Rede des Nationalratspräsidenten bei Kranzniederlegung in Lackenbach
Wien/Lackenbach (pk) - Nationalratspräsident Andreas Khol hielt am Samstag (13. 11.) November,
bei der alljährlichen Gedenkveranstaltung mit Kranzniederlegung vor dem Mahnmal für Roma und Sinti im
Gedenken an die von den Nationalsozialisten ermordeten Roma und Sinti im burgenländischen Lackenbach eine
Rede. Wir bringen im Folgenden den Wortlaut dieser Rede:
Sehr geehrte Damen und Herren!
Die heutige Veranstaltung im Gedenken an die Roma und Sinti, die dem verbrecherischen Regime der Nationalsozialisten
zum Opfer gefallen sind, markiert zwei wesentliche Jahrestage: vor 20 Jahren wurde das Mahnmal, vor dem wir uns
befinden, errichtet und vor 10 Jahren wurden die Roma als eigenständige österreichische Volksgruppe anerkannt.
Dieser Verordnung der Bundesregierung, mit der ein Volksgruppenbeirat für die Volksgruppe der Roma eingesetzt
wurde, ging eine Entschließung des Nationalrates vom 15. Oktober 1992 voran, mit der die Bundesregierung
aufgefordert wurde, ihre Bemühungen zur Anerkennung der Roma und Sinti österreichischer Staatsbürgerschaft
als Volksgruppe fortzusetzen und abzuschließen. Heuer haben wir eine neue Stufe der Zusammenarbeit zwischen
dem österreichischen Parlament und der österreichischen Minderheit der Roma und Sinti begründet.
Wie Sie wissen, gestaltet das österreichische Parlament den 5. Mai – den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers
Mauthausen – als Tag gegen Gewalt und Rassismus. Heuer wurde der Roma und Sinti als Opfer des Nationalsozialismus
gedacht. Es war eine viel beachtete Veranstaltung. Es ist uns nämlich gelungen, nicht nur ein weiteres dunkles
Kapitel unserer Geschichte aufzuarbeiten, vielmehr konnten wir auch aufzeigen, welche Bereicherung, welche Dynamik
die Minderheiten der Roma und Sinti für unser Land darstellen.
So möchte ich heute meinen Dank für die gute Zusammenarbeit – vor allem mit den Verbänden der österreichischen
Roma und ihrem Präsidenten Prof. Rudolf Sarközi – aussprechen.
Lackenbach ist ein Symbol für das menschenverachtende Verbrecherregime des Nationalsozialismus. Im November
1940 wurde Lackenbach als Anhalte- und Zwangsarbeitslager zur Internierung vor allem der burgenländischen
Roma, aber auch von Sinti und Angehörigen anderer Gruppen eingerichtet. In das zunächst für rund
200 Personen vorgesehene Lager Lackenbach wurden dann größere Zahlen von Häftlingen eingewiesen,
wodurch die Lebensverhältnisse im Lager besonders erschwert wurden. Auf dem Höhepunkt der Belegung im
Oktober 1941 waren im Lager über 2000 Menschen untergebracht. Die Verhältnisse in Lackenbach unterschieden
sich kaum von denen in anderen Konzentrationslagern: Zwangsarbeit unter härtesten Bedingungen, Prügelstrafe,
stundenlanges Appellstehen, Essensentzug, mangelnde medizinische Betreuung, Schießbefehl für den Fall
von Fluchtversuchen. Untergebracht waren die Häftlinge im Lager Lackenbach größtenteils in ehemaligen
Schafställen und Scheunen auf Strohlagern, Wohn- und Sanitätsbaracken wurden erst nach einer Flecktyphusepidemie
im Winter 1941/42 errichtet. Es gab Arbeitseinsätze der Häftlinge u.a. in der Land- und Forstwirtschaft
sowie im Straßenbau, nicht Arbeitsfähige waren in besonderem Maße von Deportation und Vernichtung
bedroht. Von Lackenbach wurden tausende Personen in die Vernichtungslager deportiert, u.a. wurden 2500 österreichische
Roma und Sinti nach Auschwitz deportiert, wo sie im so genannten „Zigeunerfamilienlager“ Birkenau auf die Vernichtung
warteten. Der Großteil musste sterben.
Die Opferzahlen sind nicht genau zu erheben – jüngste Schätzungen gehen dahin, dass von den rund 11.000
vor 1938 in Österreich lebenden Roma und Sinti nur 1500 bis 2000 die nationalsozialistische Vernichtungspolitik
überlebten. Die Gesamtzahl der von den Nationalsozialisten ermordeten Roma und Sinti wird auf 500.000 geschätzt
– die Hälfte der im Jahr 1939 in Europa lebenden Roma und Sinti. Ich wiederhole diese bekannten Tatsachen,
weil man sich immer wieder die Dimension der Verbrechen der Nationalsozialisten bewusst machen muss und darüber
nicht vergessen darf, dass es sich immer um einzelne menschliche Schicksale handelte. Solches Unrecht ist nicht
anonym, es richtet sich immer gegen einzelne Menschen. Und somit ist das Übersehen oder Wegschauen keine anonyme
Unterlassung, sondern eine Schuld gegenüber den betroffenen Menschen – damals wie heute.
