Bilanz der Prodi-Kommission  

erstellt am
14. 10. 04

Erklärung der Kommission – Erklärung und Aussprache
Brüssel (europarl.eu.int) - Der Präsident der Europäischen Kommission, Romano Prodi, sagte in seiner letzten Ansprache als Präsident der Kommission vor dem EP, dass es zu Beginn seiner Amtszeit viele Unsicherheiten gegeben habe (Euro, Erweiterung, politische Situation auf dem Balkan, die Krise der Kommission nach Ereignissen 1998, 1999).

Die Kommission habe die Herausforderungen angenommen und Europa eine ehrgeizige
Agenda gegeben, in deren Zentrum die Er-weiterung gestanden habe.

Prodi sprach über die institutionelle Reform der vergangenen Jahre, die mit der Unter-zeichnung des Verfassungsvertrags in Rom zu Ende gehe. Es habe auch eine tiefgreifende Reform im Bereich der administrativen Strukturen und Apparate der Kommission ge-geben. Hierbei habe die Kollegialität eine große Rolle gespielt.

Was die Rolle Europas in der Welt angehe, so habe man einen Vorschlag für eine neue Nachbarschaftspolitik vorgelegt, den Dialog mit den Kulturen angestoßen und gegenseitige Begegnungen gefördert. Man habe sich klar für den Multilateralismus ausgesprochen, wobei globale und regionale Gouvernance, eine engere Partnerschaft mit den Vereinten Nationen und der Abbau des Nord-Süd-Gefälles die bestimmenden Ziele gewesen seien.

Im wirtschaftlichen Bereich habe der Euro die Hauptrolle gespielt. Man habe darauf bestanden, die wirtschaftliche Gouvernance zu stärken und unablässig einen Beitrag zur Lissabon-Strategie geleistet.

Im sozialen Bereich habe die sozialpolitische Agenda den Rahmen für viele Maßnahmen gesetzt. Viele sozialpolitische Ziele seien jedoch nicht erreicht worden, insbesondere in Bereichen, die Einstimmigkeit der Mitglied-staaten erforderten.

Im Zusammenhang mit der Schaffung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts habe es viele Vorschläge gegeben. Man habe eine Vision für die Union nach der Erweiterung zusammen mit den Vorschlägen für die neue Finanzielle Vorausschau vorge-legt.

Abschließend ging er auf den Abschluss der Rahmenvereinbarung zwischen Kommission und Parlament für die gesamte Legislaturperiode ein. Diese habe das politische Zusammenspiel zwischen den beiden Institutionen verstärkt. Die Beziehungen zwischen Parlament und Kommission hätten sich konstruktiv entwickelt.

Der Präsident des Europäischen Parlaments:
Der Präsident des Europäischen Parlaments, Josep BORREL, dankte Romano Prodi für seine Arbeit. Er sei Kommissionspräsident in einem Europa der historischen Veränderungen gewesen. Die größte Erweiterung Euro-pas sei unter seinem Vorsitz durchgeführt worden. Prodi habe auch engagiert an den Arbeiten für eine europäische Verfassung teilgenommen.

Vertreter der Fraktionen:
Hans-Gert POETTERING (EVP-DE, DE) erklärte, er hätte sich gewünscht, dass der Rat sowie die Kommission in voller Besetzung der heutigen wichtigen Aussprache anwesend seien. Die Prodi-Kommission sei eine Kommission mit Licht und mit Schatten gewesen. Die interinstitutionelle Vereinbarung habe die Demokratie und den Parlamentarismus gestärkt. Auch die neue Kommission sei daran gebunden.

Bei dem historischen Anliegen der Erweiterung sei man gemeinsam sehr erfolgreich gewesen. Nicht zu den Glanzpunkten zähle Prodis Handeln im Zusammenhang mit dem Stabilitätspakt. Er hoffe, dass die neue Kommission den Stabilitätspakt verteidige.

Nicht so zufrieden sei er mit den Vorschlägen zur Chemiepolitik. Europa müsse wettbewerbsfähig gemacht werden, es dürfe nicht deindustrialisiert werden. Es sei ein Manko, dass man sich im Hinblick auf die Lissabon-Strategie nicht konkrete Ziele gesetzt habe. Man müsse sich nun strategische Ziele mit Daten setzen. Er habe es bedauert, dass Prodi in den letzten Jahren einen Vorrang in der In-nenpolitik gesehen habe.

Martin SCHULZ (SPE, DE) führte an, dass Prodi sein Amt in einer schwieriger Situation übernommen habe. Er habe aber die Beziehungen zwischen EP und Kommission dadurch entspannt, dass er auf das Europäische Parlament zugegangen sei. Sein Nachfolger werde an diesem Maßstab gemessen werden.

Prodi habe in einer schwierigen Krise Positi-on bezogen: er habe im Plenum erklärt, dass ein Rückgriff auf Waffen das allerletzte Mit-tel der Politik sein dürfe, und dass der einzige legitime Rahmen die UNO sei. In der Frage des Irak-Krieges habe Prodi die richtigen Konsequenzen gezogen.

Wichtig sei die Einführung des Euro gewesen. Der Kampf für die Verfassung sei ein weiteres Anliegen gewesen, für das Prodi gestanden habe. In Bezug auf die Erweiterung habe er vorbildlich gearbeitet. Prodi könne auf seine Bilanz stolz sein.

