Erklärung des Bundeskanzlers zum Nationalfeiertag  

erstellt am
27. 10. 04

(Transkript im Originalwortlaut – Quelle: Bundespressedienst)

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Auch heuer trifft sich die Österreichische Bundesregierung hier im Großen Ministerratssaal des Kanzleramtes zu einer Festsitzung.

Dieser Raum ist - bei allem Prunk und Glanz aus der Monarchie noch - in erster Linie in der heutigen Demokratie ein Arbeitsraum der Bundesregierung, in dem Woche für Woche wichtige Sachentscheidungen vorbereitet und getroffen werden.

Zweimal im Jahr aber stellen wir in Festsitzungen unsere politische Alltagsarbeit ganz bewusst in den Hintergrund und in einen historischen Kontext: am 27. April - dem "Tag der Wiedererrichtung der Republik" - und am 26. Oktober - unserem Nationalfeiertag!

Mit diesen Sondersitzungen rufen wir in Erinnerung, dass die Fundamente für unser Zusammenleben, für Wohlstand, für soziale Sicherheit und Lebensqualität in Österreich sowie für die Rolle, die wir in Europa und in der Welt einnehmen, in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gelegt wurden!

Wir halten damit das ehrende Gedenken an jene Frauen und Männer wach, die damals mit Mut und Optimismus die politische Verantwortung in Österreich in schwieriger Zeit übernommen haben und denen wir so viel verdanken.

Wir denken aber auch an jene zahllose Österreicherinnen und Österreicher, deren Namen wir nicht kennen, die nicht in den Geschichtsbüchern verzeichnet sind. Diese Generation hat, ungebrochen von den Ereignissen des Krieges, den Aufbau unseres Landes in Angriff genommen und hat ihre Arbeit, ihre Ideen und Kreativität, ihre ganze Kraft eingesetzt, um unser Land wieder zum Blühen zu bringen!

Meine Damen und Herren!

Freiheit und Gleichberechtigung der Menschen sind die beiden unverzichtbaren Grundpfeiler der Demokratie. Ein Staat, der die Freiheit und Gleichberechtigung seiner Bürger einschränkt, ist als Demokratie am Ende!

Das haben schon die Staatslehrer im antiken Griechenland gewusst, als sie die theoretischen Grundlagen für unsere modernen Staaten geschaffen haben.

Die Freiheit und die Gleichberechtigung der Völker sind aber die unverzichtbaren Grundpfeiler für einen dauerhaften Weltfrieden.

Beides - Freiheit und Gleichberechtigung - hat das Jahr 1955 für Österreich gebracht:

Nach der Befreiung von der Nazidiktatur, haben wir Österreicher im Jahr 1955 mit dem Staatsvertrag von Wien und dem friedlichen Abzug der Besatzungsmächte von unserem Territorium wieder unsere volle Selbstbestimmung und alleinige Verantwortung für unser Land zurück gewonnen - wir wurden wirklich frei im vollen Wortsinn!

Mit der Aufnahme in die Vereinten Nationen im gleichen Jahr 1955 haben wir unseren Platz als gleichberechtigtes Mitglied der internationalen Völkerfamilie endgültig eingenommen.

In den folgenden Jahrzehnten hat Österreich einen - auch in Europa - einzigartigen Erfolgsweg beschritten: einen Weg des Aufbaus und der wirtschaftlichen Prosperität, einen Weg der Modernisierung und einer gesellschaftlichen Entwicklung, die wirklich jedem Menschen faire Chancen bietet!

Dieser Weg hat uns vor jetzt zehn Jahren in die Europäische Union geführt. Wir haben uns damals in einer Volksabstimmung für die volle Teilnahme an der Europäischen Integration entschieden, und das war absolut richtig!

Das Erfolgsmodell Europa basiert auf den gleichen Grundlagen, die für das Erfolgsmodell Österreich gelten:

Freiheit und Gleichberechtigung der Bürger und der Völker! Die Staaten Europas verzichten endgültig darauf, einander zu beherrschen oder unterdrücken zu wollen. Denn dieser falsche Weg hat unserem Kontinent Jahrhunderte lang in Auseinandersetzungen und Kriege geführt.

Europa garantiert damit den Mitgliedern der Union Freiheit und Gleichheit, die Europäische Verfassung hält dies verbindlich fest, Gleichheit und Selbstbestimmung. Mit ihrer feierlichen Unterzeichnung in drei Tagen in Rom, ist ein Höhepunkt einer erfolgreichen Entwicklung des Friedensprojektes Europa erreicht.
   

Diese neue Verfassung für Europa ist kein abgehobenes Projekt, ohne konkrete Auswirkungen auf den Einzelnen. Ganz im Gegenteil, es ist eine "Verfassung für die Bürger Europas".

Soziale Marktwirtschaft, Vollbeschäftigung, die kulturelle Vielfalt und den Umweltschutz, die Nachhaltigkeit, werden erstmals als gemeinsame Ziele formuliert und festgelegt!

