Gusenbauer: Die Regierung hat ihre Chance gehabt
Regierung will "viel für wenige, wenig für viele"
Wien (sk) - "Diese Regierung hat ihre Chance gehabt, sie hat sie verwirkt" - SPÖ-Vorsitzender
Alfred Gusenbauer ging am Montag (28. 11.) in seiner Rede beim 38. ordentlichen Bundesparteitag der SPÖ
mit der Regierung hart ins Gericht. Die Regierung kenne keine politische Moral, ihr fehle jedes Verständnis
für die Rechte und Anliegen der Bürgerinnen und Bürger. "Die FPÖ verrät die kleinen
Leute, die sie in ihren Sonntagsreden so gern beschwört. Die ÖVP verrät ihre - im guten Sinne -
christlich-sozialen Wurzeln. Und beide bedienen sich lediglich ihrer jeweiligen Interessengruppen, frei nach dem
Motto: viel für wenige, wenig für viele", so Gusenbauer.
Viereinhalb Jahre Schwarz-Blau habe eine "mehr als blamable Bilanz" vorzuweisen: die höchste Steuer-
und Abgabenquote in der Geschichte der Zweiten Republik, ein im EU-Vergleich stark zurückfallendes Wachstum,
die höchste Arbeitslosigkeit in der Zweiten Republik, sinkende Realeinkommen und Pensionen sowie schrumpfende
Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur.
Die ÖVP wolle, dass die Menschen weniger verdienen, dass die Gewinne der Unternehmen steigen, dass unsere
Heimat, unser gemeinsames Eigentum möglichst rasch und um jeden Preis verscherbelt wird, dass die sozialen
Leistungen abgebaut werden. Dem stehe die SPÖ gegenüber: "Wir wollen, dass jede und jeder Arbeit
hat und davon auch leben kann, dass jeder seinen solidarischen Beitrag zum Gemeinwohl leistet, dass wir sorgfältig
und intelligent mit dem Besitz der Republik umgehen, dass der Sozialstaat moderner und gerechter wird."
Gusenbauer sieht in diesen unterschiedlichen Politikrichtungen eine Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Wertvorstellungen,
einen Wettstreit zwischen zwei Antworten: Der neoliberale Weg der Regierung setze ausschließlich auf eine
missverstandene ökonomische Effizienz, nämlich allein auf das möglichst wenig behinderte Wirken
der Märkte und auf möglichst hohe Profite. Diese Richtung bevorzuge ein Menschenbild nach dem Muster
"Jeder ist seines Glückes Schmied."
Die andere Antwort, jene der SPÖ, gehe davon aus, dass wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und soziale
Gerechtigkeit miteinander vereinbar sind. "Das bedeutet, dass wir zwar alles tun, damit eine gesunde Wirtschaft
gesellschaftlichen Reichtum erzeugen kann, dass wir aber gleichzeitig auch die Verteilung von Wohlstand und Lebenschancen
sowie ein hohes Maß an sozialer Sicherheit im Blick haben." Die SPÖ mache es sich nicht so einfach,
anzunehmen, wenn die Wirtschaft floriert, lösen sich alle anderen Fragen gleichsam wie von selbst.
Die Werte, die Bruno Kreisky formuliert hat, damit Österreich für alle Menschen eine gute Heimat ist,
könne man auf die Gegenwart übertragen: dass möglichst alle Arbeit und einen gerechten Anteil am
Erwirtschafteten bekommen, dass alle solidarisch abgesichert sind, wenn sie krank werden, einen Unfall haben, arbeitslos
werden oder sie in Pension gehen.
Die SPÖ zeichne auch aus, dass sie sich für die Bedürfnisse und Ängste der Menschen interessiere
und sie ernst nehme. "Wir müssen immer den direkten Kontakt mit all den Menschen suchen, für die
und mit denen wir Politik machen wollen", sagte Gusenbauer. Dies sei auch das Geheimnis der Erfolge der SPÖ,
verwies der SPÖ-Vorsitzende auf das große Vertrauen, das Michael Häupl, Hans Niessl, Gabi Burgstaller
und Erich Haider genießen. In diesem Zusammenhang gratulierte Gusenbauer auch Heinz Fischer, der dem Amt
des Bundespräsidenten sofort einen unverwechselbaren Stil verliehen habe.
