Dringliche Anfrage der SPÖ im Bundesrat: SOS innere Sicherheit
Wien (pk) - Die Begründung für die Dringliche Anfrage der SPÖ zum Thema "SOS
Innere Sicherheit", in der die Sozialdemokraten dem Innenminister insgesamt 43 Detailfragen zum Ansteigen
der Kriminalität, zur sinkenden Aufklärungsquoten bei gleichzeitig abnehmendem Personalstand in der Sicherheitsexekutive
stellen, legte Bundesrat KONECNY (S) vor. Der Redner schickte einleitend voraus, dass seine Fraktion diese
Diskussion lieber mit dem Innenminister selbst geführt hätte, es aber selbstverständlich akzeptiere,
dass Minister Strasser, der im Auftrag des Bundespräsidenten zu den Trauerfeierlichkeiten für den Scheich
von Abu Dhabi gereist sei, von Bundesminister Josef Pröll im Bundesrat vertreten werde.
Das Thema Innere Sicherheit habe angesichts der unkontrolliert wachsenden Kriminalitätswelle in Österreich
ungeheure Dringlichkeit erhalten, sagte Konecny und warf Innenminister Strasser wörtlich die "Zerstörung
der inneren Sicherheit in Österreich" vor. Österreich, das noch 2000 zu den sichersten Ländern
der Welt gezählt habe, verzeichne heute stark steigende Kriminalitätsraten und zugleich stark abnehmende
Aufklärungsquoten. Eine der Ursachen für die überbordende Kriminalität ortete Bundesrat Konecny
in einer den wachsenden Anforderungen nicht mehr gerecht werden, zu geringen Personalausstattung der Sicherheitsexekutive
und in der Zusammenlegung von Gendarmerieposten. Dazu komme nun die projektierte Zusammenlegung von Polizei und
Bundesgendarmerie, bei der nur der Schnitt der neuen Uniformen und die Farbe der neuen Fahrzeuge klar zu sein scheine,
wie Konecny pointiert anmerkte.
Viel weniger Exekutivbeamte stehen heute einer wesentlich größeren Zahl von Straftaten gegenüber
als früher, klagte der Redner: Von 1999 bis 2003 stieg die Zahl der Delikte von 493.000 auf 643.000. Im Jahr
2004 drohe die Zahl der Straftaten die Grenze von 700.000 zu überschreiten, warnte Konecny. Unter diesen Voraussetzungen
stelle das Absinken der Aufklärungsrate von über 50 % im Jahr 1999 auf 37 % im Jahr 2004 zwar einen Leistungsnachweis
für die Menschen dar, die in der Exekutive an der Front stehen - der Innenminister bleibe seinen Leistungsnachweis
aber schuldig.
Auch die SPÖ sei laut Konecny dafür, die Synergien zwischen Polizei und Bundesgendarmerie zu nützen,
sie wisse aber, dass Polizei und Gendarmerie nicht nur unterschiedliche Traditionen haben, sondern auch unterschiedliche
Aufgaben. Bei der Zusammenführung drohe etwa eine der beiden Aufgaben der Polizei, die zugleich Sicherheitsverwaltungsbehörde
und Wachkörper sei, unter die Räder zu kommen. Überdies plane der Innenminister trotz der dramatisch
angespannten Sicherheitssituation in der Exekutive 4.000 Leitungsfunktionen neu auszuschreiben. In diesem Zusammenhang
warnte Konecny davor, der Innenminister könnte bei seiner "Suche nach den besten Köpfen" die
Gleichung "Schwarz = Bester Kopf" anwenden, eine Gleichung, die nach Konecny nicht aufgehe.
In seinen weiteren Ausführungen wies Konecny auf das "Trauerspiel" bei der Einführung des bundesweiten
Exekutivfunknetzes ADONIS hin, forderte den Respekt des Innenministers vor Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes
ein und verlangte Vorrang für die innere Sicherheitspolitik. Der SPÖ gehe es darum, die Menschen vor
der Kriminalität zu schützen und ihnen die Hoffnung zu geben, dass Straftäter ausgeforscht und bestraft
werden. "Das ist ein nationales Anliegen, dem wir uns gemeinsam zu stellen haben", schloss Bundesrat
Konecny.
Bundesminister DI PRÖLL beantwortete die 43 Einzelfragen im Detail und informierte die Bundesräte
darüber, dass seit dem Jahr 2000 119 Gendarmerieposten geschlossen oder zusammengelegt wurden, während
es in den Jahren 1991 bis 1999 185 waren. Bei den Polizeiposten lauten dieselben Vergleichzahlen 12 und 20. Hinsichtlich
des Anstiegs der Delikte auf über 700.000 machte der Minister auch auf Veränderungen in der Kriminalstatistik
aufmerksam, die direkte Vergleich zwischen den einzelnen Kalenderjahren erschwere. Während der letzten Monate
gehe die Zahl der Delikte erfreulicherweise zurück.