Graham R. WATSON (ALDE/ADLE, UK) dankte Prodi dafür, dass er "Europa in den Dienst der Menschen" stellen wollte. In Bezug auf die Lissabon-Strategie, die Einführung des Euro, die internen Reformen und die Erweiterung werde Prodis Arbeit Fortbestand haben. Er appellierte an Prodis Nachfolger, sich auf die gute Kooperation zwischen Kommission und Parlament zu stützen.

Watson sprach sich positiv über die "intelligente und innovative Gesetzgebung im Binnenmarkt" aus, doch seien die Wirtschaftsreformen noch nicht vollendet; die Lissabon-Agenda sei leider oft vernachlässigt worden. Er erkenne auch die Arbeit der Kommission bezüglich der Erweiterung an, wodurch ein "Traum verwirklicht" worden sei. Prodis Kommission hinterlasse ein "großes und wei-seres" Europa.

Monica FRASSONI (GRÜNE/EFA, IT) äußerte sich grundsätzlich positiv über die Prodi-Kommission. Prodi habe die Stärkung der EU vorangetrieben. Seine Irak-Position sei klar und von ihrer Fraktion geteilt worden. Dennoch habe dadurch nicht der Krieg ver-mieden werden können, weil Europa nicht mit einer Stimme gesprochen habe.

Hinsichtlich der Erweiterung sei viel Arbeit geleistet worden, doch sei sie enttäuscht, dass die Zypern-Frage nicht geklärt worden sei. Prodis Führungsposition bei der Kyoto-Konferenz sei gut gewesen, sie hätte sich jedoch einen konkreten Stabilitätspakt zum Klimawandel gewünscht.

Uneinig sei man sich bei der genetischen Humanforschung, der Wichtigkeit der Umwelt sowie den Verfahren, bei denen die Rolle des Parlaments nicht klar beschrieben sei, gewesen.

Francis WURTZ (KVEL/NGL, FR) meinte, die Arbeit von fünf Jahren in drei Minuten zu bewerten, gleiche der "Quadratur des Kreises". Die Kommission habe zwar brillante Einzelpersönlichkeiten, doch die politische Gesamtarbeit sei kritikwürdig. Die Agenda von Lissabon habe Vollbeschäftigung gefordert, tatsächlich sei aber ein Rückgang von Arbeitsplätzen festzustellen. In Bezug auf das Tampere-Programm von 1999 seien insbesondere die Politik des Asyl-Rechts und der Migration gescheitert. Das Problem der Migrationsströme habe nicht gelöst werden können. Auch in Bezug auf die transatlantischen Beziehungen seien nicht die richtigen Schlüs-se gezogen worden.

Man müsse innerhalb der Institutionen kritischer sein, denn Widersprüche seien der "Motor des Fortschritts".

Maciej Marian GIERTYCH (IND/DEM, PL) erklärte, die abgehende Kommission habe sich ungerecht im Hinblick auf die neuen Mitgliedstaaten verhalten. Früher hätten neu aufgenommene Länder die gleichen Rechte wie die alten erhalten. Polen und andere neue Mitgliedstaaten hätten nun viel schlechtere Bedingungen erhalten.

Es fehle an Mut, über Referendum über neue Beitritte abstimmen zu lassen; es müsse mehr Demokratie geben. Er sei nicht zufrieden mit dem Verfassungsentwurf der Union. Durch diesen werde die Union zu einem einheitlichen Staatsblock. Man müsse die Subsidiarität berücksichtigen. Schritt für Schritt werde die Kommission zur europäischen Regierung.

Laut Cristiana MUSCARDINI (UEN, IT) sind leider viele Probleme nicht gelöst worden: Der Übergang zum Euro sei nicht gut gestaltet worden, es gebe keine Kriterien für das allgemeine Präferenzsystem und die Agentur für Lebensmittelsicherheit sei Theo-rie geblieben.

Die Terrorismusbekämpfung sei nicht die große Priorität gewesen. Der internationale Terrorismus sei ein Massenmedienterrorismus geworden.

Es seien dennoch Jahre mit positiven Neuerungen gewesen. Leider sei man nicht in der Lage gewesen, mehr Subsidiarität und weniger Bürokratie zu erzielen und Europa dem Bürger näher zu bringen.

Ryszard CZARNECKI (FL, PL) dankte Prodi für dessen Freundlichkeit und Offenheit seinem Land gegenüber. Prodi sei ein Kommissionspräsident zu historischen Zeiten gewesen. Durch die Erweiterung sei die Union europäischer und repräsentativer geworden. Er habe die Hoffnung, dass sie nun wettbewerbsfähiger werde.

Es gebe noch Probleme zu lösen, wie die des Europa der zwei Geschwindigkeiten und der Arbeitslosigkeit.

Weiterer deutschsprachiger Redner:
Hannes SWOBODA (SPE, AT) bestätige, dass die Kommission mit dem EP sehr eng und gut zusammengearbeitet habe. Prodi habe hier Standards gesetzt. Die Erweiterung gebe Prodi recht. Prodi habe auf die Wichtigkeit des Dialogs mit dem Islam aufmerksam gemacht. Die von ihm initiierte Nachbarschaftspolitik müsse fortgesetzt werden.

Swoboda hätte sich in der Beschäftigungspolitik mehr gewünscht. Ein Nichtvorangehen habe aber oft am Rat und nicht an der Kommission gelegen. Es werde eine Mehrheit für die neuen Vorschläge zum Stabilitätspakt geben.

Zur neuen Kommission erklärte er, es gehe jetzt nicht darum, einen Mann abzuschießen, da er einer politischen Richtung angehöre, sondern darum, dass man die Standards, die die Prodi-Kommission in Fragen der Grund- und Freiheitsrechte gesetzt habe, aufrechter-halten wolle.
     
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