Scharfe Kritik der SPÖ an Strassers Sicherheitspolitik  

erstellt am
08. 11. 04

Dringliche Anfrage der SPÖ im Bundesrat: SOS innere Sicherheit
Wien (pk) - Die Begründung für die Dringliche Anfrage der SPÖ zum Thema "SOS Innere Sicherheit", in der die Sozialdemokraten dem Innenminister insgesamt 43 Detailfragen zum Ansteigen der Kriminalität, zur sinkenden Aufklärungsquoten bei gleichzeitig abnehmendem Personalstand in der Sicherheitsexekutive stellen, legte Bundesrat KONECNY (S) vor. Der Redner schickte einleitend voraus, dass seine Fraktion diese Diskussion lieber mit dem Innenminister selbst geführt hätte, es aber selbstverständlich akzeptiere, dass Minister Strasser, der im Auftrag des Bundespräsidenten zu den Trauerfeierlichkeiten für den Scheich von Abu Dhabi gereist sei, von Bundesminister Josef Pröll im Bundesrat vertreten werde.

Das Thema Innere Sicherheit habe angesichts der unkontrolliert wachsenden Kriminalitätswelle in Österreich ungeheure Dringlichkeit erhalten, sagte Konecny und warf Innenminister Strasser wörtlich die "Zerstörung der inneren Sicherheit in Österreich" vor. Österreich, das noch 2000 zu den sichersten Ländern der Welt gezählt habe, verzeichne heute stark steigende Kriminalitätsraten und zugleich stark abnehmende Aufklärungsquoten. Eine der Ursachen für die überbordende Kriminalität ortete Bundesrat Konecny in einer den wachsenden Anforderungen nicht mehr gerecht werden, zu geringen Personalausstattung der Sicherheitsexekutive und in der Zusammenlegung von Gendarmerieposten. Dazu komme nun die projektierte Zusammenlegung von Polizei und Bundesgendarmerie, bei der nur der Schnitt der neuen Uniformen und die Farbe der neuen Fahrzeuge klar zu sein scheine, wie Konecny pointiert anmerkte.

Viel weniger Exekutivbeamte stehen heute einer wesentlich größeren Zahl von Straftaten gegenüber als früher, klagte der Redner: Von 1999 bis 2003 stieg die Zahl der Delikte von 493.000 auf 643.000. Im Jahr 2004 drohe die Zahl der Straftaten die Grenze von 700.000 zu überschreiten, warnte Konecny. Unter diesen Voraussetzungen stelle das Absinken der Aufklärungsrate von über 50 % im Jahr 1999 auf 37 % im Jahr 2004 zwar einen Leistungsnachweis für die Menschen dar, die in der Exekutive an der Front stehen - der Innenminister bleibe seinen Leistungsnachweis aber schuldig.

Auch die SPÖ sei laut Konecny dafür, die Synergien zwischen Polizei und Bundesgendarmerie zu nützen, sie wisse aber, dass Polizei und Gendarmerie nicht nur unterschiedliche Traditionen haben, sondern auch unterschiedliche Aufgaben. Bei der Zusammenführung drohe etwa eine der beiden Aufgaben der Polizei, die zugleich Sicherheitsverwaltungsbehörde und Wachkörper sei, unter die Räder zu kommen. Überdies plane der Innenminister trotz der dramatisch angespannten Sicherheitssituation in der Exekutive 4.000 Leitungsfunktionen neu auszuschreiben. In diesem Zusammenhang warnte Konecny davor, der Innenminister könnte bei seiner "Suche nach den besten Köpfen" die Gleichung "Schwarz = Bester Kopf" anwenden, eine Gleichung, die nach Konecny nicht aufgehe.

In seinen weiteren Ausführungen wies Konecny auf das "Trauerspiel" bei der Einführung des bundesweiten Exekutivfunknetzes ADONIS hin, forderte den Respekt des Innenministers vor Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes ein und verlangte Vorrang für die innere Sicherheitspolitik. Der SPÖ gehe es darum, die Menschen vor der Kriminalität zu schützen und ihnen die Hoffnung zu geben, dass Straftäter ausgeforscht und bestraft werden. "Das ist ein nationales Anliegen, dem wir uns gemeinsam zu stellen haben", schloss Bundesrat Konecny.

