Bilanz nach 10 Jahren Außenpolitik  

erstellt am
23. 09. 04

Erklärung der scheidenden Außenministerin und Debatte
Wien (pk) - Zunächst gab Bundesministerin Benita Ferrero-Waldner eine Erklärung zu Grundsatzfragen der Außenpolitik ab. Sie verband dies auch mit einer Bilanz, zumal sie durch beinahe zehn Jahre die Außenpolitik in Österreich mitgestaltet und gestaltet habe.

Mit dem Beitritt zur EU, so die Außenministerin, sei Österreich in eine gänzlich neue Phase seiner Außenpolitik eingetreten. Die letzten zehn Jahre zählen ihrer Ansicht nach auch zur wichtigsten Phase nach 1955. In dieser Periode sei es nicht nur zu Herausforderungen durch die Globalisierung der Außenpolitik und im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit gekommen, sondern sie habe auch die EU-Präsidentschaft Österreichs organisatorisch und inhaltlich mitbestimmen können. Diese Präsidentschaft sei professionell durchgeführt worden und habe die Basis für die Beitrittsverhandlungen mit den Nachbarstaaten gelegt, die erfolgreich abgeschlossen werden konnten. Weitere Meilensteine ihrer Ministertätigkeit hätten die Einführung des Euro und des Schengenraumes betroffen. Eine große Probe habe sie dann im Jahr 2000 zu bestehen gehabt, gleichzeitig habe sie in der OSZE den Vorsitz geführt, wo sie einen besonderen Schwerpunkt auf das Gebiet des Kaukasus gelegt habe.

Ferrero-Waldner erinnerte auch an ihre Rolle bei den beiden Regierungskonferenzen zum Nizza-Vertrag und zur EU-Verfassung und zeigte sich stolz auf ihre Arbeit für das "Human Security Network", wo sie 2003 den Vorsitz geführt und einen besonderen Schwerpunkt auf die Menschenrechtserziehung sowie auf Kinder in bewaffneten Konflikten gelegt hatte. Aus dieser Zeit stamme auch das Menschenrechtshandbuch. Ferrero-Waldner unterstrich, dass sie in Österreich die Entwicklungszusammenarbeit auf eine neue Basis gestellt habe und das neue Gesetz sowohl Schwerpunktsetzungen erlaube als auch die Arbeit der NGOs besser unterstütze.

Sie könne nun als Außenministerin die Stafette guten Gewissens weitergeben, Österreich stehe gut da, verfüge über gute Beziehungen zu allen Staaten, auch zu Israel; es werde in Österreich auch ein neues OSZE-Hauptquartier geben und der UNO-Standort sei gestärkt worden, so Ferrero-Waldner. Darüber hinaus habe sie der Auslandskulturpolitik besonderes Augenmerk geschenkt und mit dem Kulturinstitut in New York verfüge Österreich über ein neues Wahrzeichen.

Sie habe sich bemüht, das Außenministerium als ein echtes Serviceinstrument für die Bürgerinnen und Bürger zu gestalten und sie könne versichern, dass die Botschafter und Botschafterinnen rund um die Uhr für die Menschen da seien. Ein wichtiges Anliegen sei ihr die Förderung der Frauen: Bei den letzten Botschafterbestellungen seien erstmalig 25 % aller Posten an Frauen gegangen.

Weiters führte die Außenministerin aus, dass sie aktiv und mit Engagement die EU mitgestaltet habe. Als nächste wichtige Aufgaben betrachtet sie die Ratifizierung der Verfassung, die Konsolidierung der Erweiterung, die Fortführung der Erweiterung um Rumänien, Bulgarien und Kroatien und die Entwicklung einer europäischen Perspektive für die Länder Südosteuropas. Zur Frage eines Beitritts der Türkei wartet Ferrero-Waldner den Bericht Verheugens ab und sieht der Studie über die Auswirkungen eines Türkeibeitritts auf die EU, welche von Österreich initiiert worden war, mit Interesse entgegen.

