Kardinal Schönborn: Causa St. Pölten wäre vermeidbar gewesen  

erstellt am
22. 07. 04

Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz in ORF-Sendung "kreuz&quer": "Sehe nicht ein, warum die Katholiken in Österreich sich das antun müssen"
Wien (stephanscom.at) - Die Causa St. Pölten wäre vermeidbar gewesen, "wenn das geschehen wäre, was in der kirchlichen Ordnung vorgesehen ist, und wenn auf die warnenden Stimmen gehört worden wäre". Das stellte der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, Kardinal Christoph Schönborn, in der ORF-Fernsehsendung "kreuz&quer" am Dienstagabend (20. 07.) fest. Gleichzeitig zeigte der Wiener Erzbischof Verständnis für die vielen kritischen Reaktionen auf die Causa: "Ich sehe nicht ein, und ich muss das in dieser Deutlichkeit sagen, warum die Katholiken und Katholikinnen in Österreich sich das antun müssen. Das war vermeidbar", sagte der Wiener Erzbischof.

Schönborn bedauerte weiters, dass durch die Vorgänge in der Diözese St. Pölten der gesamte Klerus wieder in Misskredit gezogen werde. Priester, die sich in einer ohnehin schwierigen seelsorglichen Situation redlich bemühen, und Pfarrgemeinden, die als christliche Gemeinden zu leben versuchen, sähen sich nun wieder einem negativen Pauschalurteil ausgesetzt: "So ist die Kirche, so sind die Priester, so sind die Seminare". "Das ist unverdient", betonte der Kardinal.

Enttäuschung äußerte Kardinal Schönborn auch über das Verhalten des Vatikans. Er sei sehr erfreut, dass Papst Johannes Paul II. jetzt schnell gehandelt habe. Die Österreichische Bischofskonferenz und der Apostolische Nuntius in Wien, Erzbischof Georg Zur, hätten aber im Vatikan schon vor Monaten darauf hingewiesen, dass in St. Pölten etwas "nicht richtig" laufe. "Es ist traurig, dass erst jetzt gehandelt wird", so Schönborn: "Ich kann meine Trauer und meinen Zorn darüber nicht verbergen". Die Einsetzung eines Apostolischen Visitators für St. Pölten sei nun der richtige Schritt.

Der Wiener Erzbischof erinnerte daran, dass er vor sieben Jahren - zusammen mit dem damaligen Salzburger Generalvikar Prof. Johann Paarhammer - eine routinemäßige Visitation aller österreichischen Priesterseminare vorgenommen hatte. Damals sei das St. Pöltener Seminar vorbildlich geführt gewesen. Vor zwei Jahren habe Bischof Krenn die bewährte Leitung abberufen und einen Sonderweg eingeschlagen. Die übrigen Bischöfe hätten Krenn "sehr davor gewarnt", von gemeinsamen Regeln und der kirchlichen Ordnung bei der Auswahl der Priesteramtskandidaten abzugehen. Man habe - auch in der Bischofskonferenz - "deutlich dagegen protestiert", dass im St. Pöltener Seminar Kandidaten aufgenommen wurden, die in anderen Diözesen abgelehnt worden waren.

Es gebe - wie Schönborn hervorhob - für die Aufnahme von Kandidaten, die in einem anderen Priesterseminar abgelehnt wurden, präzise kirchliche Regeln: In diesem Fall müsse im anderen Seminar rückgefragt werden, warum der Kandidat dort abgelehnt wurde, und eine Aufnahme müsse besonders streng und genau geprüft werden. "Das ist in St. Pölten unterblieben. Wir haben darüber zu Recht unsere Sorge geäußert, und wir haben leider schmerzlich recht behalten", so der Vorsitzende der Bischofskonferenz. Die jetzige Krise im St. Pöltener Seminar sei daher "ein klarer Leitungsfehler"; hier habe Bischof Krenn seine Sorgepflicht vernachlässigt.

Er wolle - so der Kardinal - nicht ausschließen, dass die anderen Bischöfe in der Causa auch Fehler gemacht haben: "Ich glaube, wir haben klar gesagt, wo die Gefahren sind. Aber vielleicht war es nicht deutlich genug, gegenüber Rom und auch gegenüber Bischof Krenn". Vielleicht hätte man sich noch mehr um das Gespräch mit Bischof Krenn bemühen müssen. Es bleibe aber die Tatsache, dass Bischof Krenn "ganz bewusst einen Sonderweg gegangen" sei, trotz aller Warnungen.

Zulehner: Krise kann zur Chance werden
Der Wiener Pastoraltheologe wies in der Diskussionssendung darauf hin, dass die jetzige Aufarbeitung der Causa St. Pölten entscheidend für den künftigen Weg der österreichischen Kirche sei. Die Visitation dürfe nicht an der Oberfläche bleiben. Sie müsse transparent und umfassend erfolgen, und sie müsse "strukturelle und personelle Konsequenzen" nach sich ziehen. Sollte das nicht so kommen, "dann ist die Enttäuschung wirklich bleibend, dann werden wir uns aus einem neuerlichen Kirchentief nicht mehr so schnell erholen".

Der "Krenn-Skandal" - so Zulehner - könnte für Österreichs Kirche aber auch zu einer echten Chance werden. Die Kirche sei nach der "kaum gelösten Causa Groer "schwer leidend" und "wie ein Patient" vorwiegend mit sich selber beschäftigt gewesen. Unter der Leitung Kardinal Schönborns "haben wir erstmals wieder Fuß gefasst", sagte der Theologe. So habe die katholische Kirche in Österreich bei der Einigung Europas "eine wichtige und starke Rolle gespielt".

