Wien (sk) - Über das Thema "EU - wie weiter?" diskutierten am Dienstag (21. 09.) im
Rahmen der Herbstklausur des SPÖ-Parlamentsklubs SPÖ-EU-Delegationsleiterin Maria Berger, Hannes Swoboda
(geschäftsführender Vorsitzender d. SPE-Fraktion im EP) und Johannes Voggenhuber (MdEP, Stellvertretender
Vorsitzender des Verfassungsausschusses) unter der Leitung von Caspar Einem (Europasprecher der SPÖ). Themen
der Debatte waren unter anderem, welche Perspektiven es für ein soziales Europa gibt, wo die Grenzen Europas
sind und die Budgetpolitik.
Zu Beginn der Debatte gingen die Diskutanten auf die Frage ein, was sie von der neuen EU-Kommission erwarten. Für
SPÖ-EU-Delegationsleiterin Maria Berger spiegelt die Zusammensetzung der Kommission die politische Realität
wider. Europa werde mehrheitlich von konservativen Regierungen regiert, die Konservativen hätten im Europäischen
Parlament die Mehrheit, dementsprechend setzte sich daher auch die Kommission zusammen. Der Grüne Europaabgeordnete
Johannes Voggenhuber bezeichnete die neue EU-Kommission als "neoliberales Kampfprojekt". Für Voggenhuber
ist die jetzige Kommission lediglich ein "Instrument der Regierungen". Auch der geschäftsführende
Vorsitzende der SPE-Fraktion im EP, Hannes Swoboda, wies darauf hin, dass durch die Zusammensetzung der Kommission
eine neoliberale Ausrichtung zu erwarten ist.
Welche Perspektive gibt es für ein Soziales Europa?
SPÖ-EU-Delegationsleiterin Berger bekräftigte, dass es zu einer Vergemeinschaftung der Wirtschafts-
und der Budgetpolitik kommen müsse, erst dann zu einer Vergemeinschaftung der Sozialpolitik. "Wenn man
es nicht schafft, die Steuerpolitik zu vergemeinschaften, bestehe die Gefahr, dass in der Sozialpolitik die sozialen
Standards in den Nationalstaaten abgesenkt werden. Jedenfalls setze ein soziales Europa ein stärkeres Europa
voraus, weshalb die EU-Verfassung ein wichtiges Instrument sei.
"Wir dürfen das Erreichen der Lissabon-Ziele, nämlich Beschäftigung in Europa zu schaffen und
der wettbewerbsfähigste Wirtschaftsraum zu werden, nicht aufgeben", betonte Swoboda. Daher seien Investitionen
in Forschung und Infrastruktur unabdingbar. Zweiter wichtiger Punkt: Es dürfe zu keiner Privatisierung öffentlicher
Dienstleistungen kommen. Auch Swoboda betonte die enorme Bedeutung der EU-Verfassung. "Nicht weil wir mit
dem Entwurf so zufrieden sind", aber es sei für die Vertiefung der Integration ein ganz wichtiger Schritt,
so der Europaparlamentarier.
Für Voggenhuber ist eine "Vergemeinschaftung der Sozialpolitik" notwendig. Es bedürfe einer
europäischen Sozial-, Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik, es bedürfe einer EU-weiten Steuerharmonisierung
und es bedürfe sozialer Mindeststandards. Diese Forderungen seien auch Gegenstand des EU-Konvents gewesen,
es habe sich dafür jedoch keine Mehrheit gefunden. Sollte es zu keiner "Vergemeinschaftung" kommen,
geht der "Urtraum" der Neoliberalen in Erfüllung, dass die Nationalstaaten erpressbar sind.
Wo sind die Grenzen Europas?
Für SPÖ-Vorsitzenden Alfred Gusenbauer steht die Europäische Union "auf des Messers
Schneide". Wenn es nicht gelinge, eine Verfassung zustande zu bringen, "dann bricht Europa auseinander",
warnte Gusenbauer. Das Hauptproblem sei, dass Europa zur Zeit von "Anti-Europäern" regiert werde
und der europäische Integrationsprozess - auch durch eine "überzogene Erweiterungspolitik"
- "verwässert werde. Er sei immer der Auffassung des ehemaligen Kommissionspräsidenten Delors gewesen,
dass die EU nur durch eine Vertiefung der Integration weiter bestehen würde, so der SPÖ-Chef. Die Debatte
über ein "Kerneuropa" bedeutet für Gusenbauer eine "Kapitulation": Die ursprüngliche
Integrationsidee werde nicht mehr als realisierbar angesehen, sondern mit Kerneuropa eine "Ersatzplattform"
gebildet.
Bevor man über eine weitere Erweiterung der EU diskutiere, müsse man erst die jetzige Erweiterung verkraften
und die EU-Verfassung, so Gusenbauer. Nur weil die EU der Türkei über Jahrzehnte die Türkei "an
der Nase herumgeführt" habe, sei dies kein Argument, diese falsche Politik fortzusetzen. Gusenbauer kann
sich Verhandlungen über eine stärkere Kooperation mit der Türkei vorstellen, aber keine Verhandlungen
über einen Beitritt. Als Sozialdemokrat müsse man in den Vordergrund rücken, wie aus diesem Europa
ein soziales Europa wird, betonte der SPÖ-Chef. Man dürfe sich nicht dauernd von Anti-Europäern
die Tagesordnung diktieren lassen.
Der gf. SPÖ-Klubobmann Josef Cap erklärte, man dürfe nicht die Warnungen von EU-Kommissar Fischler
vom Tisch wischen, dass allein die Belastung des EU-Agrarhaushaltes durch einen Beitritt der Türkei so hoch
sein werden wie die Gesamtsumme der Kosten, die bei der Aufnahme der zehn neuen Mitgliedsstaaten zu tragen sind.
Cap äußerte den Verdacht, dass es hier wirtschaftsliberale Kräfte gibt, die gegen die Integration
sind und nur mehr eine Freihandelszone wollen. Die EU und die Türkei sollten nach Ansicht des gf. SPÖ-Klubobmanns
eine spezielle Partnerschaft nach Vorbild des EWR-Modells entwickeln. Cap plädierte für "mehr Ehrlichkeit"
in der ganzen Diskussion - man solle offen sagen, dass die EU für einen Betritt der Türkei nicht vorbereitet
ist.
Swoboda wies darauf hin, dass man der Türkei immer die Beitrittsoption vor Augen gehalten habe, er halte es
daher für "unmöglich" zu sagen, "es kommt nicht in Frage". Nach Aussage Swobodas
plane die Kommission einen Passus, wonach die Verhandlungen mit der Türkei ausgesetzt werden können,
wenn bestimmte Reformen nicht erfolgen. Ein weiterer Passus sehe die Alternative einer privilegierten Partnerschaft
für den Fall vor, dass man zur Ansicht kommt, ein Vollbeitritt sei nicht möglich. Für Swoboda geht
es in der Diskussion um zwei Dinge: Man müsse die positive Entwicklung in der EU vorantreiben und man dürfe
die türkisch-stämmige Bevölkerung in Österreich nicht vor den Kopf stoßen.
Gusenbauer fordert Änderung der Ausgabenstruktur
Im Zusammenhang mit dem künftigen EU-Budget forderte Gusenbauer, dass es "keinen Euro mehr für
die jetzige Politik geben dürfe, solange die Ausgabenstruktur nicht geändert werde. Gusenbauer sprach
sich auch dafür aus, Förderungen für die neuen Mitglieder an klare Bedingungen zu koppeln.
Ansonsten finanziere man nur die Verschärfung des Steuer-Wettbewerbs, so Gusenbauer. |