Nichts ist mit der unfassbaren Grausamkeit des nationalsozialistischen Rassenwahns vergleichbar. Dennoch dürfen
wir nicht ignorieren, dass es schon viel früher traditionelle Vorurteile gegen die so genannten „Zigeuner“
gab. Viele Erwerbszweige blieben ihnen verwehrt, sie unterlagen einer verschärften Meldegesetzgebung, polizeiliche
Statistiken über Straftaten von „Zigeunern“ wurden als Belege für den Hang zur Asozialität verwendet.
Im Burgenland setzte die systematische Diskriminierung und Verfolgung der Roma und Sinti bereits unmittelbar nach
dem „Anschluss“ ein: Entziehung des Wahlrechts, Verbot des Schulbesuchs und des öffentlichen Musizierens,
Zwangsarbeitsverpflichtungen, Verhaftungen. In manchen Verfolgungshandlungen wurde hier eine „Vorreiterrolle“ eingenommen,
z.B. wurde den Kindern der Roma und Sinti der Schulbesuch im Burgenland bereits im Mai 1938 verboten, in den übrigen
ehemaligen Bundesländern erst zu Beginn des Schuljahres 1939/40, im gesamten Deutschen Reich erst im März
1941.
Auch die Zweite Republik muss selbstkritisch sein. In der Opferfürsorgegesetzgebung nach 1945 wurden die Roma
und Sinti nur mangelhaft oder verspätet berücksichtigt. So wurde oftmals eine „rassische“ Verfolgung
nicht anerkannt, wenn Roma als „Asoziale“ verfolgt worden waren. Lange Zeit wurden die „Zigeunerlager“ nicht als
Konzentrationslager anerkannt, womit kein Anspruch auf Haftentschädigung bestand. Für die Anhaltung im
Lager Lackenbach wurden erst ab 1961 Haftentschädigungen anerkannt, allerdings in geringerem Ausmaß
als für die KZ-Haft. Eine Gleichstellung der wenigen überlebenden Lackenbacher-Häftlinge mit den
KZ-Häftlingen erfolgte erst 1988. Andererseits berücksichtigt der 1995 errichtete Nationalfonds für
die Opfer des Nationalsozialismus von vornherein auch Roma und Sinti. Als Vorsitzender des Nationalfonds bin ich
froh darüber, dass hunderte Roma und Sinti aus diesem Fonds Zahlungen erhalten haben, die zwar niemals eine
Wiedergutmachung sein können, aber zumindest eine Anerkennung des unaufwägbaren Leidens darstellen sollen.
Die Republik Österreich hat lange gebraucht, um mit diesem dunklen Kapitel unserer Geschichte ins Reine zu
kommen. Heute können wir aber feststellen, dass sich Österreich seiner Verantwortung gestellt hat. Im
nächsten Jahr begehen wir für unser Land bedeutende Jubiläen: 60 Jahre Zweite Republik, 50 Jahre
Wiedererlangung der Freiheit, 10 Jahre Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Wir sollten dieses Österreich-Jahr
2005 nutzen, um darüber nachzudenken, was die Stärken unseres Landes sind und wie wir Österreich
weiterentwickeln wollen. Ich möchte nochmals auf unsere Veranstaltung am 5. Mai d.J. zurückkommen. Der
Vorsitzende des Volksgruppenbeirates der Roma, Rudolf Sarközi, hat seine Rede unter den Titel „Lasst uns in
aller Verschiedenheit miteinander leben!“ gestellt. In seiner Rede hat er gezeigt, welch wichtigen Beitrag die
Roma und Sinti zum kulturellen Reichtum unseres Landes beisteuern. Das Bekenntnis der Roma und Sinti zu einem festen
Platz in der österreichischen Gesellschaft bringt umgekehrt aber auch einen Handlungsauftrag für die
Politik. So möchte ich jene am 5. Mai skizzierte Zielrichtung des weiteren Weges bestätigen:
- volle Integration und Gleichberechtigung;
- gleichwertige, spezifische Bildungs- und Ausbildungschancen;
- volle Integration in den österreichischen Arbeitsmarkt und ins Wirtschaftsleben;
- soziale Sicherheit, wie für alle Österreicherinnen und Österreicher: in allen Bereichen,
von der Ausbildung bis zur Gesundheits- und Alterssicherung;
- Pflege der Sprache und Kultur; im Sinne der wertvollen Tradition, die über die Jahrhunderte entstanden
ist.
So sollen wir auch diese Gedenkveranstaltung mit dem Blick in die Zukunft beschließen.
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