Cap: Europäische Union nicht reif für Beitritt der Türkei  

erstellt am
16. 09. 04

Cap gegen Beginn eines Verhandlungsprozesses - Spezielle Partnerschaft zwischen EU und Türkei entwickeln
Wien (sk) - "Die EU ist sowohl aus politischen als auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht reif für einen Betritt der Türkei", erklärte der geschäftsführende SPÖ-Klubobmann Josef Cap am Mittwoch (15. 09.) in einer Pressekonferenz. Die EU müsse erst die Erweiterung um zehn Mitgliedstaaten in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht bewältigen, machte Cap deutlich. Bei der anstehenden Entscheidung im Dezember dürfe die Skepsis der Bevölkerung gegenüber einem Beitritt der Türkei quer durch alle EU-Staaten nicht ignoriert werden. Der gf. SPÖ-Klubobmann fordert daher auch Kanzler Schüssel auf, dass er bei der Sitzung des EU-Rates der Staats- und Regierungschefs Verhandlungen mit der Türkei mit dem Beitrittsziel nicht zustimmt. Cap spricht sich dafür aus, dass die EU und die Türkei eine spezielle Partnerschaft nach Vorbild des EWR-Modells entwickeln.

Eine aktuelle Studie des Münchner Osteuropainstituts (März 2004) zeige, dass die Türkei nicht reif für einen Beitritt zur EU ist, so Cap. So gebe es weiterhin Defizite im Justizwesen sowie bei Menschen- und Minderheitenrechten. Auch im Jahresbericht von Amnesty International aus dem Jahr 2004 werde festgehalten, es sei noch "zu früh, um eine wesentliche Verbesserung der Menschenrechtslage infolge der Gesetzesänderungen erkennen zu lassen", zitierte Cap. Auf Unverständnis stößt beim gf. SPÖ-Klubobmann die Aussage von EU-Kommissar Verheugen, der zuletzt die Fortschritte der Türkei lobte und darauf verwies, dass man anders als in der Vergangenheit nun kaum mehr von "systematischer" Folter sprechen könne. Für Aufregung hätte zuletzt auch der Plan der türkischen Regierung gesorgt, im Zuge der Verabschiedung des neuen Strafrechts Ehebruch zu einem Strafdelikt zu machen. Vorbehalte würde zudem immer wieder geäußert, dass die Türkei bei den Wirtschaftreformen trotz Erfolgen erst am Anfang eines langen Weges zur Erfüllung der Kopenhagener Kriterien stehe.

Unabhängig von der Beitrittsreife der Türkei stelle sich die Frage, ob die EU überhaupt reif für weitere Beitritte sei, stellte Cap in den Raum. Das Europäische Parlament (EP) habe erst im April in einem Beschluss vor voreiligen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gewarnt. Zuerst müsse die Fähigkeit der Union geprüft werden, neue Mitglieder aufzunehmen, ohne die Stoßkraft der europäischen Integration, ihren inneren Zusammenhalt und ihren Prinzipien in Frage stellen, heißt es in dem Beschluss des EP.

Cap machte weiters darauf aufmerksam, dass die Türkei mit prognostizierten 100 Millionen Einwohnern im Jahr 2050 das bevölkerungsreichste Mitgliedland und der größte Nettoempfänger der EU sein wird. Zudem werden die Kosten eines EU-Beitritts der Türkei enorm sein: Das Münchner Osteuropainstituts geht bei einer vollen Integration von einem Nettotransfer von 14 Milliarden Euro aus. EU-Kommissar Fischler schätze allein die Belastung des EU-Agrarhaushaltes durch einen Beitritt der Türkei so hoch sein wie die Gesamtsumme der Kosten, die bei der Aufnahme der zehn neuen Mitgliedsstaaten sind. Cap fügte dabei hinzu, dass er grundsätzlich die von Fischler geäußerten Bedenken teile.

Der gf. SPÖ-Klubobmann wies außerdem auf die sicherheitspolitischen Aspekte hin, die bei einem EU-Beitritt der Türkei zu beachten seien. Die EU müsse sich die Frage stellen, ob sie sicherheitspolitisch beim derzeitigen Stand der Außen- und Sicherheitspolitik überhaupt gerüstet sei, Syrien, den Irak, den Iran, den Kaukasus und Zentralasien als Nachbarn zu haben. Es stelle sich überdies Frage, wo die Grenzen der Erweiterung sind: Wenn die Türkei Mitglied wird, wieso nicht auch die Ukraine?

Cap kommt zu dem Schluss, dass die EU aus wirtschaftlichen und politischen Gründen derzeit nicht reif ist für einen Beitritt der Türkei. Er könne das vor allem aus der Debatte rund um die EU-Verfassung und aus der Tatsache, dass es letztlich zehn neue Mitgliedsländer gibt, argumentieren, so der gf. Klubchef. "Diejenigen, die jetzt darauf drängen, dass im bisherigen Tempo weiter Mitgliedsländer aufgenommen werden, die wollen eigentlich keine politische Union, die wollen eigentlich keine wirklich integrierte, strukturierte, politische, soziale, wirtschaftliche Union, sondern lediglich eine Freihandelszone und eine Zollunion", hielt Cap fest.

Die Skepsis der Bevölkerung gegenüber einem Beitritt der Türkei quer durch die EU dürfe bei der anstehenden Entscheidung bei der EU-Ratstagung im Dezember nicht ignoriert werden, betonte Cap. Nicht nachvollziehbar ist für den gf. SPÖ-Klubobmann die "Schlaucherlstrategie" von Kanzler Schüssel. Wenn nämlich Beitrittsverhandlungen einmal begonnen sind, stehe am Ende der Beitritt. Wenn eine andere Form der Partnerschaft angestrebt werde, müsse dies am Beginn der Verhandlungen klar gemacht werden. Daher appelliert Cap an den Bundeskanzler, dass "er bei der Sitzung des EU-Rates der Staats- und Regierungschefs Verhandlungen mit der Türkei mit dem Beitrittsziel nicht zustimmt, sondern, dass er eher vorschlägt, dass man Verhandlungen beginnt, um die bisherige Assoziierung EU Türkei, die es ja schon gibt, auf eine neue Qualität zu heben".
     
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