Kölner Max-Planck-Forscher haben in Pflanzen ein wichtiges Entwicklungsgen entschlüsselt,
das bei höheren Tieren an der Krebsentstehung beteiligt ist
München (alphagalileo) - Die Funktionen eines Gens, dass eine Schlüsselrolle bei der Vererbung
von Tieren, Pflanzen und Pilzen spielt, haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung
und der Penn State University, USA, in der Modellpflanze Arabidopsis thaliana aufgeklärt. Das Gen mit dem
Namen RAD51 ist wichtig für die Rekombination und Reparatur des genetischen Materials bei der Vererbung. Beim
Menschen könnte eine Störung dieses Prozesses zu Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten oder Geburtsfehlern führen.
Die Forscher gehen deshalb davon aus, dass das Gen eine Schlüsselrolle bei der Produktion von Spermien und
Eizellen spielt und für die Verhinderung von Krebs von Bedeutung ist (PNAS 20. Juli 2004).
Die Entstehung von Krebs ist trotz intensiver Forschungsarbeiten noch immer ein weitgehend unverstandener Prozess.
In den letzten Jahren beschäftigt man sich zunehmend mit der Stabilität bzw. Instabilität des Genoms
als mögliche Krebsursache. Dabei wird die Stabilität des Genoms von einer Vielzahl von Mechanismen kontrolliert:
Einer davon ist die homologe Rekombination, ein Mechanismus, der die fehlerfreie Reparatur von Schäden des
Genoms erlaubt und bei dem das Gen RAD51 eine zentrale Rolle spielt.
RAD51 scheint zudem in tierischen Organismen mit Mechanismen verzahnt zu sein, die den Zellzyklus kontrollieren
und daher in engem Zusammenhang mit der Krebsentstehung zu stehen. Doch das Gen konnte man bisher in höheren
Tieren nicht untersuchen, da seine Funktion in diesen Organismen lebensnotwendig ist und Zellen, in denen dieses
Gen defekt ist, sofort sterben.
Doch jetzt ist es Wissenschaftlern um Bernd Reiss am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Zusammenarbeit
mit Kollegen um Prof. Hong Ma an der Penn State University, USA, gelungen, Pflanzen zu untersuchen, bei denen man
das RAD51-Gen zerstört hatte. Zum Erstaunen der Forscher blieben diese Pflanzen jedoch vollkommen lebensfähig
und wuchsen genauso schnell und kräftig wie Pflanzen, in denen das Gen weiter intakt war. Dieser Befund legt
nahe, das die bei höheren Tieren so wichtige Rolle von RAD51 für die Qualitätssicherung des Genoms
bei Pflanzen (noch) nicht existiert. Aus diesen sowie jüngst bei dem Wurm C. elegans und der Fruchtfliege
gemachten, in die gleiche Richtung gehenden Beobachtungen schlussfolgern die Forscher deshalb, dass RAD51 seine
Bedeutung für die Genomstabilität erst in höheren Tieren erworben hat.
Doch RAD51 ist in Pflanzen nicht ohne Funktion. Pflanzen mit defektem RAD51 sind steril und können daher keine
Samen bilden. Der Defekt betrifft sowohl männliche als auch weibliche Keimzellen und scheint daher von grundlegender
Bedeutung für die Bildung von Nachkommen zu sein. Bei der eingehenden Untersuchung der Meiose, also des Prozesses,
der der Vererbung in Keimzellen zugrunde liegt, konnten die Wissenschaftler jetzt erstmals für einen höheren
Organismus nachweisen, dass RAD51 eine essentielle Rolle bei der Vererbung spielt.
So müssen die Träger der Erbinformation, die Chromosomen, bei der Bildung der Keimzellen geordnet und
dann auf die nächste Generation von Zellen verteilt werden. Bei diploiden Organismen, wie dem Menschen oder
auch Arabidopsis, ist die Erbinformation doppelt vorhanden. Daher müssen sich die homologen Chromosomen zuerst
finden, bevor sie verteilt werden können. Doch bei der Untersuchung Gen-veränderter Arabidopsis-Pflanzen
zeigte sich, dass die Erkennung der Chromosomen ohne RAD51 nicht mehr funktioniert: Statt sich paarweise anzuordnen,
zerfielen die Chromosomen und wurden nicht mehr geordnet auf die Tochterzellen verteilt.
Die jetzt an der Pflanze Arabidopsis gemachten Erkenntnisse leisten einen wichtigen Beitrag, die Rolle des RAD51-Gens
bei der Entwicklung und Vererbung, aber auch der Entstehung von Krebs in komplexen, mehrzelligen Organismen zu
verstehen.
Originalveröffentlichung:
Wuxing Li, Changbin Chen, Ullrich Markmann-Mulisch, Ljudmilla Timofejeva, Elmon Schmelzer, Hong Ma and
Bernd Reiss
The Arabidopsis AtRAD51 gene is dispensable for vegetative development but required for meiosis PNAS, vol. 101,
no. 29, July 20, 2004 |