SCIAMACHY-Instrument an Bord von Envisat liefert weltweiten Luftverschmutzungs-Atlas
Paris (esa) - Wie genau wirkt sich der menschliche Beitrag zur Luftverschmutzung auf die Erdatmosphäre
aus? Nach anderthalb Jahren Beobachtungsarbeit durch den ESA-Umweltsatelliten Envisat liefert eine hoch auflösende
Karte der Stickstoffdioxid-Verteilung rund um den Erdball jetzt Antworten auf diese drängende Frage.
Envisat, der weltgrößte Satellit zur Umweltbeobachtung, zieht seit Februar 2002 seine Bahnen um die
Erde. Neben neun weiteren Instrumenten befindet sich an Bord auch SCIAMACHY (Scanning Imaging Absorption Spectrometer
for Atmospheric Chartography). Hierbei handelt es sich um ein Absorptions-Spektrometer, welches das Spektrum des
durch die Atmosphäre fallenden Sonnenlichts aufzeichnet. In der Atmosphäre werden bestimmte Spektralbereiche
des Lichts von Spurengasen absorbiert, was zu charakteristischen „Fingerabdrücken“ im Lichtspektrum führt.
Aus diesen Mustern kann in ausführlichen Analysen dann auf Art und Umfang der Gasvorkommen geschlossen werden.
Stickstoffdioxid (NO2) ist ein hauptsächlich vom Menschen erzeugtes Gas, das in hohen Konzentrationen zu Lungenschäden
und Atemproblemen führt. In der Atmosphärenchemie nimmt es eine wichtige Rolle ein, da es zur Produktion
von Ozon in der Troposphäre führt – der niedrigsten Schicht der Atmosphäre in etwa 8 bis 16 Kilometern
Höhe.
NO2-Konzentration über Europa - für mehr Details vergrößern
Der vom Menschen verursachte NO2-Ausstoß geht hauptsächlich auf Kraftwerke, die Schwerindustrie und
den Verkehr zurück. Außerdem entsteht das Gas beim Verbrennen von Biomasse. Doch auch auf natürliche
Art und Weise entsteht Stickstoffdioxid – beispielsweise bei Blitzen oder durch Bodenbakterien.
Vereinzelte, bodengestützte Messungen der Stickstoffdioxid-Verteilung in der Atmosphäre werden in vielen
westlichen Industrienationen bereits seit geraumer Zeit durchgeführt. Das so entstehende Gesamtbild ist jedoch
äußerst lückenhaft.
Der ESA-Umweltsatellit Envisat
Eine effektive weltweite Beobachtung ist daher nur aus dem Weltraum möglich. Erste Schritte in diese
Richtung machte die ESA bereits mit dem GOME (Global Ozone Monitoring Experiment) an Bord des Satelliten ERS-2.
Dieses Experiment, ein erster Ansatz zur Messung der Stickstoffdioxid-Verteilung in der Troposphäre, war jedoch
nur der Vorläufer für ein wesentlich umfangreicheres Projekt: SCIAMACHY, das mit dem Envisat-Satelliten
auf die Reise ging und von Deutschland, den Niederlanden und Belgien gemeinsam finanziert wird.
Die Funktionsweise der beiden Instrumente ist im Wesentlichen gleich. Allerdings kann SCIAMACHY im Vergleich zu
GOME mit einer deutlich feineren räumlichen Auflösung aufwarten: 60 x 30 km, verglichen mit lediglich
320 x 40 km beim Vorgänger. Auch der beobachtbare Wellenlängenbereich ist bei SCIAMACHY deutlich größer.
Außerdem ist das neue Instrument flexibler, da es über unterschiedliche Messgeometrien verfügt:
Sowohl Messungen in Richtung Erdoberfläche (sog. Nadir-Messungen) als auch tangentiale Messungen in Richtung
der Flugbahn (Limb-Messungen) sind mit SCIAMACHY möglich.
Die Verarbeitung der von SCIAMACHY gelieferten Daten ist internationale Gemeinschaftsarbeit. Projektgruppen an
den Universitäten Bremen und Heidelberg, am Belgischen Institut für Weltraum-Aeronomie (BIRA-IASB) und
am Königlich-Niederländischen Institut für Meteorologie (KNMI) befassen sich mit der Auswertung.
Der Lohn ihrer Bemühungen: die bisher genauesten Karten der Verteilung senkrechter NO2-Säulen in der
Troposphäre.
„Dank der höheren Auflösung von SCIAMACHY können wir viel mehr Details in den Bildern ausmachen
und teilweise sogar einzelne Städte als Quellen identifizieren“, erklärt Steffen Beirle vom Institut
für Umweltphysik der Universität Heidelberg, wo die oben gezeigte Karte entstand.
SCHIAMACHY erkennt viele verschiedene Spurengase
„Hohe senkrechte NO2-Säulenkonzentrationen finden sich zum Beispiel über Großstädten
in Nordamerika und Europa, aber auch über Städten wie Mexico City oder der Highveld-Hochebene in Südafrika,
wo auf engem Raum eine Reihe von Kohlekraftwerken angesiedelt sind.“
„Auch im Nordosten von China sind sehr hohe Konzentrationen zu beobachten. In Südostasien und weiten Teilen
von Afrika sehen wir Stickstoffdioxid, das aus der Verbrennung von Biomasse stammt. Teilweise sind sogar große
Schiffsrouten sichtbar, zum Beispiel im Roten Meer oder im Indischen Ozean, zwischen der Südspitze von Indien
und Indonesien. Die dort verkehrenden Schiffe blasen mit ihren Schornsteinen ebenfalls große Mengen von NO2
in die Troposphäre.“
„Diese Karte stellt dabei das Mittel aller verfügbarer Daten über einen Zeitraum von 18 Monaten dar.
