Daseinsvorsorge in liberalisierten Infrastrukturmärkten  

erstellt am
26. 11. 04

Flächendeckender öffentlicher Personennahverkehr und kostengünstige Energieversorgung als Eckpunkte
Wien (rk) - Unter dem Generalthema "Aktuelle Herausforderungen in liberalisierten Infrastrukturmärkten" wurde das traditionelle zweitägige Seminar des Verbandes der Öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs (VÖWG) auf dem Semmering abgehalten. Zwei der Eckpunkte dabei: Verkehr - darunter der ÖPNV und die Wiener Linien sowie die Energieversorgung, beispielsweise durch die Wien-Energie. In diesem Zusammenhang darf an die kürzlich in Wien veranstaltete 7. Europäische Konferenz der Kommunalwirtschaft erinnert werden, auf der das von der EU postulierte "Europa der Bürger" ein Hauptthema gebildet hat. Die auf dem Semmering angesprochenen Bereiche stellen einen aktuellen Bezug dazu her, denn für die Menschen sind die vielfältigen (öffentlichen) Dienstleistungen unverzichtbar. Dies gilt für ein verlässlich funktionierendes Busnetz ebenso wie für eine Energieversorgung zu Preisen, die sich auch sozial Schwache leisten können. Erst vor kurzem hat in Zusammenhang mit der im EU-Unterausschuss im österreichischen Parlament diskutierten Dienstleistungsrichtlinie, Minister Dr. Bartenstein deutlich gemacht, "dass insbesondere die Wasserversorgung sowie die gesamte Daseinsvorsorge von der Richtlinie nicht betroffen sein dürfe". Etwas skeptisch betrachtet die Dienstleistungsrichtlinie der EU und das daraus resultierende Herkunftslandprinzip VÖWG-Präsident Dkfm. Ferdinand Lacina. Einen Leistungskontrakt in dem EU-Konzept sieht Univ. Prof. Dr. Reinbert Schauer von der Universität Linz, EU-weit einzigem Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre gemeinwirtschaftlicher Unternehmungen. Der Wissenschafter sieht die öffentliche Hand und Private als Kooperationspartner, Aufgabe des Staates ist es, im Interesse der Bürgerinnen und Bürger für entsprechende Leistungen zu sorgen.

War der ÖPNV früher vom öffentlichen Sektor dominiert, so ändert sich dies zusehends. Es darf aber nicht so sein, dass nur gewinnbringende Linien privatisiert werden, der Postbus fährt auch dort, wo Private nicht fahren würden, hält Dkfm. Wilhelmine Goldmann, Geschäftsführerin der ÖBB/Postbus GmbH. fest. Auf manchen Linien kommt, von der finanziellen Seite her gesehen, nur ein Euro je Kilometer herein, private Busbetreiber müssten zumindest zwei Euro je Kilometer ersetzt bekommen. Was die Regionalisierung anlangt, werden 95 Prozent des Regionalverkehrs von Großkunden, also den Verkehrsverbünden abgewickelt. Bei diesen der Größte (Wien, Niederösterreich, Burgenland) der Verkehrsverbund Ost-Region (VOR). Unter dem Motto "Vom herkömmlichen Staatsbetrieb zum marktorientierten Dienstleister" werden beim Postbus Bereiche wie Fahrzeugangebot, Taktverkehr und Fahrplanabstimmung immer wieder verbessert. Was die Busausstattung und die Fahrplangestaltung betrifft, setzt das Unternehmen Blaguss-Reisen neue Akzente. Es fährt übrigens auch im Wiener Raum auf mehreren Kursen als Partner der Wiener Linien. Dr. Robert Blaguss sieht "den Bus als Rückgrat des ÖPNV". Im vergangenen Jahr haben die öffentlichen Buslinien 630 Millionen Personen, und damit über 50 Prozent der Fahrgäste befördert. Auf der Grundlage des Kraftfahrliniengesetzes 1952 werden zwischen 85 und 90 Prozent des ÖPNV durch die öffentliche Hand abgewickelt. Ein wesentliches Kriterium dabei sind umweltfreundliche Busantriebe, ob nach "sauberem" Diesel, Flüssiggas, auch der Wasserstoffantrieb kommt, wird eine Frage des Energieerfordernisses für dessen Herstellung sein.