Erstmals werden in einer 54 Verfassungsartikeln die Grundrechte der Bürger in einer Charta verbrieft. Sie garantiert die Meinungsvielfalt, verbietet die Todesstrafe, gebietet die Gleichberechtigung von Mann und Frau und gewährt soziale Grundrechte. Das sind keine leeren Versprechungen, sie können eingeklagt werden vor dem Europäischen Gerichtshof!

Auch die Institutionen Europas werden reformiert und besonders das von den Menschen direkt gewählte Europäische Parlament bekommt größeres Gewicht.

Dass es uns gelungen ist, wichtige gemeinsam definierte österreichische Anliegen durchzusetzen, freut mich ganz besonders. Ich denke etwa an die Frage des Wassers oder daran, dass die kommunalen Dienste weiterhin unter unserer Kontrolle bleiben, dass der Minderheitenschutz der Völker und der Tierschutz erstmals fest im Verfassungsvertrag verankert werden. Österreich hat hier auch seine Handschrift in die Europäische Verfassung eingebracht.

Die Herrschaft des Einen über den Anderen ist eben kein Prinzip mehr in Europa! Deshalb ist das europäische Modell der Integration auch so erfolgreich und anziehend für andere! Wir Europäer von Heute wollen einander kennen und verstehen, wir wollen zusammenarbeiten und uns gemeinsam bemühen, die Herausforderungen zu meistern. Das 21. Jahrhundert, das ist unser Traum, soll das erste Jahrhundert ohne Blutvergießen in Europa werden!

Dazu ist aber auch wichtig, dass Europa selbstbewusst seinen festen Platz in der Welt einnimmt, nicht nur als Wirtschaftsgroßmacht, sondern auch bewusst zur Lösung von Konflikten und Verbreitung des Friedens in der Welt einen selbständigen, eigenständigen und unverwechselbar europäischen Beitrag leistet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Das kommende Jahr bringt zahlreiche wichtige Gedenktage. Es ist wichtig, sich zu freuen und zu feiern. Aber im Vordergrund sollte eigentlich das "Sich-Gedanken-Machen" stehen: Zurückblicken einerseits auf wichtige historische Ereignisse, zugleich aber auch ein Jahr der Standortbestimmung und ein Jahr des Nachdenkens über die Zukunft!

Wenn der Blick nur in die Vergangenheit gerichtet wäre, dann wäre ein solches Jubiläum zwecklos! Ein Blick zurück muss immer zugleich ein Blick nach vorne sein. Der Historiker ist eigentlich immer zugleich Zukunftsforscher!

Dieses Jahr hat vier zentrale Anknüpfungspunkte: 60 Jahre Kriegsende und Wiedererrichtung der Republik - das heißt: wieder Frieden, Freiheit und Demokratie in Österreich; 50 Jahre Staatsvertrag - das heißt: Selbstbestimmung für Österreich als freier Staat; 50 Jahre Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen - das heißt: Rückkehr Österreichs in die internationale Staatengemeinschaft und schließlich 10 Jahre Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union!

Ein paar Gedanken erscheinen mir wichtig dabei:

Unsere Feiern, sollen ein Gemeinschaftsgefühl fördern, alle einbeziehen und beteiligen. Nützen wir daher das Jahr 2005, um diese Gemeinsamkeiten zu betonen und sie auch auszusprechen.

Nachdem eine Million Österreicher, die heute hier leben, nicht in Österreich geboren worden sind, möchte ich, dass sich alle Menschen in diesem Land, wo auch immer sie geboren sind, egal wann und aus welchen Gründen sie und ihre Familien nach Österreich gekommen sind, sich in dieses Jubiläum einbringen und sich auch davon angesprochen fühlen.

Ganz Österreich soll Ideen einbringen und mittun!

Die Standortbestimmung soll auch dazu führen nachzudenken, welchen Beitrag unser Land auf europäischer und internationaler Ebene leistet.

Die Rolle unseres Landes in Europa und in der Welt ist so stark wie unser eigenständiger Beitrag zu gemeinsamen Lösungen. Österreich hat eine lange Tradition bei der Sicherung des Friedens in der Welt mitzuwirken. Österreichische Friedenseinheiten sind am Golan, in Bosnien und im Kosovo. Dort werden wir unser Kontingent verdoppeln. Österreich leistet einen bedeutsamen Beitrag zur Linderung von humanitären Krisen und im Rahmen der Katastrophenhilfe, nach Erdbeben, Hochwasser und Dürre oder Vertreibungsvorgängen. Ich erinnere nur an die Spendenaktion für den Sudan, die bisher über 5 Millionen € eingebracht hat.

Auch bei der Asylfrage geht es - neben der Humanität - um unsere Standortbestimmung: Österreich bleibt im Rahmen unserer Möglichkeiten und im Rahmen des internationalen Rechts natürlich Zufluchtsort für die, die wirklich Hilfe brauchen. Diese Menschen haben Anspruch auf ordentliche, menschenwürdige Behandlung und Unterbringung. Ein rechtsstaatliches und schnelles Verfahren soll ihnen rasch Gewissheit über ihren Status geben und zugleich auch den Missbrauch dieser Einrichtungen verhindern helfen.