So können wir jahreszeitlich bedingte Unterschiede beispielsweise bei der Verbrennung von Biomasse und ähnliche
Unterschiede in den menschlichen Verhaltensmustern ausgleichen.“
Wie bereits GOME misst auch SCIAMACHY das in der Erdatmosphäre gestreute Licht im ultravioletten, sichtbaren
und nahinfraroten Wellenlängenbereich. Den schwierigsten Teil der Arbeit erledigen jedoch anschließend
die Wissenschaftler am Boden: In den gelieferten Datenmassen versuchen sie, die charakteristischen, in der Regel
sehr schwachen Absorptionsmuster von Spurengasen zu finden – was der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel
im Heuhaufen ähnelt.
Vergleich der Raumauflösung von GOME / SCIAMACHY
Der dabei verwendete Ansatz nennt sich DOAS (Differential Optical Absorption Spectroscopy) und ist, einfacher
ausgedrückt, ein komplexer Filtervorgang, wie er auch bei bodengestützten Luftmessinstrumenten zum Einsatz
kommt. Das DOAS-Verfahren entfernt zunächst das dominante „Rauschen“ aufgrund der Rayleigh-Lichtstreuung (die
auch für die blaue Färbung des Himmels verantwortlich ist) und anschließend die Absorptionsmuster
der Sauerstoff-, Stickstoff- und Wassermoleküle, die gemeinsam den Hauptteil der Atmosphäre ausmachen.
Was nach dieser Bereinigung übrig bleibt, interessiert die Wissenschaftler schon viel mehr: die schmaleren
Absorptionsmuster der gesuchten Spurengase. Sind sie einmal gefunden, lassen sich anhand von bekannten Absorptionsquerschnitten
Art und Umfang des betreffenden Gasvorkommens bestimmen. Dieses Verfahren ist so genau, dass die Forscher in den
SCIAMACHY-Daten sogar Säulenverteilungen von nur einigen wenigen Stickstoffdioxid-Molekülen pro Milliarde
Luftteilchen ausmachen können. Zum Vergleich: In Ballungsräumen mit hoher Luftverschmutzung, wie beispielsweise
im Großraum London, kann der NO2-Anteil durchaus hundert Teilchen pro Milliarde erreichen.
Stickstoffdioxid-Karten wie die hier gezeigte werden hauptsächlich aus Nadir-Messdaten erzeugt. Um einen genauen
Wert für die Verteilung in der Troposphäre zu erhalten, müssen daher die Vorkommen in der Stratosphäre
abgezogen werden. Was es den Wissenschaftlern leichter macht: Während sich die NO2-Konzentration in der Troposphäre
stark unterscheidet, ist das Gas in den oberen Atmosphärenschichten, der Stratosphäre, sehr gleichmäßig
verteilt. Also können die Forscher durch Vergleichsmessungen über entlegenen Pazifikgebieten den Stratosphärengehalt
ermitteln und diesen anschließend mit den Nadir-Messungen verrechnen, um einen verlässlichen Troposphärenwert
zu erhalten.
„Die Ergebnisse derartiger Sensoren könnten zukünftig beispielsweise für chemische Wettervorhersagen
und Luftqualitätsprognosen verwendet werden“, kommentiert Beirle den Ausblick. „Im Augenblick konzentrieren
wir uns jedoch darauf, anhand der SCIAMACHY-Messdaten herauszufinden, in welchem Ausmaß die verschiedenen
NO2-Verursacher jeweils zum Gesamtaufkommen beitragen. Also die Verbrennung von fossilen Brennstoffen und Biomasse,
aber auch Blitze – besonders bei denen tappt die Fachwelt noch weitgehend im Dunkeln.“
Hintergrund zu SCIAMACHY
SCIAMACHY ist ein Spektrometer, das gestreutes Licht in einem sehr breiten Wellenlängenbereich misst. Auf
diese Weise kann es Informationen zur Verteilung von Spurengasen, Ozon und verwandte Gase, Wolken und Aerosole
in der Atmosphäre gewinnen. Dabei misst es Sonnenlicht, transmittiertes, reflektiertes und in der Erdatmosphäre
oder am Erdboden gestreutes Licht im ultravioletten, sichtbaren und nahinfraroten Wellenlängenbereich. Mit
einem Sichtfeld von 960 Kilometern kann es den Erdball in sechs Tagen einmal komplett abdecken.
Das Instrument stellt eine nationale Beistellung zur Envisat-Mission der ESA dar. Die Finanzierung erfolgte gemeinsam
durch Deutschland (vertreten durch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR), die Niederlande (Niederländische
Raumfahrtbehörde NIVR) und Belgien (BIRA-IASB).
Die Idee zu SCIAMACHY stammt von Prof. Dr. John Burrows am Institut für Umweltphysik der Universität
Bremen, bei dem auch die wissenschaftliche Leitung des Projekts liegt. SCIAMACHY gehört dabei zu einer Familie
von Atmosphären-Spektrometern, die auch GOME an Bord des ERS-2 sowie das GOME-2-Instrument umfasst, das nächstes
Jahr mit der ersten MetOp-Mission in den Weltraum gehen soll |