Bundesminister DI PRÖLL beantwortete die 43 Einzelfragen im Detail und informierte die Bundesräte darüber, dass seit dem Jahr 2000 119 Gendarmerieposten geschlossen oder zusammengelegt wurden, während es in den Jahren 1991 bis 1999 185 waren. Bei den Polizeiposten lauten dieselben Vergleichzahlen 12 und 20. Hinsichtlich des Anstiegs der Delikte auf über 700.000 machte der Minister auch auf Veränderungen in der Kriminalstatistik aufmerksam, die direkte Vergleich zwischen den einzelnen Kalenderjahren erschwere. Während der letzten Monate gehe die Zahl der Delikte erfreulicherweise zurück.

Als Ursache für den Rückgang der Aufklärungsquote - bundesweit von 2001 bis 2003 von 41,7 % auf 38,5 % - nannte Pröll den Umstand, dass es sich bei den Straftätern immer häufiger um "reisende Kriminelle" handle, die das Land nach Verüben der Tat verlassen.

Die Zahl der Planstellen des Innenressorts lag im Jahr 1999 bei 33.249, für 2004 bezifferte sie Pröll mit 32.032. 97 Planstellen waren im Jahr 1999 unbesetzt, 2004 sind es 309. Den Sondereinheiten sind 237 Bedienstete zugeteilt. Die 497 Bediensteten, die gegenwärtig in Karenz sind, werden teilweise durch Ersatzaufnahmen vertreten. 2004 werden 540 Bedienstete pensioniert, 505 sollen nach der Grundausbildung in den Dienst übernommen werden.

Die Übernahme von rund 1.000 Zollbeamten habe sich sehr gut bewährt. Die ehemaligen Zollwachebeamten verzeichnen naturgemäß auf Gebieten, wo sie Erfahrungen aus ihrer früheren Tätigkeit mitbringen, etwa beim Kampf gegen den Schmuggel, beachtliche Erfolge.

Hinsichtlich der Verfassungskonformität einer Zusammenlegung von Gendarmerie und Polizei habe der Innenminister ein Rechtsgutachten von Professor Raschauer eingeholt, aus dem unter anderem hervorgehe, dass der vorgesehene Strukturwechsel die Bundesverfassung nicht berühre.

Im Zusammenhang mit der Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie sollen bei den Landespolizeikommandos 23 Abteilungsleiterposten, 47 Stellvertreterposten sowie 60 weitere Leitungsfunktionen ausgeschrieben werden. Dazu komme die Ausschreibung von 138 Fachbereichs-, Ermittlungs- und Assistenzbereichsleitern und ihrer Stellvertreter sowie 3.363 Ausschreibungen für Funktionen sonstiger Exekutiv- und Verwaltungsbediensteter, erfuhren die Bundesräte von Minister Pröll.

Durch die einheitliche Uniformierung aller Exekutivbediensteten seien keine zusätzlichen Kosten zu erwarten. Für zusätzliche Kanzleiräume und EDV-Einrichtungen werde das Ressort in den Jahren 2005 und 2006 12 Mill. € mehr ausgeben.

Der Probebetrieb für die neue Dienstzeitregelung sei in acht Dienststellen mit guten Ergebnissen durchgeführt worden, berichtete Minister Pröll. Wechselnder Personaleinsatz in Reaktion auf unterschiedliche Belastungssituationen sei durch das neue System erleichtert und die Arbeitsmotivation erhöht worden.

Die Verantwortung für das Scheitern des Projekts ADONIS liege ausschließlich beim Netzbetreiber, hielt Bundesminister DI Pröll fest.

Der abschließende Dank des Bundesministers galt den Exekutivbeamten, die durch ihre hervorragende Arbeit dafür sorgen, "dass Österreich immer noch das sicherste Land der Welt ist".

Bundesrat SCHIMBÖCK (S) schloss sich dem Dank von Minister Pröll für die ausgezeichnete Arbeit der vielen Exekutivbeamten in Österreich an. Nicht erfolgreich sei jedoch die Tätigkeit von Minister Strasser, urteilte der Redner. Dessen Personal- und Sicherheitspolitik habe nämlich unter anderem dazu geführt, dass bei steigender Kriminalitätsrate die Aufklärungsquote mittlerweile auf beschämende 37 % gesunken ist. So gebe es Bezirke, in denen in der Nacht nur mehr zwei Gendarmeriebeamte zur Verfügung stehen. Die Sicherheitspolitik müsse sehr, sehr ernst genommen werden, betonte Schimböck, weshalb er auch einen Entschließungsantrag einbringen wolle. Darin wird der Innenminister aufgefordert, umgehend eine Regierungsvorlage mit dem Ziel auszuarbeiten, so rasch wie möglich zusätzlich 1.000 ExekutivbeamtInnen zur Verfügung stellen, um die sichtbare Präsenz in jenen Gebieten zu verstärken, in denen die Kriminalitätsrate überdurchschnittlich steigt.

