Über Ideologien hinweg gemeinsame Konzepte für Schule entwickeln
Wien (PK) - Die bisher in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Ergebnisse der PISA-Studie prägten über
weite Teile die Aussprache über aktuelle Fragen aus dem Arbeitsbereich des Unterrichtsausschusses am Mittwoch
(01. 12.). Die Abgeordneten versuchten jedoch auf gegenseitige Schuldzuweisungen zu verzichten und bekräftigten
die Absicht, die Veröffentlichung der konkreten Daten abzuwarten und daraufhin eine ausführliche Diskussion
und Analyse im Unterrichtsausschuss, etwa auch in einem eigenen Unterausschuss, vorzunehmen.
Der Wunsch von SPÖ und Grünen im Interesse der Verbesserungen im österreichischen Schulsystem eine
ausführliche Debatte zu führen, wurde von den Regierungsfraktionen positiv aufgenommen. Die Abgeordneten
Erwin Niederwieser (S) und Fritz Neugebauer (V) sprachen sich in diesem Zusammenhang auch dafür aus, einen
so genannten Fahrplan dafür festzulegen. Allgemein wurde die Notwendigkeit gemeinsamer Anstrengungen betont.
Bundesministerin Gehrer räumte ein, dass sich Österreich im Ranking verschlechtert habe. Sie halte
es aber zum jetzigen Zeitpunkt für verfehlt, voreilige Schuldzuweisungen vorzunehmen und ein bestimmtes Schulsystem
als Heilmittel zu propagieren. Systeme anderer Länder könnten nicht 1:1 übernommen werden. Nach
Veröffentlichung der Daten werde sie Professor Haider und seinem Team den Auftrag geben, die Gründe für
die Verschlechterungen zu erforschen und tiefer greifende Auswertungen vorzunehmen, um etwa ein genaueres Bild
über die Bundesländer, über die einzelnen Schultypen sowie über Unterschiede der Leistungen
von Burschen und Mädchen zu erhalten. Ein großes Anliegen sei ihr auch die soziale Durchlässigkeit;
diesbezüglich werde es eigene Analysen geben.
Die Ministerin warnte jedoch davor, in eine Depression zu verfallen, zumal Österreich in anderen Studien gut
bewertet werde. So könne Österreich die drittniedrigste Jugendarbeitslosigkeit aufweisen, während
diese in Finnland sehr hoch sei. Seit den 90-er Jahren seien auch zahlreiche Maßnahmen, wie die "verlässliche
Volksschule", die Entrümpelung der Lehrpläne oder die Verbesserung der Lehreraus- und Lehrerweiterbildung
in Angriff genommen worden. Die Leseschwäche sei leider auch ein europaweiter Trend.
Das Vorhaben der Ministerin, weitere Analysen anzustellen, wurde von Abgeordneter Andrea Kuntzl (S) begrüßt.
Vor allem sei es ihr wichtig, die soziale Segregation und die Durchlässigkeit zu untersuchen.
Abgeordneter Erwin Niederwieser (S) äußerte große Sorgen hinsichtlich der Leseschwäche,
da nach der Volksschule vieles nicht mehr aufgeholt werden könne. Seiner Meinung nach müsse man daher
bereits in der Kindergartenpädagogik ansetzen. Die Probleme habe man auf Grund der letzten PISA-Studie erkennen
können und sein, Niederwiesers, Hauptvorwurf gehe daher auch in die Richtung, dass zu wenig passiert sei.
Vor allem kritisierte Niederwieser die Reduzierung des Förderunterrichts. Er sei sich aber dessen bewusst,
dass es nicht nur eine Lösung zur Hebung der Qualität geben könne, vielmehr seien alle möglichen
Varianten zu diskutieren. Deshalb schlage er vor, sich, sobald die von der Ministerin angekündigten Analysen
vorlägen, in einem Unterausschuss zusammenzusetzen, wo ausführlich Punkt für Punkt diskutiert werde.
Darüber hinaus hielten er sowie seine Klubkollegin Andrea Kuntzl eine öffentliche parlamentarische Enquete
für äußerst sinnvoll.
Dem schloss sich der Obmann des Unterrichtsausschusses AbgeordneterWerner Amon (V) insofern an, als auch
er eine tief greifende Auseinandersetzung mit der PISA-Studie und den zusätzlich erhobenen Daten für
wichtig und notwendig erachtete. Zusätzliche Analysen seien deshalb notwendig, weil etwa der hohe Anteil an
Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache berücksichtigt werden müsse. Eine eingehende Auseinandersetzung
über die ideologischen Reflexe hinweg und die Entwicklung gemeinsamer Ideen in einem Ausschuss sei daher wünschenswert.
