Cap gegen Beginn eines Verhandlungsprozesses - Spezielle Partnerschaft zwischen EU und Türkei
entwickeln
Wien (sk) - "Die EU ist sowohl aus politischen als auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht
reif für einen Betritt der Türkei", erklärte der geschäftsführende SPÖ-Klubobmann
Josef Cap am Mittwoch (15. 09.) in einer Pressekonferenz. Die EU müsse erst die Erweiterung um zehn Mitgliedstaaten
in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht bewältigen, machte Cap deutlich. Bei der anstehenden
Entscheidung im Dezember dürfe die Skepsis der Bevölkerung gegenüber einem Beitritt der Türkei
quer durch alle EU-Staaten nicht ignoriert werden. Der gf. SPÖ-Klubobmann fordert daher auch Kanzler Schüssel
auf, dass er bei der Sitzung des EU-Rates der Staats- und Regierungschefs Verhandlungen mit der Türkei mit
dem Beitrittsziel nicht zustimmt. Cap spricht sich dafür aus, dass die EU und die Türkei eine spezielle
Partnerschaft nach Vorbild des EWR-Modells entwickeln.
Eine aktuelle Studie des Münchner Osteuropainstituts (März 2004) zeige, dass die Türkei nicht reif
für einen Beitritt zur EU ist, so Cap. So gebe es weiterhin Defizite im Justizwesen sowie bei Menschen- und
Minderheitenrechten. Auch im Jahresbericht von Amnesty International aus dem Jahr 2004 werde festgehalten, es sei
noch "zu früh, um eine wesentliche Verbesserung der Menschenrechtslage infolge der Gesetzesänderungen
erkennen zu lassen", zitierte Cap. Auf Unverständnis stößt beim gf. SPÖ-Klubobmann die
Aussage von EU-Kommissar Verheugen, der zuletzt die Fortschritte der Türkei lobte und darauf verwies, dass
man anders als in der Vergangenheit nun kaum mehr von "systematischer" Folter sprechen könne. Für
Aufregung hätte zuletzt auch der Plan der türkischen Regierung gesorgt, im Zuge der Verabschiedung des
neuen Strafrechts Ehebruch zu einem Strafdelikt zu machen. Vorbehalte würde zudem immer wieder geäußert,
dass die Türkei bei den Wirtschaftreformen trotz Erfolgen erst am Anfang eines langen Weges zur Erfüllung
der Kopenhagener Kriterien stehe.
Unabhängig von der Beitrittsreife der Türkei stelle sich die Frage, ob die EU überhaupt
reif für weitere Beitritte sei, stellte Cap in den Raum. Das Europäische Parlament (EP) habe erst im
April in einem Beschluss vor voreiligen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gewarnt. Zuerst müsse die
Fähigkeit der Union geprüft werden, neue Mitglieder aufzunehmen, ohne die Stoßkraft der europäischen
Integration, ihren inneren Zusammenhalt und ihren Prinzipien in Frage stellen, heißt es in dem Beschluss
des EP.
Cap machte weiters darauf aufmerksam, dass die Türkei mit prognostizierten 100 Millionen Einwohnern im Jahr
2050 das bevölkerungsreichste Mitgliedland und der größte Nettoempfänger der EU sein wird.
Zudem werden die Kosten eines EU-Beitritts der Türkei enorm sein: Das Münchner Osteuropainstituts geht
bei einer vollen Integration von einem Nettotransfer von 14 Milliarden Euro aus. EU-Kommissar Fischler schätze
allein die Belastung des EU-Agrarhaushaltes durch einen Beitritt der Türkei so hoch sein wie die Gesamtsumme
der Kosten, die bei der Aufnahme der zehn neuen Mitgliedsstaaten sind. Cap fügte dabei hinzu, dass er grundsätzlich
die von Fischler geäußerten Bedenken teile.
Der gf. SPÖ-Klubobmann wies außerdem auf die sicherheitspolitischen Aspekte hin, die bei einem EU-Beitritt
der Türkei zu beachten seien. Die EU müsse sich die Frage stellen, ob sie sicherheitspolitisch beim derzeitigen
Stand der Außen- und Sicherheitspolitik überhaupt gerüstet sei, Syrien, den Irak, den Iran, den
Kaukasus und Zentralasien als Nachbarn zu haben. Es stelle sich überdies Frage, wo die Grenzen der Erweiterung
sind: Wenn die Türkei Mitglied wird, wieso nicht auch die Ukraine?
Cap kommt zu dem Schluss, dass die EU aus wirtschaftlichen und politischen Gründen derzeit nicht reif ist
für einen Beitritt der Türkei. Er könne das vor allem aus der Debatte rund um die EU-Verfassung
und aus der Tatsache, dass es letztlich zehn neue Mitgliedsländer gibt, argumentieren, so der gf. Klubchef.
"Diejenigen, die jetzt darauf drängen, dass im bisherigen Tempo weiter Mitgliedsländer aufgenommen
werden, die wollen eigentlich keine politische Union, die wollen eigentlich keine wirklich integrierte, strukturierte,
politische, soziale, wirtschaftliche Union, sondern lediglich eine Freihandelszone und eine Zollunion", hielt
Cap fest.
Die Skepsis der Bevölkerung gegenüber einem Beitritt der Türkei quer durch die EU dürfe bei
der anstehenden Entscheidung bei der EU-Ratstagung im Dezember nicht ignoriert werden, betonte Cap. Nicht nachvollziehbar
ist für den gf. SPÖ-Klubobmann die "Schlaucherlstrategie" von Kanzler Schüssel. Wenn nämlich
Beitrittsverhandlungen einmal begonnen sind, stehe am Ende der Beitritt. Wenn eine andere Form der Partnerschaft
angestrebt werde, müsse dies am Beginn der Verhandlungen klar gemacht werden. Daher appelliert Cap an den
Bundeskanzler, dass "er bei der Sitzung des EU-Rates der Staats- und Regierungschefs Verhandlungen mit der
Türkei mit dem Beitrittsziel nicht zustimmt, sondern, dass er eher vorschlägt, dass man Verhandlungen
beginnt, um die bisherige Assoziierung EU Türkei, die es ja schon gibt, auf eine neue Qualität zu heben".
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