine haben und besitzen. Ist das eigentlich ein Schimpf? Allemal
			wir hätten überall verlässliche Routinies und Profis am Steuerruder von Kultur, Wirtschaft und Politik.
			Und auch wir Politiker rücken aus und Reden "Fest". 
			 
			In Hannah Arendt berühmten Essay "Die Politik im antiken Griechenland", verweist sie auf die heute
			seltsam klingende Idee, die höchste Aufgabe des Staatsmanns sei die Schaffung von Schönheit. Ist das
			eine altmodische Begründung Kunst und Spiele massiv zu subventionieren, ich glaube nicht. Jeder Politiker
			der etwas von sich hält ist auch Kulturpolitiker und muss auf die Fragen die meine Vorrednerin gestellt hat,
			versuchen Antworten zu geben. 
			 
			Die Gründerväter der Salzburger Festspiele sind für manche ja nur noch Nebelgestalten. Hugo von
			Hofmannsthal, Max Reinhardt, Richard Strauss, Hermann Bahr. Was glaubten sie? Woher kamen sie? Wohin wollten sie
			gehen? Und was ist daraus geworden? 
			 
			Zu der dringend notwendigen Neugeburt der Festspiele, ich zitiere Intendant Ruzicka:"gehört auch die
			Zukunft der Erinnerung". Es war eine Österreichische Idee, so Hofmannsthal, aber auch wieder er, der
			Glaube an einen Europäismus, als Fundament unseres geistigen Denkens. Und ist und war ein großer Bogen
			zu schlagen. Es sind keine 100 Tage her, als wir die Wiedervereinigung Europas am 1. Mai in die Realität übernommen
			haben. Nicht einmal einen Monat ist es her, seit wir eine europäische Verfassung beschlossen haben. Und gestern
			ist die neue Führung der europäischen Kommission gewählt worden. Auch hier also die Chance auf einen
			wahrhaften Neubeginn. 
			 
			Ich habe in Bregenz davon gesprochen, das wir über 200 Sprachen in Europa haben, ein Freund von mir, Prof.
			Karner, hat mich korrigiert, es sind in Europa alleine 277 Sprachen und 500 Dialekte. Und sagt Voltaire: "Sprachen
			sprechen heißt viele Schlüssel zu einem Schloss besitzen". Noch brutaler, härter Wittgenstein:
			"Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt." Und Ingeborg Bachmann führt das weiter
			"Keine neue Welt ohne neue Sprache." Jede Sprache, man könnte auch in der Musik sagen jeder Klang
			erschließt seine eigene Welt, ein eigenes Universum. Und jede Sprache hat eigene Mythen, eigene Märchen,
			eigene Erzählungen. Jede Sprache ihre eigene Melodie, ihren eigenen Klang, ihre eigene Musik. 
			 
			Wir definieren Europa oft von den Grenzen her. Was uns von anderen Teilen der Welt abgrenzt. Man könnte auch
			Grenzen heute, im neuen Europa eher als Türen definieren, die sich öffnen lassen, die uns neugierig hindurchgehen
			lassen, in diese neuen vielfältigen Universen. Und man könnte Europa auch als den Gehalt definieren,
			seine Identität zu denken, und Sprachen und Dialekte und Musik gehören dazu. Europa sitzt hier, nüchtern
			gesagt, auf einem Schatz der Vielfalt der noch nicht für alle gehoben ist, lange nicht. Und Künstler
			erschließen uns Übergänge, Zwischenräume, Überlebensräume. Sie machen unsichtbares
			sichtbar. Sie geben dem Neuen einen Namen, den das noch nicht benannt ist. Sie können vorausahnen was kommt,
			und sie halten wichtig, Erinnerung wach, Erinnerung wach von der Schlacke der Tradition befreit und retten sie
			damit für die Zukunft. Manche Kunstwerke könnte man beinahe als Flaschenpost bezeichnen, irgendwann in
			der Hoffnung aufgegeben, irgendwo und irgendwann an Land gespült und als Hoffnungsbotschaft verstanden zu
			werden. 
			 
			Max Reinhardt hat, in Wien lauft im Theatermuseum eine sehr interessante Ausstellung über ihn, da hab ich
			das Zitat gefunden: 
			"Ich hab mein ganzen Leben lang nichts anderes getan als meine Träume verwirklicht." Aber wenn diese
			Träume so stark lebendig sind, das sie andere Menschen zum mitträumen verführen, dann entsteht eine
			zauberische Wirklichkeit. Und in einer Zeit wo die Globalisierung vieles in Frage stellt, manchen bedroht, Heimatlosigkeit
			und Entfremdungsgefühle aufkommen lässt, wird ja zugleich ein uralter Traum der Menschheit möglich,
			nämlich die Nachbarschaft mit allen zu fühlen und zu erleben. Und das meine ich könnte, ja müsste,
			Europa anbieten. 
			 
			In der Verfassung die vor einem Monat beschlossen wurde, sind solche Grundrechte definiert. Die Freiheit der Kunst
			etwa, die Achtung der Sprachen, der Respekt und der Schutz für die Minderheiten, die Bewahrung der regionalen
			Kultur. Und das ist schon sehr nahe dem, was Hoffmannsthal "Europäisierung" nannte. 
			 
			Jean Monet hat gemeint, der Erfolg Europas wird in seiner Kultur liegen. Und das ist möglich. Aber nur dann,
			wenn wir lernen, kulturell zusammenzuwachsen, und zugleich Schutz und Respekt den regionalen Unterschieden zu geben.
			Beides ist in der Verfassung vorgesorgt. Und damit im Atelier Europa kein Kunstprodukt wächst, damit wir eine
			Zivilisation und nicht eine Zuvielisation werden, da können und müssen uns Künste und Spiele helfen.
			Im überschreiten der Grenzen, im Aufbrechen der Denkkäfige und Erfahrungspanzer, sie können den
			Schatz der Erzählungen und Klänge heben, und sie können ein neues Zuhause in Nähe und Weite
			anbieten. Und wer kann das besser als die Salzburger Festspiele?" 
			 
			Quelle: BPD |