Ferrero-Waldner sprach abschließend die zukünftigen Herausforderungen an die EU aus ihrer Sicht an und nannte unter anderem die Bekämpfung des Terrorismus, des Extremismus und des Fundamentalismus, die von Regionalkonflikten geschürt würden. Weitere Punkte betrafen den Umweltschutz, die Globalisierung, die Bewältigung von Krankheiten und Epidemien und die sich immer mehr öffnende Kluft zwischen Arm und Reich. Die Antwort darauf könne nur eine sein, nämlich ein gemeinsames Europa, sagte die Außenministerin. Sie werde dabei in erster Linie Schwerpunkte auf Konfliktmanagement und Prävention, auf Multilateralismus und die Menschenrechte legen. Die EU solle weiterhin größter Geldgeber für die Armen in der Welt bleiben, bekräftigte sie. Wichtig sei ihr auch die Umsetzung der Sicherheitsstrategie und die Stärkung des Transatlantischen Bündnisses. Die EU müsse eine globale Führungsrolle bekommen, und das gehe nur, wenn sie stark sei, und stark könne sie nur durch Umsetzung der Lissabon-Strategie sowie durch den Schutz der Umwelt und der Lebensqualität sein.
   

Als Kommissarin werde es ihr ein besonderes Anliegen sein, möglichst viel mit den Bürgerinnen und Bürgern zu kommunizieren und deshalb werde sie so oft wie möglich nach Österreich zurückkommen.

Im Anschluss daran würdigte Klubobmann Dr. CAP (S) das persönliche Engagement und den persönlichen Einsatz Ferrero-Waldners bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Er wünschte ihr für die Zukunft alles Gute und sicherte zu, dass man sie auch in der neuen Position seitens der Opposition unterstützen werde.

Rückblickend, meinte Cap, hätte sich die SPÖ mehr Konsens in der Außenpolitik gewünscht. Er nannte in diesem Zusammenhang die Sicherheitsdoktrin und die Positionierung Österreichs zum Irak-Krieg. Die damals eingenommene Position der Mitte sei nicht die Position für den Frieden und für die führende Rolle der UNO gewesen, so die kritische Anmerkung Caps. Auch in der Frage der regionalen Partnerschaft habe man Österreich zu wenig als Plattform des Dialogs positioniert, so der SPÖ-Klubobmann, die Mobilisierung einer Achse gegen die andere Achse sei jedoch von der SPÖ als nicht zielführend erachtet worden. Er hoffe auch, dass Ferrero-Waldner in Brüssel der Atomlobby stärker entgegentreten werde.

Unklar sieht Cap die zukünftige Rolle Ferrero-Waldners, zumal der designierte Kommissionspräsident Barroso selbst die Außenpolitik maßgeblich mitbestimmen wolle und es ab 2007 einen eigenen Außenminister geben werde. Deutlich sprach sich Cap gegen einen Beitritt der Türkei zur EU aus und meinte, man müsse für dieses Land ein eigenes Modell entwickeln.

Abgeordneter Mag. MOLTERER (V) zollte der Arbeit der Außenministerin großen Respekt und Lob und teilte deren Auffassung, dass die letzten zehn Jahre zu den wichtigsten der Zweiten Republik gehört hätten, etwa vergleichbar mit der Zeit zwischen 1945 und 1955. Die Jahre nach 1995 hätten eine enorme Dynamik gebracht und seien auch mit großen außenpolitischen Veränderungen und damit mit dem Namen Ferrero-Waldners verbunden gewesen. Österreich habe sich in diesem Zeitraum positiv verändert und sich als starker gleichberechtigter und verlässlicher Partner etabliert. Die Erweiterung der Union um zehn neue Mitglieder sei ein Erfolg geworden und hänge mit einer professionellen Vorbereitung und Verhandlungsführung zusammen. Molterer ging in diesem Zusammenhang auf die Initiative der regionalen Partnerschaft ein und wies darauf hin, dass dadurch die kleinen und mittleren Staaten ihre Interessen in der Verfassung verankern konnten.

Durch sein internationales Engagement nehme Österreich nun auch einen stärkeren Platz in der Welt ein, hielt Molterer fest, und das "Human Security Network" könne man als einen sensationellen Erfolg bezeichnen, der untrennbar mit dem Namen Ferrero-Waldner verbunden sei. Ihr Engagement für Kinderrechte sei ein unschätzbarer Beitrag Österreichs und seiner Außenministerin.
   