Auch Abgeordneter Fritz Neugebauer (V) sprach sich für eine umfassende und offene Diskussion aus, wobei
die Schulpartner nicht außer Acht gelassen werden dürften. Derzeit werde diese zu verkrampft geführt,
meinte er. Wie Abgeordneter Niederwieser hielt er es für notwendig, dafür einen Fahrplan vorzubereiten.
Keinesfalls dürfe man Defizite unter den Teppich kehren.
Das Problem der Leseschwäche wurde auch von Abgeordneter Christine Muttonen (S) aufgegriffen. Diese
hänge unter anderem mit der geringeren Lesemotivation zusammen, sagte sie. Daher sei es kontraproduktiv gewesen,
die Deutschstunden zu kürzen und den Österreichischen Kulturservice ÖKS zu zerschlagen und in den
"Kulturkontakt" zu integrieren. Der Kontakt der Schulen zu den einzelnen Schriftstellerinnen und Schriftstellern
sei dadurch stark reduziert worden.
Abgeordneter Alfred Brader (V) sprach hingegen die Vorbildwirkung des Elternhauses für die Entwicklung
der Lesefähigkeit an.
Große Bedenken hinsichtlich der Defizite im naturwissenschaftlichen Bereich brachte Abgeordneter Dieter
Brosz (G) zum Ausdruck, zumal es auch in diesen Fächern Stundenkürzungen gebe, die vor diesem Hintergrund
äußerst problematisch seien. Im Sinne seiner Vorrednerinnen und Vorredner appellierte er, sich die Kritikpunkte
der PISA-Studie im Gesamten anzuschauen. Die Vorgangsweise der Regierung, nur einzelne Vorschläge der Zukunftskommission
zu realisieren, hielt er für nicht zielführend. Bildungsstandards und die Autonomie der Schulen hätten
durchaus Sinn, die Zukunftskommission habe jedoch ein Gesamtkonzept vorgelegt.
Kritik an den Bundesländern wurde seitens der Abgeordneten Carina Felzmann (V) laut. Vieles sei seit
der letzten PISA-Studie in die Wege geleitet worden, wie etwa Bildungsstandards, die "verlässliche Volksschule",
die Straffung der Lehrpläne, die Definition von Kern- und Erweiterungsbereichen im Lehrplan. In den Bundesländern
müsse man jedoch nun daran gehen, dies alles umzusetzen. Der Ruf nach mehr Geld allein, wie dies die Präsidentin
des Stadtschulrates für Wien tue, werde nicht zu Verbesserungen führen. Mehr Geld sei nicht gleichbedeutend
mit besserem Output.
Abgeordnete Mares Rossmann (F) verlieh ihrer Befürchtung Ausdruck, dass man sich weiter im Kreis drehen
werde, da sich die SPÖ bei der Umsetzung von Verbesserungen im Schulsystem in keiner Weise kooperativ zeige.
Wenn die SPÖ nun die Zusammenarbeit anbiete, so stehe sie vor der Nagelprobe, da sie bisher die Bildungspolitik
als ideologisches Werkzeug betrachtet habe. Die FPÖ-Bildungssprecherin wies auf die unterschiedlichen Leistungen
im städtischen und ländlichen Bereich hin, vor allem in den Hauptschulen, und schloss daran die Forderung,
für eine entsprechende verbesserte Lehrerausbildung an den zukünftigen Pädagogischen Hochschulen
Sorge zu tragen.
Rossmann kritisierte scharf die Tatsache, dass die ORF-Sendung "Report" detaillierte Ergebnisse der PISA-Studie
veröffentlicht habe, sie als Abgeordnete jedoch nichts in der Hand habe.
Bundesministerin Gehrer zeigte sich erfreut über die sachliche Argumentation und betonte, dass die
Ergebnisse der PISA-Studie bis 7. 12. Eigentum der OECD seien. Von ihrem Ministerium sei sicherlich nichts hinausgegangen.
Selbstverständlich übernehme sie die Verantwortung für die Situation des Schulsystems, aber bei
der Umsetzung der Verbesserungen müssten sich alle anstrengen. "Klasse Zukunft" sei ein Gesamtkonzept,
aber man könne nicht alles gleichzeitig realisieren.