Man habe versucht, "die innerkirchlichen Probleme einigermaßen unter Kontrolle zu kriegen", was sehr schwer gewesen sei. Nur eine Kirche, die im eigenen Haus Ordnung schafft, werde auch in der Gesellschaft präsent sein können und Vertrauen gewinnen, so Zulehner. Die Kirche sei auf diesem Weg ein gutes Stück vorangekommen. Innerhalb weniger Stunden sei aber vieles von dem wieder in Frage gestellt worden. "Darum verstehe ich die tiefe Enttäuschung und das Entsetzen sehr vieler Leute, die an diesem geduldigen Wiederherstellen gearbeitet haben", sagte der Pastoraltheologe.

Eine klare Aufarbeitung der Causa St. Pölten könnte der österreichischen Kirche "das Unwahrscheinliche bescheren, dass sie im europäischen Konzert eine wird, die sich wirklich sehen lassen kann". Sie könnte eine Kirche werden, die "mit einer großen Leidenschaft des Evangeliums auf der Seite der Menschen ist".

Krenn hat Bischofsamt "faktisch" zurückgelegt
Zur Frage einer möglichen Ablöse von Bischof Krenn meinte Zulehner, Krenn sei "schon längere Zeit faktisch zurückgetreten". Er habe weder das Priesterseminar noch die Diözese als ganzes in Ordnung gehalten. Mit einer Ablöse würde nur "aktenkundig, was in der Sache tragischer Weise schon länger geschehen ist". Bischof Krenn habe sich leider "nie synodal, kollegial verhalten", er habe "nie auf das Kollegium seiner Mitbrüder gehört". Zulehner wies auf Aussagen von Kardinälen wie Walter Kasper und Miloslav Vlk hin, wonach ein Bischof sein Amt nur im Kollegium mit den anderen Bischöfen und im genauen Hineinhören in das Kirchenvolk seiner Diözese ausüben könne. Bischof Krenn habe beides vermissen lassen.

Das Festhalten Roms an Krenn hält nach Ansicht Zulehners mit den Versuchen zusammen, die Stellung der Bischofskonferenzen im Vergleich zum einzelnen Bischof zu schwächen. Laut Zulehner wäre es an der Zeit, "die Kollegialität der Bischöfe in den Strukturen zu sichern", so wie es das Zweite Vatikanische Konzil gewollt habe. Derzeit bestehe diese Kollegialität nur auf dem Papier.

Kardinal Schönborn wollte den Aussagen Zulehners nur zum Teil zustimmen. Es sei berechtigt, auch im Sinne des Konzils, die persönlich Verantwortung des Bischofs für seine Diözese wieder stärker zu betonen. In manchen Bischofskonferenzen - etwa der französischen - sei es zu Entwicklungen gegeben, "wo Kommissionen mehr oder weniger alles beherrscht haben". Da habe Rom zurecht gegengesteuert, so Schönborn. Das Konzil sage allerdings auch deutlich, dass das Hirtenamt nicht alleine ausgeübt werden könne - weder ohne das Volk Gottes noch ohne das Kollegium der Bischöfe. In der Österreichischen Bischofskonferenz sei man in den vergangenen Jahren "in der Zusammenarbeit einen großen Schritt weiter gekommen", sagte der Kardinal.

"Pastorales Hochrisiko"
Prof. Zulehner stellte fest, dass Krenn durch die "Aufnahme von Personen, die ein pastorales Hochrisiko bedeuten", in sein Seminar schwere Krisen verursacht habe. Der Theologe formulierte die Hoffnung, dass der Vatikan aus den problematischen Bischofsernennungen der achtziger Jahre Lehren gezogen habe. Es sei zu hoffen, dass die Nachfolge Krenns in anderer Weise gelöst werde - nämlich unter breiter Einbeziehung von Seelsorgern und Pfarrgemeinderäten.

Das Problem der Pädophilie sei nicht an Priester festzumachen, warnte Zulehner. Die Zölibatsverpflichtung spiele dabei keine Rolle. Pädophilie komme ebenso "bei verheirateten Pädagogen, Sporttrainern und evangelischen Pastoren" vor. Kardinal Schönborn widersprach in diesem Zusammenhang auch der Meinung, infantile Sexualität sei vor allem ein Phänomen der "konservativen" Kleriker. Er wisse aus seinen US-Kontakten und den Dossiers über die dortigen Skandale, dass sich Pädophilie ebenso unter "liberalen" Kirchenvertretern finde.

Der Wiener Erzbischof plädierte in diesem Zusammenhang für ein neues Modell der Priesterausbildung, das der personalen Reifung der Kandidaten besondere Bedeutung zumisst. Das "Propädeuticum" (der verpflichtende Vorbereitungslehrgang für alle Kandidaten) sei ein Aspekt, ein weiterer sei die Übernahme des "Pariser Modells" der Priesterausbildung, wie sie in Wien bereits praktiziert werde. Im Rahmen dieses Modells werden die Seminaristen in "Lehr-Pfarren" ausgebildet und kommen nur ein mal in der Woche im Seminar zusammen. In Paris habe das dazu geführt, dass dort heute ein junger, engagierter und gut integrierter Klerus arbeite, betonte der Wiener Erzbischof.

Abschließend erinnerte Kardinal Schönborn daran, dass es echte Probleme mit Bischof Krenn gibt - "gesundheitliche Probleme, sein teils verletzender Stil und das oft sehr Unkommunikative in seinem Führungsstil, bis hin zur jetzigen Situation, wo praktisch keine Führung mehr möglich ist in der Diözese". Das Jesus-Wort "Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet" gehöre aber auch zum Evangelium.
     
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