Als besonders herausragend bezeichnete Molterer die Rolle Ferrero-Waldners im Jahr 2000, als sie Österreich mit "Mut, Festigkeit und Charme" verteidigt habe. Das werde ihr in Österreich niemand vergessen, sagte der ÖVP-Klubobmann. Sie habe für Österreich sehr viel geleistet, oft auch unbedankt und im Verborgenen gewirkt, und ihre Berufung in einen der wichtigsten Aufgabenbereiche der Europäischen Kommission stelle "für Österreich eine große Auszeichnung und für Europa die beste Wahl" dar.

Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) übte eingangs Kritik daran, dass der Bundeskanzler noch keine Nachfolgerin beziehungsweise noch keinen Nachfolger bestimmt hat. Da die Außenministerin de facto auf dem Weg nach Brüssel sei, bestehe derzeit in der österreichischen Außenpolitik ein Vakuum.

Hinsichtlich der Beurteilung der letzten zehn Jahre schloss sich Van der Bellen seinem Vorredner an und würdigte, dass sich Ferrero-Waldner nicht nur massiv für die Erweiterung eingesetzt, sondern auch immer einen umfassenden und positiven Sicherheitsbegriff ihrer Arbeit zugrunde gelegt habe. Er wünsche ihr daher alles Gute als Europäische Kommissarin, wobei der Redner das Wort "europäische" herausstrich. Er wies auf die Verantwortung in dieser Position hin, zumal die aktuellen Krisenherde von Tschetschenien über Sudan bis zum Palästinenserkonflikt enorm seien. Notwendig werde es auch sein, das Verhältnis zu Russland sowie zur USA neu zu gestalten. Van der Bellen zeigte sich aber optimistisch, dass Ferrero-Waldner diesen Aufgaben mit Verve und Erfolg begegnen werde.

Abschließend nahm Van der Bellen zur Diskussion um einen EU-Beitritt der Türkei Stellung und meinte, dass man eigentlich nein sagen müsse. Die EU habe aber 40 Jahre lang diskutiert und im Jahr 1999 einen Beitritt in Aussicht gestellt. Deshalb stehe nun die Glaubwürdigkeit der EU auf dem Spiel, weshalb er davor warne, nun leichtfertig eine andere Position zu beziehen und die Türkei anders zu behandeln als die übrigen Beitrittsländer.

Abgeordneter SCHEIBNER (F) bezog kritisch zu einem allfälligen EU-Beitritt der Türkei Stellung und sah die diesbezügliche Haltung der EU von Unehrlichkeit geprägt. Die Türkei sei ein wichtiges Partnerland für Europa. Die EU müsse aber signalisieren, dass es auch andere Wege als die Vollmitgliedschaft geben kann, diese Partnerschaft weiter zu entwickeln. Die Union sei, wie Scheibner betonte, eine Wertegemeinschaft. Man habe zur Kenntnis zu nehmen, dass nicht alle Staaten dieser Wertegemeinschaft angehören können.

Defizite ortete der FP-Klubchef auch in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Hier laufe sehr viel schief, konstatierte er. Afghanistan, der Nahe Osten, der Irak, der Balkan, der Sudan seien nach wie vor offene Fragen, wo sich die EU zu wenig aktiv in der Krisenprävention engagiert habe. Auch Österreich ist nach den Worten Scheibners aufgerufen, sich stärker einzubringen und dabei vor allem den Mut zu haben, gegebenenfalls auch gegen diplomatische Spielregeln zu verstoßen.

Abgeordneter Dr. EINEM (S) vermisste eine Grundposition der EU hinsichtlich des Umgangs mit jenen Staaten, die nicht Mitglied werden können, wollen oder sollen. Europa müsse sich überlegen, was es diesen Staaten anbieten könne. Die Dynamik der ständigen Erweiterungen bringe, wie Einem befürchtete, die Union zudem in eine Situation, in der nicht mehr gewährleistet sei, dass die Ziele, an denen die Menschen hängen, auch tatsächlich eingelöst werden können. Für den Redner ging es vor allem darum, die EU so weiter zu entwickeln, dass die Menschen zu ihr Ja sagen können.

