Einsparen statt Rechtsstaat ist der falsche Weg  

erstellt am
14. 09. 04

Jarolim und Jesionek kritisieren Verschlechterungen in der Jugendgerichtsbarkeit
Wien (sk) - Der Generalkontext der Entwürfe zur Strafrechtsreform lasse sich mit "Einsparen statt Rechtsstaat" zusammenfassen, kritisierte am Montag (13.09.) SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Präsidenten des Jugendgerichtshofes i.R. Udo Jesionek. Auf der Strecke bleibe sowohl der Rechtsschutz als auch Resozialisation, Prävention und Reduktion der Rückfallsquoten. "Das, was uns Kriminalität dann wirklich kostet, ist mindestens genauso teuer, wenn nicht teurer, als das, was uns die Verhinderung kosten würde." Jarolim appellierte, im Strafvollzug wirklich eine Verbesserung herbeizuführen und von "dieser völlig absurden Einsparungspolitik" abzusehen, welche, so Jarolim, kein sinnvolles Einsparen, sondern nur eine Verweigerung sei, sich mit Alternativen auseinander zusetzen: "Wir fordern daher die Regierung auf, sich an einen gemeinsamen Tisch zu setzen, Expertinnen und Experten, die etwas zu sagen haben, beizuziehen und wieder eine vernünftige Strafrechtspolitik einzuführen", so Jarolim.

Jarolim verwies auf die Verzahnung von Strafecht, Kriminalitätsbekämpfung, Prävention und Vorbeugung. Einsparungen gibt es in allen diesen Bereichen. Die Aufgabe des Strafrechts, auch auf Ursachen und Entwicklungen aufmerksam zu machen und steuernd einzugreifen - wie dies im Jugendbereich vorbildhaft geschehen ist, - könne nicht mehr wahrgenommen werden.

Jesionek erklärte, dass er fast täglich darauf angesprochen werde, dass seine Prophezeiungen - höhere Jugendkriminalität, höhere Rückfallsquoten und Überbelag in den Gefängnissen - sich bewahrheitet hätten. Genugtuung könne er aber nicht empfinden, da sich seine Einschätzungen zum Schaden der Jugendlichen bewahrheitet hätten. Die Probleme in der Jugendgerichtsbarkeit hält Jesionek für "hausgemacht", wie er hervorstreicht. Dazu geführt habe unter anderem die Herabsetzung des strafrelevanten Alters auf achtzehn Jahre. In Deutschland, so Jesionek, liege es im Ermessen des Richters, Achtzehn bis Einundzwanzigjährige nach dem Jugendstrafrecht abzuurteilen.

Die Problematik fange aber bereits bei der Reduktion von Begleit- und Stützlehrern in Integrationsklassen an. Die Jugendarbeitslosigkeit - "wir sind einer der reichsten Staaten der Welt und haben die bisher höchste Jugendarbeitslosigkeit" - sei ein weiterer entscheidender Faktor.

Auch habe eine Kriminalisierung der Jugendlichen stattgefunden durch das Absenken von Strafuntergrenzen. Die Situation der Jugendlichen im Gefängnis schließlich - sie werden nicht beschäftigt - führe nicht zur Resozialisierung und daher zu höheren Rückfallquoten. "Früher gab es sechs Lehrwerkstätten und drei Schulklassen", heute gebe es keine Lehrwerkstatt. Weiters sei die Aufsplitterung der Jugendgerichtsbarkeit auf 14 Gerichte "für Großstadtverhältnisse katastrophal".

Jarolim betonte, es gehe hier "nicht um Abstraktheiten, die nicht umsetzbar sind, sondern eigentlich um Selbstverständlichkeiten". Die Probleme des Jugendbereichs seien auch im Erwachsenenbereich gegeben. "Wenn man den ganzen Tag nichts zu tun hat, außer eine Stunde auf den Hof zu gehen", sei es kein Wunder, wenn diese Menschen nach ihrer Haft für die Gesellschaft noch gefährlicher sind.

Erhebliche rechtsstaatliche Bedenken bei Strafprozessnovelle 2005
Die Einsparungen beim Schöffengericht - künftig sollen nur mehr ein Berufsrichter und zwei Schöffen urteilen - werden zu einer Qualitätsminderung bei der Rechtssprechung führen. Mangels des Fachwissens der Laienrichter kommen ernsthafte Diskussionen bei der Urteilsberatung nur zustande, wenn die beiden Berufsrichter unterschiedlicher Meinung sind. Fällt der eine Berufsrichter weg, ist zu befürchten, dass die Urteilsberatung zu einem bloßen Vortrag des Berufsrichters wird. Die SPÖ fordert in diesem Zusammenhang auch eine Reform der Laiengerichtsbarkeit durch fundierte Schulung der Schöffen und Geschworenen und eine Modifizierung der Auswahl.

Den Vorschlag der Ausfertigung des Urteils in gekürzter Form bei schöffengerichtlichen Verfahren beurteilten Jarolim und Jesionek unisono als mit einem Rechtsstaat im Herzen Europas nicht vereinbar. Denn die Basis für die Wahrnehmung von Rechtsmitteln ist eine umfassende Urteilsbegründung - ansonsten bleibt nur eine Beeinspruchung aufgrund von Formfehlern.

Eine Anhebung der Wertgrenzen beurteilen Jarolim und Jesionek als positiv, die Anhebung von Tagsätzen wird als optische Maßnahme erkannt. Auch wenn die Hoffnung auf vermehrte Einnahmen entsteht, sei dies ohne Wirkung, da der richterliche Spielraum hier entscheidend ist.

Jesionek erinnerte daran, dass bei den großen Rechtsreformen der SPÖ-Alleinregierung mit Ausnahme der Fristenregelung Einstimmigkeit aller Nationalratsparteien erzielt wurde. "Da hat man sich zusammengesetzt, und es ist so lange diskutiert worden, bis man sich einig war." Genau das vermisse er heute. Die neue Justizministerin Miklautsch wird - auf Journalistenanfrage - von Jarolim und Jesionek als bemüht und mit positiven Ansätzen beurteilt, im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Böhmdorfer habe sie soziale Kompetenz. Allerdings drückte Jarolim seine Befürchtung aus, dass Miklautsch "aufgrund der Gruppendynamik" dazu gezwungen werde, nicht mehr das zu sagen, was sie denkt.
     
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