Als Ursache für den Rückgang der Aufklärungsquote - bundesweit von 2001 bis 2003 von 41,7 % auf
38,5 % - nannte Pröll den Umstand, dass es sich bei den Straftätern immer häufiger um "reisende
Kriminelle" handle, die das Land nach Verüben der Tat verlassen.
Die Zahl der Planstellen des Innenressorts lag im Jahr 1999 bei 33.249, für 2004 bezifferte sie Pröll
mit 32.032. 97 Planstellen waren im Jahr 1999 unbesetzt, 2004 sind es 309. Den Sondereinheiten sind 237 Bedienstete
zugeteilt. Die 497 Bediensteten, die gegenwärtig in Karenz sind, werden teilweise durch Ersatzaufnahmen vertreten.
2004 werden 540 Bedienstete pensioniert, 505 sollen nach der Grundausbildung in den Dienst übernommen werden.
Die Übernahme von rund 1.000 Zollbeamten habe sich sehr gut bewährt. Die ehemaligen Zollwachebeamten
verzeichnen naturgemäß auf Gebieten, wo sie Erfahrungen aus ihrer früheren Tätigkeit mitbringen,
etwa beim Kampf gegen den Schmuggel, beachtliche Erfolge.
Hinsichtlich der Verfassungskonformität einer Zusammenlegung von Gendarmerie und Polizei habe der Innenminister
ein Rechtsgutachten von Professor Raschauer eingeholt, aus dem unter anderem hervorgehe, dass der vorgesehene Strukturwechsel
die Bundesverfassung nicht berühre.
Im Zusammenhang mit der Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie sollen bei den Landespolizeikommandos 23 Abteilungsleiterposten,
47 Stellvertreterposten sowie 60 weitere Leitungsfunktionen ausgeschrieben werden. Dazu komme die Ausschreibung
von 138 Fachbereichs-, Ermittlungs- und Assistenzbereichsleitern und ihrer Stellvertreter sowie 3.363 Ausschreibungen
für Funktionen sonstiger Exekutiv- und Verwaltungsbediensteter, erfuhren die Bundesräte von Minister
Pröll.
Durch die einheitliche Uniformierung aller Exekutivbediensteten seien keine zusätzlichen Kosten zu erwarten.
Für zusätzliche Kanzleiräume und EDV-Einrichtungen werde das Ressort in den Jahren 2005 und 2006
12 Mill. € mehr ausgeben.
Der Probebetrieb für die neue Dienstzeitregelung sei in acht Dienststellen mit guten Ergebnissen durchgeführt
worden, berichtete Minister Pröll. Wechselnder Personaleinsatz in Reaktion auf unterschiedliche Belastungssituationen
sei durch das neue System erleichtert und die Arbeitsmotivation erhöht worden.
Die Verantwortung für das Scheitern des Projekts ADONIS liege ausschließlich beim Netzbetreiber, hielt
Bundesminister DI Pröll fest.
Der abschließende Dank des Bundesministers galt den Exekutivbeamten, die durch ihre hervorragende Arbeit
dafür sorgen, "dass Österreich immer noch das sicherste Land der Welt ist".
Bundesrat SCHIMBÖCK (S) schloss sich dem Dank von Minister Pröll für die ausgezeichnete Arbeit
der vielen Exekutivbeamten in Österreich an. Nicht erfolgreich sei jedoch die Tätigkeit von Minister
Strasser, urteilte der Redner. Dessen Personal- und Sicherheitspolitik habe nämlich unter anderem dazu geführt,
dass bei steigender Kriminalitätsrate die Aufklärungsquote mittlerweile auf beschämende 37 % gesunken
ist. So gebe es Bezirke, in denen in der Nacht nur mehr zwei Gendarmeriebeamte zur Verfügung stehen. Die Sicherheitspolitik
müsse sehr, sehr ernst genommen werden, betonte Schimböck, weshalb er auch einen Entschließungsantrag
einbringen wolle. Darin wird der Innenminister aufgefordert, umgehend eine Regierungsvorlage mit dem Ziel auszuarbeiten,
so rasch wie möglich zusätzlich 1.000 ExekutivbeamtInnen zur Verfügung stellen, um die sichtbare
Präsenz in jenen Gebieten zu verstärken, in denen die Kriminalitätsrate überdurchschnittlich
steigt.