Jeder Tag, an dem die Regierung früher geht, ist ein gewonnener Tag
Seine Kritik an der Regierung machte der SPÖ-Vorsitzende an einzelnen Ministern fest, etwa an Finanzminister
Grasser, "der in Zeiten schwacher Konjunktur das Nulldefizit zum höchsten Ziel erklärt hat und jetzt
eine rekordverdächtige Neuverschuldung zu verantworten hat"; an Bildungsministerin Gehrer, "die
unserer Jugend die Zukunft nimmt, indem sie an Schulen und Universitäten unzumutbare Arbeitsbedingungen für
Lernende, Lehrende und Forschende schafft"; an Wirtschafts- und Arbeitsminister Bartenstein, "dem die
steigende Arbeitslosigkeit offensichtlich gleichgültig ist und der die Interessenvertretungen der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer schwächen will"; an Sozialminister Haupt, "der eine so genannte Pensionsreform
verschuldet, die keine gerechte Harmonisierung, dafür bereits heute Kürzungen für zwei Drittel der
neu Pensionierten bringt".
Weiters kritisierte Gusenbauer Innenminister Strasser, "der von den Verfassungsrichtern zur Raison gebracht
werden muss, weil seine Vorstellungen von Asylrecht oder Zivildienst nicht unseren demokratischen Regeln entsprechen".
Gesundheitsministerin Rauch-Kallat wiederum, bringe keine Gesundheitsreform zustande - "außer dem Erhöhen
von Selbstbehalten und dem Streichen von Zuschüssen zu Brillen und Kontaktlinsen". Die Gesamtverantwortung
für diese "seine Truppe des Versagens" trage Kanzler Schüssel. Jeder Tag, an dem er und seine
Leute früher ihre Ämter verlassen, sei ein gewonnener Tag für Österreich.
Die Regierung würden die Lebensbedingungen der Menschen in unserem Land nicht kümmern. "Sie sorgt
sich lediglich um die Besitzstände ihrer Klientel, das zeigen viele Beispiele, von der Steuerreform bis zur
angeblichen Pensionsharmonisierung", so Gusenbauer. "In beispielloser Abgehobenheit regieren sie über
die Köpfe der Österreicherinnen und Österreicher hinweg."
Das würden die Menschen natürlich bemerken, sagte Gusenbauer. Er selbst sei kürzlich in Wiener Neustadt
von einer Frau angesprochen worden. Sie verdient 565 Euro im Monat. Der Herr Grasser, habe sie gemeint, solle doch
einmal für eine Zeitlang das Einkommen mit ihr tauschen, dann würde er besser wissen, was Abgaben und
Selbstbehalte für Menschen wie sie bedeuten.
In dieses abgehobene Bild der Regierung passe auch das Schließen von Postämtern und Gendarmerieposten.
Für viele Menschen gehöre diese Infrastruktur zu ihrem Lebensgefühl. Heimat sei nämlich nicht
nur, wo man zuhause sei, sondern wo man sich zuhause fühle. "Wir lassen uns von dieser Bundesregierung
nicht unsere Heimat nehmen", so Gusenbauer.
Kritik am Demokratieverständnis der Regierung
Heftige Kritik übte der SPÖ-Vorsitzende am Demokratieverständnis der Regierung. Bruno Kreisky
habe einmal gesagt: "Macht ist innerhalb der Demokratie nur erträglich, wenn man das Gefühl hat,
dass sie kontrolliert wird und dass man selbst an der Kontrolle indirekt mitwirkt." Die Regierung liege an
der Weiterentwicklung der Demokratie allerdings nichts, verwies Gusenbauer auf die Verhandlungen im Österreich-Konvent
für eine neue Verfassung. Dieser Konvent hätte die Chance geboten, mit einer modernen, zeitgemäßen
Verfassung in das Jubiläumsjahr zu gehen und einen Schub der Öffnung und Demokratisierung vorzunehmen.
All das scheitere aber letztlich daran, dass der Regierung jede Form der Auseinandersetzung, der Kritik, jedes
Artikulieren von anderen Meinungen zutiefst zuwider sei. "Und deshalb betreibt sie, wo immer es ihr möglich
ist, Selbstbeweihräucherung - da können wir uns im Jubiläumsjahr auf einiges gefasst machen."
"Wer ihre Machtausübung stört, soll mundtot gemacht werden", verwies Gusenbauer auf die parteipolitische
Zusammensetzung des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, die Versuche, die Arbeiterkammer finanziell
zu beschneiden und das geplante ÖH-Gesetz, das die Mehrheiten umdrehen soll.
Dies zeuge von einer "autoritären Haltung, die es in einer modernen Demokratie nicht geben darf",
so Gusenbauer. Das Abblocken von stärkeren Minderheitsrechten im Parlament passe in dieses traurige Bild ebenso
wie das würdelose Sesselkleben eines Finanzministers, der unter normalen Umständen längst hätte
zurücktreten müssen.