Wir haben in der Asylfrage auch Wünsche an Europa: Einen wirksamen Schutz der Außengrenzen Europas gegen organisiertes Verbrechen, gegen Drogenhändler und Menschenschmuggler, ein harmonisiertes Asylrecht, das den Asylsuchenden ein ehrliches und schnelles Verfahren bringt, eine gerechte Aufteilung der Asylanten auf das Unionsgebiet.
   

Meine Damen und Herren!

2005 wird auch jenes Jahr sein, in dem die Arbeiten des Österreich-Konvents in eine ganz entscheidende Phase treten werden. Vieles, was an unserem Verfassungsgefüge gut ist, wird bewahrt oder gestärkt, was erneuerungsbedürftig ist, muss gemeinsam verbessert werden.

Die Arbeiten sind schwierig, aber sie schreiten gut voran. Es wird nicht klappen, ohne die Bereitschaft wesentlicher Gruppen, politisch "über manchen Schatten zu springen". Der Entwurf für eine grundlegende Verfassungsnovelle - eine echte, umfassende Verfassungsrevision - könnte jedenfalls ein schönes Geschenk zum Jubiläumsjahr 2005 werden.

Dass die entscheidenden Kräfte Österreichs, wenn es um wirklich wichtige Zukunftsfragen unseres Landes geht, zusammenstehen, hat sich gerade in diesen Tagen oder besser in der letzten Nacht nach stundenlangen und monatelangen Verhandlungen zwischen den Finanzausgleichspartnern gezeigt. Ich möchte allen danken, die sich hier eingebracht haben, dem Finanzminister, den Vertretern der Länder und Gemeinden und Städten, die an dieser Zusammenarbeit mitgewirkt haben, denn eine neue Vereinbarung zum Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern, Städten und Gemeinden konnte fixiert werden. Die Bedeutung dieser politischen Einigung kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, denn damit ist die finanzielle Zukunft der Gebietskörperschaften für die nächsten vier Jahre außer Streit gestellt.

Dazu gehört die Finanzierung der Städte mit ihren wichtigen Aufgaben, vor allem aber ist die Finanzierung der vielen kleinen finanzschwachen Gemeinden gesichert. Aber auch zur Gewährung der Gesundheitsversorgung ist ein entscheidender Beitrag geleistet worden, denn wir haben in Österreich eine erstklassige Gesundheitssicherung. Die österreichischen Bürger haben damit die Qualität dieser Gesundheitssicherung auch für die Zukunft garantiert. Auch die Spitäler werden solide finanziert. Und ich sage auch offen dazu, das wird einen moderaten Eigenbeitrag der österreichischen Bürgerinnen und Bürger bedeuten, der aber wichtig ist, um diese Qualität des österreichischen Gesundheitssystems wirklich absichern zu können.

Ich möchte daher allen danken, die in diesen Stunden zum Wohle des Landes verhandelt haben.

Meine Damen und Herren!

Vielleicht gelingt es uns auch im nächsten Jahr, einen weiteren Beitrag zur Entstehung einer neuen, modernen österreichischen Gedenkkultur zu leisten.

Viel Positives ist ja rund um den Nationalfeiertag hier in Bewegung gekommen: vor einigen Jahren noch haben wir den 26. Oktober als Tag der Fit-Märsche begangen. Auch diese haben ihre Berechtigung und Verdienste. Aber wir haben natürlich auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit unserem Land zu führen, und wir sollen uns die Auseinandersetzung mit dem, was wir lieben, und mit dem, was wir positiv verändern wollen, gar nicht ersparen.

Seit ein paar Jahren haben wir eine neue Art, den Nationalfeiertag zu feiern, entwickelt:

Die Tage der Offenen Türe der Bundesministerien laden zur Diskussion über den Staat und der Rolle des Bürgers im Staat ein.

Das Konzert für Österreich ist ein Fest der Freude, das wir der Staatsoper und den Wiener Philharmonikern verdanken. Das ist ein Fest, das sie uns schenken. Dafür möchten wir ein lautes und deutliches "Dankeschön" sagen.

Die Verleihung von Ehrenzeichen und Feiern für ehrenamtlich Tätige, die wir am heutigen Tag vornehmen, soll den Wärmegrad und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft sichtbar machen und das persönliche Engagement belohnen.

Die Präsentationen des Bundesheeres und die Angelobung junger Soldatinnen und Soldaten, regen zur ernsthaften Auseinandersetzung mit der Sicherheit unseres Landes an.

Es gibt verschiedene Teilnahmemöglichkeiten am Nationalfeiertag; man kann an Veranstaltungen teilnehmen oder einfach einen arbeitsfreien Tag mit der Familie, zu Hause oder in der Natur genießen.

Wir sollten ihn aber jedenfalls dazu nutzen, um einen Blick auf das zu werfen, was Österreich ausmacht: seine Vergangenheit und seine Gegenwart. Das stärkt unseren Blick dafür, was Österreich in Zukunft für uns, für Österreich selbst und die Welt sein soll!

Herzlichen Dank!
     
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