Auch Bundesrat Mag. HIMMER (V) dankte den Exekutivbeamten, die unter Einsatz ihres Lebens 24 Stunden rund
um die Uhr für die Sicherheit der Bevölkerung zur Verfügung stehen. Seinen Vorredner wies er darauf
hin, dass bei den angezeigten Fällen bereits eine rückläufige Tendenz festzustellen ist. Erfreulich
sei, dass insbesondere in Wien die Kriminalität zurückgegangen ist. Außerdem habe früher die
händische Datenerfassung dazu geführt, dass es Aufklärungsquoten bis zu 120 % gegeben hat, weil
die "Daten hinten und vorne nicht zusammengepasst haben". Unter Minister Strasser wurden eine Reihe von
Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung gesetzt, wie z.B. die Einführung des Sicherheitsmonitors
und der monatlichen Kriminalstatistik, der Ausbau der internationalen Kooperation im Polizeibereich sowie die Installierung
einer flexiblen 150-Mann-Einsatzgruppe zur Bekämpfung von Massendelikten. Außerdem werde es bis Ende
2005 zusätzliche 800 Mitarbeiter für die Exekutive geben, führte Himmer weiter aus.
Es sei wohl eine Tatsache, dass im gesamten Exekutivbereich seit Jahren eine tiefe Verunsicherung herrsche, meinte
Bundesrat SCHENNACH (G). Grundsätzlich stehe er einer Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie positiv
gegenüber, weil damit eine effiziente Struktur geschaffen werden könnte. Allerdings sollte man sich vorrangig
die Arbeitsbedingungen der Exekutivbeamten näher anschauen und dann entsprechende Rahmenbedingungen schaffen.
Man dürfe nicht leugnen, dass es sehr wohl Probleme im Sicherheitsbereich gibt, zumal die Gesamtkriminalität
von 2002 auf 2003 um 10 % gestiegen ist. Gesunken sei wiederum die Aufklärungsrate auf unter 40 %, was stark
mit der Motivation der Mitarbeiter zusammenhänge, meinte Schennach. In diesem Zusammenhang sei die Tatsache
interessant, dass 11 % aller tatverdächtigten Fremden deutsche Staatsbürger sind, gab Schennach zu bedenken,
womit sie in der Ausländerkriminalitätsstatistik an der dritten Stelle rangieren. Man dürfe daher
nicht alles auf den Balkan bzw. Osteuropa abschieben.
In einer tatsächlichen Berichtigung wies Bundesrat KONECNY (S) seinen Kollegen Himmer darauf hin, dass
in Wien die Kriminalitätsrate nicht sinke, wie er behauptet hat, sondern im Steigen begriffen sei.
Bundesrat Ing. KAMPL (F) machte zunächst darauf aufmerksam, dass Kärnten zu jenen Bundesländern
gehöre, in denen die Kriminalität zurückgegangen ist. Der Kärntner Landeshauptmann habe sich
erfolgreich dagegen gewehrt, dass Gendarmerieposten geschlossen wurden. Er unterstütze die Strategie von Innenminister
Strasser, der die Bürokratie abbauen und dafür mehr Beamte auf die Straße schicken will. Österreich
sei das sicherste Land der Welt, und das solle es auch bleiben.
Nach fast einem halben Jahrzehnt Ernst Strasser habe sich die Sicherheitslage in Österreich dramatisch verschlechtert,
war Bundesrätin EBNER (S) überzeugt. Im Jahr 1999, als die SPÖ noch den Innenminister stellte,
lag die Anzahl der Delikte noch deutlich unter 500.000 und die Aufklärungsquote betrug über 50 %. 2004
wird die Deliktzahl auf über 700.000 ansteigen und die Aufklärungsquote auf 37 % absinken. Im Vergleich
dazu stieg in Deutschland die Aufklärungsrate im selben Zeitraum auf über 53 % an. Schuld daran sei sicherlich
die Personalpolitik von Strasser, der den Sicherheitsapparat personell völlig ausgehöhlt habe. Durch
die Schließung von 119 Gendarmerieposten in ganz Österreich sei die Nahversorgung ernsthaft gefährdet.
Auch die so genannte Polizeireform in Wien habe dazu geführt, dass einstmals bewährte Sicherheitsstrukturen
zerschlagen wurden. Massive Kritik übte die Bundesrätin auch an der Asylpolitik des Innenministers.
In einer tatsächlichen Berichtigung wies Bundesrat Mag. HIMMER (V) darauf hin, dass in Wien in der
Zeit vom Jänner bis September 2003 insgesamt 194.225 Delikte angezeigt wurden; vom Jänner bis September
2004 waren es 183.940. Dies entspreche einem Rückgang von 5,3 %, konstatierte Himmer.