Zwtl.: SPÖ muss solide und glaubhafte Alternative bieten
"Diese Bundesregierung geht nicht freiwillig", so Gusenbauer, "sie muss abgewählt werden."
Deshalb müsse die SPÖ eine solide und glaubhafte Alternative bieten. Deshalb werde die SPÖ morgen
im Rahmen des 38. ordentlichen Bundesparteitages ein Wirtschaftsprogramm, ein Bildungsprogramm und ein wohnpolitisches
Programm präsentieren und diskutieren. Damit ergänze die SPÖ ihre bereits vorgelegten Konzepte,
etwa die Alternativvorschläge zur Pensionsreform und den Entwurf für eine neue Verfassung.
Noch nie haben der gesellschaftliche, der ökonomische und der technologische Wandel ein derartiges Tempo erreicht
wie heute. Manche Schätzungen gehen davon aus, dass 80 Prozent der heute im Einsatz befindlichen Technologie
schon in zehn Jahren veraltet sein wird. Die Anforderungen am Arbeitsmarkt würden steigen, die Sorge, dass
die Pensionen und die Gesundheitsversorgung nicht aufrecht erhalten werden kann, bestehe, Zuwanderung werde als
Bedrohung wahrgenommen. Zukunftsangst führe nämlich in aller Regel dazu, dass man an Bestehendem möglichst
wenig ändern will, dass man sich zurückzieht und abschottet. Hier sieht Gusenbauer "eine sehr große
Herausforderung für die Politik. |
Molterer: SPÖ präsentiert sich als ideenarme Fundamentalopposition
Zwanghaft inszenierte Einigkeit am Parteitag kann über Orientierungslosigkeit nicht
hinwegtäuschen
Wien (övp-pk) - "Fundamentalopposition, garniert mit Nervosität und Orientierungslosigkeit",
so beschreibt ÖVP-Klubobmann Mag. Wilhelm Molterer das Bild, das die SPÖ heute, Montag, am Beginn ihres
38. Bundesparteitages in Wien abgibt. Die "zwanghaft zur Schau gestellte Einigkeit" könne nicht
über die flächendeckende Orientierungsloigkeit der letzten Monate hinwegtäuschen.
Molterer erinnerte Gusenbauer an die "durchaus beeindruckende Halbzeitbilanz, die diese Bundesregierung vor
kurzem vorgelegt" habe. Als Beispiele nannte er die Pensionssicherungsreform, verschiedene Beschäftigungsmaßnahmen,
die erste Etappe der Steuerreform und die ÖBB-Reform. "Auch das neue ÖH-Gesetz ist in diesem Zusammenhang
zu erwähnen, weil es die einzelnen Universitätsvertretungen stärkt", so Molterer. Wenn Gusenbauer
heute erneut von Demokratieabbau spreche, wisse er entweder nicht besser Bescheid oder er betreibe bewusst Stimmungsmache.
Außerdem bedachte Molterer Gusenbauers Ausführungen zur Bildungspolitik mit der Bemerkung, dass es in
diesem Bereich sicher mehr brauche als die ewig wiederkehrende Forderung nach Ganztags- und Gesamtschule. "Bildungsministerin
Elisabeth Gehrer hat richtig festgehalten, dass es in diesem Bereich mehr benötigt als Rezepte der Vergangenheit.
Mit Retropolitik werden wir die Zukunft nicht gestalten können", so Molterer.
Bezüglich des SPÖ-Wirtschaftsprogramms, das im Rahmen des Parteitages diskutiert werde, merkte Molterer
an, dass von den 144 Maßnahmen die angedacht werden, 66, also nahezu die Hälfte, von der Bundesregierung
entweder längst umgesetzt worden seien oder sich gerade in Umsetzung befänden. Der ÖVP-Klubobmann
wies darauf hin, dass die SPÖ in den letzten Monaten nicht nur beim Wirtschaftsprogramm, sondern auch bei
Finanzausgleich und der Frage der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei eine klare Linie vermissen habe
lassen. "Und in der wichtigen Sache des Österreich- Konvents haben SPÖ-Vertreter wiederholt versucht,
diese auf tagespolitische Auseinandersetzungen herunterzubrechen."
Daher sei es wenig verwunderlich, wenn die SPÖ nun versuche, mit Fundamentalopposition und Schlechtmachen
der Regierungsarbeit von der eigenen Orientierungslosigkeit abzulenken, so Molterer abschließend. |