Lesen, Schreiben und Rechnen stünden als Kulturtechniken wieder im Mittelpunkt der Volksschule und das Abschreiben
vom Tafelbild erfahre eine Renaissance. Man gehe auch wieder davon ab, nur Lückentexte auszufüllen und
kopierte Zettel zu verteilen. Darüber hinaus müsse man üben, üben und nochmals üben.
Zur aufgezeigten Leseschwäche bemerkte Gehrer, dass sie bereits nach der letzten Studie Schritte gesetzt habe.
So würden beispielsweise im Jahr 2004 70.500 € für das Programm "Lesefit" zur Verfügung
gestellt. Die Pädagogischen Institute müssten aber die Lesedidaktik und Lesemotivation in den Mittelpunkt
stellen. Die Schwäche in den Naturwissenschaften brachte Gehrer auch mit der Tatsache in Verbindung, dass
viele Kinder im Pflichtschulalter schlecht Deutsch sprechen. Naturwissenschaften müssten aber auch fächerübergreifend
gelehrt werden, Einstunden-Fächer, wie dies Abgeordneter Brosz (G) behauptet hatte, gebe es aber bis
zu den 14-Jährigen nicht. Bildungsstandards würden regelmäßig überprüft, sagte Gehrer,
und Lesescreenings dienten allein der Rückmeldung für die Lehrerinnen und Lehrer. Keinesfalls gehe es
dabei um Rankings.
Es gebe keinerlei Hinweis darauf, dass die Klassengröße Einfluss auf die Qualität der Lernergebnisse
habe, stellte Gehrer auf eine Bemerkung der Abgeordneten Sabine Mandak (G) fest.
Zur Kritik der Abgeordneten Muttonen bemerkte Gehrer, dass der österreichische Kulturservice vollinhaltlich
von Kulturkontakt übernommen worden sei. Das inhaltliche Budget sei nicht gekürzt worden, durch die Zusammenlegung
habe es aber Synergieeffekte gegeben.
In der Aktuellen Aussprache wurden auch andere Themen angesprochen. So bedauerte Abgeordnete Elisabeth Grossmann
(S), dass viele junge Menschen wegen Platzmangels von den Berufsbildenden Höheren Schulen abgewiesen werden
müssten. Dazu hielt Bundesministerin Gehrer fest, dass heuer alle Schülerinnen und Schüler untergekommen
seien, die das auch ernsthaft wollten. Man habe vielleicht nicht an der gewünschten Schule einen Platz gefunden,
Tatsache sei aber, dass derzeit 3.000 Plätze frei seien.
Abgeordnete Andrea Kuntzl hatte die mangelnde Ganztagsbetreuung angesprochen, worauf Bundesministerin Gehrer
unterstrich, dass noch 1.800 Plätze unbesetzt seien.
Die Kritik von Abgeordnetem Dieter Brosz (G) an der Finanzierung der Alternativschulen beantwortete sie
mit dem Hinweis, auf die Erhöhung der Ausgaben seit dem Jahr 2000 für die Waldorfschulen um 70% und die
anderen Alternativschulen um 40%.
Die von Abgeordneter Christine Muttonen (S) erwähnten Mängel hinsichtlich des zeitgeschichtlichen
Wissens wurden von Bundesministerin Gehrer nicht bestritten. Die Daten entstammten einer Befragung, sagte sie,
und man müsse der Zeitgeschichte einen stärkeren Stellenwert einräumen. Die Möglichkeit dazu
gebe das Programm für das Jubiläumsjahr 2005.
Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek (S) kritisierte die Ausgliederung der Erwachsenenbildung und der Bibliotheken
in die Länder. Bei der Lesemotivation dürfe man jedoch die Erwachsenen nicht vergessen, sagte sie. Dazu
meinte Bundesministerin Gehrer, dass die Erwachsenenbildung und das Bibliothekswesen immer in der Kompetenz der
Länder gelegen seien. Sie wolle keinen neuen Zentralismus einführen. Die Förderungen für die
Erwachsenenbildung seien jedoch erhöht worden und es stünden zahlreiche EU-Projekte zum Nachholen von
Bildungsabschlüssen zur Verfügung.
Auf die Frage des Abgeordneten Christian Faul (S) nach den zusätzlichen 12 Mill. € für Fördermaßnahmen
im Rahmen des Finanzausgleichs, sagte Gehrer, dass diese den Bundesländern auf Grund der Einwohnerzahl zur
Verfügung gestellt würden. |