Auch Bundesrat Dr. KÜHNEL (V) gab zu bedenken, dass die Kriminalitätsrate in Wien zurückgegangen
ist. Ein Grund dafür sei, dass ein sehr effizientes Landeskriminalamt tätig ist, meinte der Bundesrat.
Strasser habe auch erkannt, dass Maßnahmen hinsichtlich der Kriminalität aus dem Osten zu setzen sind.
Deshalb wurden beispielsweise Verbindungsbeamte in Rumänien, Albanien, der Türkei etc. eingesetzt, um
vorbeugend wirken zu können. Außerdem habe man den Nachbarländern Unterstützung im Bereich
der Ausbildung und bei der Durchführung von Projekten angeboten. Der Innenminister habe sich auch intensiv
dafür eingesetzt, dass die EDV-Ausstattung der Wachzimmer und Sicherheitsdirektionen auf den letzten Stand
gebracht werden. Weiters ist noch geplant, die Ausbildung von Polizei und Gendarmerie zu vereinheitlichen sowie
die Wachzimmer zu modernisieren.
Bundesrat WEILHARTER (F) meinte, das Ansteigen der Kriminalität sei eine traurige Tatsache. Diese Entwicklung
auf die Schließung von Polizeiwachzimmern und Gendarmerieposten zurückzuführen, sei aber zu einfach,
betonte er. Schuld an der Schließung von Wachzimmern hat seiner Ansicht nach außerdem die SPÖ,
die Schuldenberge hinterlassen habe.
Um Kriminalität effektiv bekämpfen zu können, erachtet Weilharter ein modernes und zeitgemäßes
Dienstrecht für notwendig. Die Forderung der SPÖ nach Aufstockung des Personalstandes der Exekutive bezeichnete
er als "alten Hut", er vermisst Vorschläge, wo die zusätzlichen Beamten konkret eingesetzt
werden sollen und wie die Personalaufstockung finanziert werden soll.
Bundesrätin Mag. NEUWIRTH (S) hielt fest, mit weniger Personal könne nicht mehr Sicherheit erzeugt
werden. Das sei eine einfache Tatsache. Ihr zufolge fühlt sich die Bevölkerung durch die steigenden Kriminalitätszahlen
nicht nur subjektiv gefährdet, dies sei auch objektiv der Fall. Neuwirth skizzierte, in Österreich würden
pro Tag 1.754 Delikte begangen, davon würde nicht einmal die Hälfte aufgeklärt. Besonders prekär
ist die Situation ihrer Auffassung nach in manchen Tourismusregionen, wo nur wenige Gendarmeriebeamte für
zig-tausende Einwohner und Gäste zuständig seien. Angesichts des verstärkten Einsatzes privater
Sicherheitsdienste fürchtet die Bundesrätin überdies eine zunehmende Privatisierung der Sicherheit.
Die SPÖ spricht sich laut Neuwirth dezidiert gegen die vorgesehene Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie
aus. Als Gründe nannte sie u.a. die hohen Kosten und die in Aussicht genommene Neuausschreibung zahlreicher
Funktionen.
Bundesrat REISENBERGER (S) warf dem Innenminister eine Beschönigung der Kriminalitätsstatistik
vor. Er gab zu bedenken, dass früher jeder Einbruchsdiebstahl als ein Delikt gezählt wurde, heute würden
fünf Einbrüche in einer Kleingartensiedlung als ein Fall aufscheinen.
Reisenberger zufolge sind die Exekutivbeamten darüber hinaus durch ständige Umstrukturierungen verunsichert
und demotiviert. Die Personalreduktion bei der Wiener Polizei wird für ihn darin augenscheinlich, dass bei
den bevorstehenden Personalvertretungswahlen nur noch 5.400 Exekutivbeamte wahlberechtigt sind, vor vier Jahren
seien es noch 6.000 gewesen.
Bundesrätin KERSCHBAUM (G) wertete es als Unterstellung zu sagen, jemand wünsche sich einen Polizeistaat,
nur weil er 1.000 Polizisten mehr fordere. Ob ein Staat ein Polizeistaat sei, hänge nicht von der Zahl der
Polizisten ab, sondern von den Methoden, die diese Polizisten anwenden, unterstrich sie.
Bei der Abstimmung wurde der Entschließungsantrag der SPÖ betreffend 1.000 Exekutivbeamtinnen und Exekutivbeamte
mehr für die Sicherheit der Österreicherinnen und Österreicher abgelehnt. |