Auch Bundesrat Mag. HIMMER (V) dankte den Exekutivbeamten, die unter Einsatz ihres Lebens 24 Stunden rund um die Uhr für die Sicherheit der Bevölkerung zur Verfügung stehen. Seinen Vorredner wies er darauf hin, dass bei den angezeigten Fällen bereits eine rückläufige Tendenz festzustellen ist. Erfreulich sei, dass insbesondere in Wien die Kriminalität zurückgegangen ist. Außerdem habe früher die händische Datenerfassung dazu geführt, dass es Aufklärungsquoten bis zu 120 % gegeben hat, weil die "Daten hinten und vorne nicht zusammengepasst haben". Unter Minister Strasser wurden eine Reihe von Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung gesetzt, wie z.B. die Einführung des Sicherheitsmonitors und der monatlichen Kriminalstatistik, der Ausbau der internationalen Kooperation im Polizeibereich sowie die Installierung einer flexiblen 150-Mann-Einsatzgruppe zur Bekämpfung von Massendelikten. Außerdem werde es bis Ende 2005 zusätzliche 800 Mitarbeiter für die Exekutive geben, führte Himmer weiter aus.

Es sei wohl eine Tatsache, dass im gesamten Exekutivbereich seit Jahren eine tiefe Verunsicherung herrsche, meinte Bundesrat SCHENNACH (G). Grundsätzlich stehe er einer Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie positiv gegenüber, weil damit eine effiziente Struktur geschaffen werden könnte. Allerdings sollte man sich vorrangig die Arbeitsbedingungen der Exekutivbeamten näher anschauen und dann entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Man dürfe nicht leugnen, dass es sehr wohl Probleme im Sicherheitsbereich gibt, zumal die Gesamtkriminalität von 2002 auf 2003 um 10 % gestiegen ist. Gesunken sei wiederum die Aufklärungsrate auf unter 40 %, was stark mit der Motivation der Mitarbeiter zusammenhänge, meinte Schennach. In diesem Zusammenhang sei die Tatsache interessant, dass 11 % aller tatverdächtigten Fremden deutsche Staatsbürger sind, gab Schennach zu bedenken, womit sie in der Ausländerkriminalitätsstatistik an der dritten Stelle rangieren. Man dürfe daher nicht alles auf den Balkan bzw. Osteuropa abschieben.

In einer tatsächlichen Berichtigung wies Bundesrat KONECNY (S) seinen Kollegen Himmer darauf hin, dass in Wien die Kriminalitätsrate nicht sinke, wie er behauptet hat, sondern im Steigen begriffen sei.

Bundesrat Ing. KAMPL (F) machte zunächst darauf aufmerksam, dass Kärnten zu jenen Bundesländern gehöre, in denen die Kriminalität zurückgegangen ist. Der Kärntner Landeshauptmann habe sich erfolgreich dagegen gewehrt, dass Gendarmerieposten geschlossen wurden. Er unterstütze die Strategie von Innenminister Strasser, der die Bürokratie abbauen und dafür mehr Beamte auf die Straße schicken will. Österreich sei das sicherste Land der Welt, und das solle es auch bleiben.

Nach fast einem halben Jahrzehnt Ernst Strasser habe sich die Sicherheitslage in Österreich dramatisch verschlechtert, war Bundesrätin EBNER (S) überzeugt. Im Jahr 1999, als die SPÖ noch den Innenminister stellte, lag die Anzahl der Delikte noch deutlich unter 500.000 und die Aufklärungsquote betrug über 50 %. 2004 wird die Deliktzahl auf über 700.000 ansteigen und die Aufklärungsquote auf 37 % absinken. Im Vergleich dazu stieg in Deutschland die Aufklärungsrate im selben Zeitraum auf über 53 % an. Schuld daran sei sicherlich die Personalpolitik von Strasser, der den Sicherheitsapparat personell völlig ausgehöhlt habe. Durch die Schließung von 119 Gendarmerieposten in ganz Österreich sei die Nahversorgung ernsthaft gefährdet. Auch die so genannte Polizeireform in Wien habe dazu geführt, dass einstmals bewährte Sicherheitsstrukturen zerschlagen wurden. Massive Kritik übte die Bundesrätin auch an der Asylpolitik des Innenministers.

In einer tatsächlichen Berichtigung wies Bundesrat Mag. HIMMER (V) darauf hin, dass in Wien in der Zeit vom Jänner bis September 2003 insgesamt 194.225 Delikte angezeigt wurden; vom Jänner bis September 2004 waren es 183.940. Dies entspreche einem Rückgang von 5,3 %, konstatierte Himmer.

