EU-Verhandlungen mit der Türkei  

erstellt am
08. 10. 04

 SPÖ beharrt auf Kanzler-Bindung durch Parlament
"Wenn sich Parlament ernst nimmt, muss über so substanzielle Frage abgestimmt werden"
Wien (sk) - Die SPÖ beharrt darauf, dass Kanzler Schüssel in der Frage von Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei an eine österreichische Position gebunden werden kann. "Für uns ist das von allergrößter Wichtigkeit", bekräftigte der geschäftsführende SPÖ-Klubobmann Josef Cap am Donnerstag (07. 10.) in einer Pressekonferenz. Cap verwies darauf, dass der anerkannte Verfassungsexperte Theo Öhlinger in einem Gutachten sehr klar dargelegt hat, dass eine Bindung rechtens ist. Die SPÖ werde "dahinter sein", dass über einen Bindungsantrag abgestimmt werden muss, unterstrich der gf. SPÖ-Klubchef.

"Eine besonders bedenkliche Optik" ist für den gf. Klubobmann, wenn ein Regierungsmitglied, nämlich Vizekanzler Gorbach, sich gegen eine Bindung ausspreche. Weiters bezeichnet Cap es als unverständlich, wenn Nationalratspräsident Khol hier auf das Mitwirkungsrecht des Parlaments verzichte. Hier gehe es nicht nur um eine rechtliche Frage, hier gehe es um das Parlament selbst. "Wenn sich das Parlament ernst nimmt, muss über eine solch substanzielle Frage abgestimmt werden", betonte Cap.

Keine seriöse Antworten auf einige zentrale Fragen
Als "nicht zufriedenstellend" wertet Cap den gestern vorgelegten Bericht der EU-Kommission, in dem Beitrittsverhandlungen mit der Türkei empfohlen werden. Aus Sicht des gf. SPÖ-Klubobmanns gibt es keine seriöse Antwort darauf, ob die EU den Beitritt der Türkei wirtschaftlich, sozial und politisch verkraften kann. Die Aussage von EU-Kommissar Fischler, dass die Kommission diesbezüglich noch eine vertiefte Analyse vorlegen solle, bestätige diese Einschätzung.

Einer der Hauptkritikpunkte sei, dass die EU-Kommission nicht jeden Punkt der Kopenhagener Kriterien ernst genommen hat, erklärte Cap. So heißt es in den Kriterien: "Die Fähigkeit der Europäischen Union, neue Mitglieder aufzunehmen, dabei jedoch die Stoßkraft der europäischen Integration zu erhalten, stellt jedenfalls einen sowohl für die Union als auch für die Beitrittskandidaten wichtigen Gesichtspunkt dar." Dies sei aber ein ganz wesentlicher Punkt, wenn über diese Causa diskutiert werde, hielt Cap fest. Wenn dies bei der Beurteilung durch die EU-Kommission nicht berücksichtigt werde, werde die Skepsis der Bevölkerung gegenüber der EU weiter zunehmen.

Es sei unbestritten, dass die Türkei Reformschritte gemacht hat, führte Cap weiters aus. Aus dem Kommissionsbericht gehe aber auch hervor, dass die Umsetzung der politischen Reformen weiter verfestigt und ausgedehnt werden müsse. Dies gelte insbesondere für die "Null-Toleranz-Politik" bei der Bekämpfung von Folter und Misshandlungen sowie für die Verstärkung und Durchsetzung der Bestimmungen über Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Frauen-, Gewerkschafts- und Minderheitenrechte. Auch der Europarat habe die Ratifikation der Geldwäsche-Konvention, der Charta der Minderheitenrechte und der EU-Sozialcharta eingemahnt.

Die SPÖ sei dafür, dass die Kooperation mit der Türkei vertieft werden soll. So soll eine Vertragskonstrukt mit der Türkei - "EWR plus/minus" - ausgearbeitet werden, das für eine Zusammenführung der EU mit anderen Nicht-EU-Mitgliedstaaten beispielgebend sein soll. Dazu habe es gestern auch einen einstimmigen Beschluss der SPÖ-Parteipräsidiums gegeben. Die SPÖ habe schon im EU-Wahlkampf - dies sei auch Teil des Wahlprogramms gewesen - betont, dass es vor weiteren Erweiterungsschritten zu einer Vertiefung und Konsolidierung der EU kommen müsse. Der Vorschlag der SPÖ sei sowohl zum Nutzen der Bürger in der EU als auch für die Bürger in der Türkei, so Cap.

Cap plädierte weiters dafür, dass in dieser Frage "auf eine sachliche und vernünftige Art und Weise diskutiert wird". Hier gehe es nicht um Weltanschauungen, um einen "Clash of civilisations", hier gehe es um eine - auch für Österreich - existenzielle Frage, welche Rolle die EU in Zukunft spielen soll. Ein zentrale Frage sei daher: Will man an eine Vertiefung der Union, eine soziale Union, in der für Beschäftigung gesorgt wird, oder soll die EU eine "lose Zollunion" werden, die kein starker "global player" ist. Wenn man für ein vertieftere und sozialere EU ist, soll man dafür auch kämpfen und "nicht nur in Sonntagsreden davon sprechen" sagte Cap abschließend.