Abgeordnete Mag. HAKL (V) würdigte die Tätigkeit Ferrero-Waldners, wobei sie vor allem das Auftreten der Ministerin gegen die Sanktionen im Jahr 2000, aber auch das Engagement für die Entwicklungspolitik positiv hervorhob. Zum Türkei-Beitritt hielt Hakl fest, die EU müsse Wege der Vertiefung ihrer speziellen Partnerschaft mit der Türkei finden, ohne dass eine der beiden Seiten dabei überfordert werde.

Abgeordnete LUNACEK (G) ortete nach der Verabschiedung Ferrero-Waldners ein außenpolitisches Vakuum in Österreich. Eine Ministerin, die bereits Kommissarin ist, werde die anstehenden Fragen, von den Budgetverhandlungen über die Entwicklungspolitik bis hin zum EU-Beitritt der Türkei, nicht erledigen können, fürchtete sie. Lunacek forderte Schüssel auf, rasch die Nachfolge zu regeln.
   

Abgeordneter Dr. BÖSCH (F) sprach im Zusammenhang mit einem EU-Beitritt der Türkei die Frage der Grenzen der EU an. In den letzten vierzig Jahren habe sich die EU entscheidend verändert, aus der Wirtschaftsgemeinschaft sei eine politische Gemeinschaft geworden. Gerade die jüngste Diskussion über das türkische Strafrecht habe die Probleme eines Beitritts aufgezeigt. Bösch empfahl der EU, sich auf die Vertiefung und ihre Arrondierung im Balkanraum zu konzentrieren und endlich klar zu stellen, dass es weitere Erweiterungsschritte nicht geben kann.

Bundeskanzler Dr. SCHÜSSEL sieht in der Betrauung der Außenministerin mit einem der zentralen Ressorts in Europa auch einen Ausdruck von Gerechtigkeit. Es sei mehr als bloß eine Pointe der Geschichte, dass Österreich nach dem schwierigen Start der Regierung im Jahr 2000 nun in der Person von Benita Ferrero-Waldner, die vor vier Jahren noch im Schmuddeleck der EU gestanden ist, wieder die Würde zurückgegeben werde, betonte er mit Befriedigung. In der Bestellung der Ministerin sah Schüssel zudem auch eine Bestätigung des hohen internationalen Stellenwerts und der Anerkennung der heimischen Außenpolitik.

Vizekanzler GORBACH zollte der scheidenden Außenministerin ebenfalls seine volle Anerkennung. Ferrero-Waldner habe mit ihrer Außenpolitik nicht nur der Wirtschaft enorm geholfen, sondern auch die Basis für gute Beziehungen vor allem zum südosteuropäischen Raum gelegt. Die neue Kommissarin werde in der EU eine gute Visitenkarte für Österreich abgeben, zeigte sich Gorbach überzeugt.

Abgeordnete Mag. WURM (S) appellierte an Ferrero-Waldner, in Brüssel die Neutralität Österreichs nicht zu vergessen, aber auch dafür zu sorgen, dass bei den Maßnahmen der Terrorbekämpfung die Grund- und Freiheitsrechte nicht auf der Strecke bleiben.

Abgeordneter Dr. SPINDELEGGER (V) resümierte, zehn Jahre Außenpolitik durch Ferrero-Waldner haben ihre Spuren hinterlassen. Er dankte der Ministerin insbesondere für das Auftreten gegen die Sanktionen und hob darüber hinaus das von Ferrero-Waldner vorangetriebene Projekt der regionalen Partnerschaft in der Nachbarschaftspolitik als weitblickend und zukunftweisend hervor.

Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG (G) mahnte in Anspielung an den Irakkrieg eine stärkere Position Österreichs in Fragen des Völkerrechts ein. Handlungsbedarf sah sie auch in der Entwicklungspolitik, wo Österreich ihrer Meinung nach aufgerufen ist, seinen Beitrag zu erhöhen.

Abgeordneter DI SCHEUCH (F) erteilte einem EU-Beitritt der Türkei eine klare Absage und meinte, es gehe für die EU auch darum, religiöse und ethnische Grenzen zu akzeptieren. In der nun erweiterten Union hielt es der Redner überdies für entscheidend, die Interessen Österreichs stärker zu vertreten.
     
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