Auch Bundesrat Dr. KÜHNEL (V) gab zu bedenken, dass die Kriminalitätsrate in Wien zurückgegangen ist. Ein Grund dafür sei, dass ein sehr effizientes Landeskriminalamt tätig ist, meinte der Bundesrat. Strasser habe auch erkannt, dass Maßnahmen hinsichtlich der Kriminalität aus dem Osten zu setzen sind. Deshalb wurden beispielsweise Verbindungsbeamte in Rumänien, Albanien, der Türkei etc. eingesetzt, um vorbeugend wirken zu können. Außerdem habe man den Nachbarländern Unterstützung im Bereich der Ausbildung und bei der Durchführung von Projekten angeboten. Der Innenminister habe sich auch intensiv dafür eingesetzt, dass die EDV-Ausstattung der Wachzimmer und Sicherheitsdirektionen auf den letzten Stand gebracht werden. Weiters ist noch geplant, die Ausbildung von Polizei und Gendarmerie zu vereinheitlichen sowie die Wachzimmer zu modernisieren.

Bundesrat WEILHARTER (F) meinte, das Ansteigen der Kriminalität sei eine traurige Tatsache. Diese Entwicklung auf die Schließung von Polizeiwachzimmern und Gendarmerieposten zurückzuführen, sei aber zu einfach, betonte er. Schuld an der Schließung von Wachzimmern hat seiner Ansicht nach außerdem die SPÖ, die Schuldenberge hinterlassen habe.

Um Kriminalität effektiv bekämpfen zu können, erachtet Weilharter ein modernes und zeitgemäßes Dienstrecht für notwendig. Die Forderung der SPÖ nach Aufstockung des Personalstandes der Exekutive bezeichnete er als "alten Hut", er vermisst Vorschläge, wo die zusätzlichen Beamten konkret eingesetzt werden sollen und wie die Personalaufstockung finanziert werden soll.

Bundesrätin Mag. NEUWIRTH (S) hielt fest, mit weniger Personal könne nicht mehr Sicherheit erzeugt werden. Das sei eine einfache Tatsache. Ihr zufolge fühlt sich die Bevölkerung durch die steigenden Kriminalitätszahlen nicht nur subjektiv gefährdet, dies sei auch objektiv der Fall. Neuwirth skizzierte, in Österreich würden pro Tag 1.754 Delikte begangen, davon würde nicht einmal die Hälfte aufgeklärt. Besonders prekär ist die Situation ihrer Auffassung nach in manchen Tourismusregionen, wo nur wenige Gendarmeriebeamte für zig-tausende Einwohner und Gäste zuständig seien. Angesichts des verstärkten Einsatzes privater Sicherheitsdienste fürchtet die Bundesrätin überdies eine zunehmende Privatisierung der Sicherheit.

Die SPÖ spricht sich laut Neuwirth dezidiert gegen die vorgesehene Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie aus. Als Gründe nannte sie u.a. die hohen Kosten und die in Aussicht genommene Neuausschreibung zahlreicher Funktionen.

Bundesrat REISENBERGER (S) warf dem Innenminister eine Beschönigung der Kriminalitätsstatistik vor. Er gab zu bedenken, dass früher jeder Einbruchsdiebstahl als ein Delikt gezählt wurde, heute würden fünf Einbrüche in einer Kleingartensiedlung als ein Fall aufscheinen.

Reisenberger zufolge sind die Exekutivbeamten darüber hinaus durch ständige Umstrukturierungen verunsichert und demotiviert. Die Personalreduktion bei der Wiener Polizei wird für ihn darin augenscheinlich, dass bei den bevorstehenden Personalvertretungswahlen nur noch 5.400 Exekutivbeamte wahlberechtigt sind, vor vier Jahren seien es noch 6.000 gewesen.

Bundesrätin KERSCHBAUM (G) wertete es als Unterstellung zu sagen, jemand wünsche sich einen Polizeistaat, nur weil er 1.000 Polizisten mehr fordere. Ob ein Staat ein Polizeistaat sei, hänge nicht von der Zahl der Polizisten ab, sondern von den Methoden, die diese Polizisten anwenden, unterstrich sie.

Bei der Abstimmung wurde der Entschließungsantrag der SPÖ betreffend 1.000 Exekutivbeamtinnen und Exekutivbeamte mehr für die Sicherheit der Österreicherinnen und Österreicher abgelehnt.
     
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