Die Kernaufgaben der Wiener Linien erläutert Direktor Dipl.Ing. Günther Steinbauer, die als Betreiber von U-Bahn, Straßenbahn und Autobus einen Modalsplit von 34 Prozent erzielen; dies auf der Basis des Masterplans Verkehr. Steinbauer unterstreicht "Der Fahrgast steht im Zentrum der Unternehmenspolitik", denn nur 24 Prozent aller Fahrgäste sind auf den ÖPNV unbedingt angewiesen, rund 44 Prozent sind sogenannte "wahlfreie" Fahrgäste. Das Wiener Modell entspricht der EU- Ordnung, zwingt aber zu einem entsprechenden Aufwand, das Verkehrsangebot ist mit der Stadt abgestimmt. Der Verkehrsdienstevertrag regelt die Leistungserbringung bis 2009, die Stadt Wien gibt einen jährlich gleich bleibenden Zuschuss - individuelle Kostensteigerungen müssen die Wiener Linien tragen. Um den Produktivitätsfortschritt zu sichern, sind Einsparungen notwendig, die in Summe 15 bis 18 Prozent über alle neun Jahre hinweg betragen werden. Was das Busnetz angeht, werden drei Viertel von den Wiener Linien selbst betrieben. Bezüglich der in Erwägung gezogenen Verlängerung der CAT-Strecke nach Bratislava stehen derzeit zwei Möglichkeiten auf dem Tapet. Die Schnellbahn S 7 fährt über eine 13 Kilometer lange Schleife östlich bis Götzendorf und weiter (Ostbahn) bis Petrschalka oder eine S 7- Trasse direkt nach Petrschalka. Bei Anschluss des Flughafens Wien- Schwechat an das Transeuropäische Netz wäre nach Auffassung von Vorstandsdirektor Mag. Herbert Kaufmann die Errichtung der besagten Schleife jedenfalls notwendig.

Mit einiger Sorge wird die Überalterung des Kraftwerkparks betrachtet, es stehen nur wenige Neuerrichtungen bevor, führt VKÖ- Präsident Dipl. Ing. Friedrich Pink, Vorstandsdirektor der WIEN- ENERGIE aus. Generell sollten in der EU bis 2020 alle Kraftwerke, die älter als 40 Jahre sind, aus dem Netz genommen werden, womit ein Ersatzbedarf von mindestens 200.000 Megawattstunden entstünde. Eine Übersicht der Kraftwerke in 22 EU-Staaten zeigt, dass zwei Drittel der thermischen Kraftwerke schon jetzt älter als 30 Jahre sind, in der BRD beispielsweise 50 Prozent älter als 25 Jahre. Eine Analyse in den betrachteten 22 EU-Staaten ergibt ein Wachstum von 54 Terrawattstunden pro Jahr, also bis zum Jahr 2010 etwa 432 Terrawattstunden. Zur Situation in Österreich; hier gibt es thermische Kraftwerke die bereits 35 Jahre alt sind, auf derzeitiger Basis werden bis 2010 1.800 MWh, bis 2014 4.000 MWh fehlen. Ein Vergleich der Netzpreise - auf der im EU Bereich üblichen Basis einen Haushaltsverbrauchs von 3.500 KWh pro Jahr, davon 1.200 KWh Nachtstrom - sieht Wien im Städtevergleich mit deutlich niedrigeren Preisen als beispielsweise Berlin, München, Frankfurt, Leipzig (Durchschnittspreis /MWh Wien deutlich unter 50, Frankfurt fast 60, Leipzig fast 70). Bezüglich der EnergieAllianz hält Pink fest: "Sie entspricht dem Unbundling und weist deutliche Synergien auf. Wir sind somit in der Lage, unseren Kunden wettbewerbsmäßig günstige Tarife zu bieten. Der Vergleich zeigt, dass die Strompreise der Wienstrom europaweit zu den günstigsten zählen. Wer eine Auflösung verlangt, würde eine erfolgreiche und für die Kunden günstige Zusammenarbeit zerstören".

Die Energieversorgung stellt eine Schlüsselindustrie dar, betont Vorstandsdirektor Dr. Bruno Wallnöfer (TIWAG), es ist allerdings ein Paradigmenwechsel in der europäischen Energiewirtschaft feststellbar, und zwar vom System der Kostenpreise zum System der Marktpreise. Problematisch betrachtet der Energieexperte die Ökostromförderung, generell besteht in Österreich ein nichtdiskriminierendes System der Netztarife. Was die Errichtung neuer Kraftwerke (gemäß Auflagen des Klimaschutzprogrammes) betrifft, muss man bei Wasserkraftwerken mit einer 10jährigen, bei kalorischen Kraftwerken mit einer 5jährigen Verfahrenszeit rechnen. Eine wertvolle und übersichtliche Hilfe hinsichtlich der Positionierung der E- Wirtschaft in der Daseinsvorsorge bietet der soeben im Auftrag des VÖWG erschienene Band "Handbuch der österreichischen Energiewirtschaft" (MANZ-Verlag, Herausgeber Nowotny/Parak/Scheucher). "Es sind die strategische Position dieses Wirtschaftsbereichs im Rahmen der Daseinsvorsorge wie auch seine Funktion für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, die das öffentliche Eigentum an Unternehmen der Energiewirtschaft in der Vergangenheit begründet haben und die auch in Zukunft ein massives Engagement des Staates - auf allen Ebenen - als wünschenswert erscheinen lassen. Damit wird ein interdisziplinär umfassendes Bild über die gegenwärtige Situation sowie die zukünftigen Herausforderungen gegeben" formulieren einleitend VÖWG-Präsident Lacina und VKÖ-Präsident Pink.
     
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