 

 Spindelegger: Klare Linie der ÖVP in der Frage EU-Türkei
Brauchen keinen Nachhilfeunterricht von Herrn Scheuch
Wien (övp-pk) - Gerade die ÖVP brauche in der Frage EU-Türkei keinen Nachhilfeunterricht von anderen Parteien. "Wenn wir bei Abwägung aller Argumente zu dem Schluss kommen, dass Verhandlungen mit der Türkei aufgenommen werden sollen, dann muss es auf alle Bedenken und Probleme der Bürger wie Migration, Arbeitsmarkt, Kosten und Landwirtschaft überzeugende Antworten geben" sagte der außenpolitische Sprecher der ÖVP, Dr. Michael Spindelegger, am Donnerstag (07. 10.). Sollten Verhandlungen aufgenommen werden, müsse deren Ausgang offen bleiben.

"Wir wollen keine Tür zuschlagen. Aber erst die Verhandlungen werden zeigen, durch welche Tür wir am Ende gehen können", so der außenpolitische Sprecher der ÖVP. Diese klare Haltung der ÖVP, die Linie von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, des bisherigen EU- Kommissars Franz Fischler und der neuen EU-Kommissarin Benita Ferrero-Waldner habe sich durchgesetzt. "Es ist die Linie der Vernunft, der Gespräche mit offenem Ausgang", so Spindelegger, und diese werde auch von der Bevölkerung honoriert. "Dafür brauchen wir aber keine Ratschläge, weder von FPÖ-Generalsekretär Scheuch, noch anderen", so Spindelegger abschließend.

 

 Scheuch: Klare Vorgehensweise der FPÖ zur Türkei
EU bestätigt mit bedingtem Ja zur Türkei die skeptische Haltung der FPÖ
Wien (fpd) - Überhastete Beitrittsverhandlungen mit dem zwingenden Ergebnis eines EU-Beitrittes seien der falsche Weg. "Für uns Freiheitliche haben die Interessen der Österreicher und Österreicherinnen innerhalb der EU absolute Priorität", betonte FPÖ-Generalsekretär Uwe Scheuch.

"Die skeptische Haltung der FPÖ zum Vollbeitritt der Türkei wurde gestern voll bestätigt. Nach dieser "Ja, aber"-Empfehlung der EU werden wir noch stärker auf Bundeskanzler Schüssel mit dem Ziel einwirken, dass die Verhandlungen nicht ausschließlich die Vollmitgliedschaft der Türkei zum Ziel haben, sondern auch alternative Möglichkeiten für partnerschaftliche Kooperationen behandelt werden", unterstrich der freiheitliche Generalsekretär die Position der FPÖ.

Die in die Empfehlung eingezogenen Schutzklauseln und Notbremsen seien ein eindeutiges Zeichen, dass die SPÖ unter Kanzler Klima überhastet die Weichen in Richtung Verhandlungsaufnahme gestellt hat, ohne Alternativen anzubieten. "Aber auch die Grünen zeichnen sich durch dieses Scheuklappendenken aus. Der bedingungslose Beitritt der Türkei ist weder für die EU tragbar noch hilft er dem Reformprozess in der Türkei", stellte Scheuch fest.

"Wir Freiheitliche werden im Zuge der Beitrittsverhandlungen auch weiterhin der Meinung der Österreicher und Österreicherinnen Gehör verschaffen und auf ein positives Verhandlungsergebnis für Österreich drängen", meinte FP-Generalsekretär Scheuch abschließend gegenüber der Presse.

 

 Türkei und EU haben einen langen Weg vor sich
Van der Bellen: Regierung muss nun Bevölkerung über Folgen eines möglichen EU-Beitritts der Türkei seriös informieren
Wien (grüne) - Bundessprecher Alexander Van der Bellen begrüßt neuerlich die gestrige Empfehlung der EU-Kommission, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen. "In der Türkei hinkt die Praxis bei den Menschenrechten, bei der Gleichberechtigung der Frau und der Minderheiten der Gesetzeslage noch weit hinterher. Die Türkei, hat daher noch einen weiten Weg zu gehen bis zu einem möglichen Beitritt. Es ist daher zu begrüßen, dass die EU-Kommission klar gestellt hat, dass es sich um Verhandlungen mit einem offenen Ausgang handelt", betont Van der Bellen.

Van der Bellen sieht aber auch Handlungsbedarf auf Seiten der EU. So müsse die Vertiefung der EU weiter vorangetrieben werden und die Integration der süd-osteuropäischen Staaten müsse Priorität haben und vor oder gleichzeitig mit einem Abschluss der Verhandlungen mit der Türkei erfolgen. "Die Verhandlungen mit der Türkei sollen nicht von der Situation am Balkan ablenken. Die EU steht also vor gewaltigen Aufgaben", so Van der Bellen.

Von der Bundesregierung fordert Van der Bellen nun eine seriöse Information der Bevölkerung über die Folgen eines möglichen EU-Beitrittes der Türkei. "Die Behandlung dieses wichtigen Unternehmens der EU darf nicht hinter geschlossenen Polstertüren erfolgen, sondern muss für die Bevölkerung nachvollziehbar gemacht werden", so Van der Bellen.
         
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