Wien (PdI) - Die Herausgeber von „industrie aktuell“ (Bundessparte Industrie der WKO, Industriewissenschaftliches
Institut, Investkredit Bank AG und Industriellenvereinigung) lassen in der jüngsten Ausgabe im „Industrieforum“
ExpertInnen zu verschiedenen Aspekten des demographischen Wandels zu Wort kommen: Bevölkerungsentwicklung
und Arbeitsmarkt, Herausforderungen beim Betriebsübergang, Veränderungen des Konsumverhaltens, die betriebliche
Praxis sowie die Erwartungen und Anforderungen der jungen Generation werden darin beleuchtet. Am Dienstag (30. 11.)
wurden bei einem Pressegespräch im Haus der Industrie die Beiträge vorgestellt.
Münz: Länger arbeiten, Vereinbarkeit von Familie und Beruf steigern,
pro-aktive Integrationspolitik machen
Der Bevölkerungswissenschafter Prof. Dr. Rainer Münz, Senior Fellow am Hamburgischen Weltwirtschaftsarchiv
(HWWA), betont in seinem Beitrag „Alternde Gesellschaft - Herausforderungen für Wirtschaft und Arbeitnehmer“,
dass
steigende Lebenserwartung und weniger Kinder dazu führen, dass in Zukunft weniger Menschen mit frischem Wissen
neu ins Berufsleben eintreten. „Damit einher geht eine mögliche Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung“,
als Reaktion darauf schlägt Münz u.a. die Verlängerung der Lebensarbeitszeit vor. „Dass Menschen
mit 55-60 Jahren aus dem Erwerbsleben ausscheiden, wird für unsere Gesellschaft künftig zu einem ‚Luxus’,
den wir uns nicht mehr leisten sollten.“ Die Anhebung des Frühpensionsalters und die Gleichstellung der Frauen
mit den Männern setzen allerdings einen funktionierenden Arbeitsmarkt für Ältere voraus. „Entscheidend
ist, dass wir die Möglichkeit bekommen, im Berufsleben laufend frisches Wissen zu erwerben.“ Wichtig sei auch
ein Bruch mit der bisherigen Praxis, Belegschaften und Management möglichst zu verjüngen, während
ältere Arbeitskräfte in Frühpension geschickt werden oder eine Invaliditätspension in Anspruch
nehmen.
„Hilfreich wäre es auch, wenn die Jungen Studium und Ausbildung rascher abschließen. Zugleich sollten
wir zukünftig mehr tun, um Frauen nach der Geburt von Kindern wieder ins Berufsleben zu integrieren. Das erfordert
familiengerechtere Karriereverläufe und Arbeitszeitmodelle, und setzt eine flächendeckende Versorgung
mit Kindergärten und Ganztagschulen voraus.“ Außerdem schlägt Münz die Rekrutierung qualifizierter
junger Erwachsener aus dem Ausland vor, wofür eine pro-aktive Politik Voraussetzung ist. „Fast alle Industriegesellschaften
haben ähnliche demographische Probleme. „Um attraktive Migranten entsteht daher ein weltweiter Wettbewerb“,
betonte Münz. Ihre Integration führe zu mehr ethnisch-kultureller Heterogenität - nicht nur in der
Bevölkerung, sondern auch innerhalb der Belegschaften.
Untergrabner: Traditionelle Unternehmensübergabe verliert an Bedeutung
Mag. Gabriela Untergrabner, Kundenbetreuerin der Europa Consult GmbH, des M&A-Beratungsunternehmens
der Investkredit-Gruppe, hat in den vergangenen zwei Jahren mehr als 400 österreichische Familienunternehmen
mit jeweils mehr als 7 Mio. € Umsatz besucht und mit (Alt-)Eigentümern, (möglichen) künftigen Eigentümern
und familienfremden Geschäftsführern über Unternehmensnachfolge - insbesondere die Möglichkeit
von Management Buy Outs - gesprochen. Ihre Erkenntnis: Die traditionelle Unternehmensübergabe - von Eltern
an eines der Kinder - verliert zunehmend an Bedeutung.
„Im Rahmen meiner Studie hat sich herausgestellt, dass mangelndes Interesse der nachfolgenden Generation ein Hauptgrund
dafür ist. Kinder schlagen heute oft eigene Karrieren abseits des Familienunternehmens ein. Wenn das Thema
der Übernahme aktuell wird, sind die möglichen Nachfolger in der nächsten Generation auch nicht
mehr ganz jung, haben oft eine sehr gute Ausbildung hinter sich und an einer Parallelkarriere gearbeitet.“
Viele Unternehmer wollen den Betrieb im Familienbesitz halten, und suchen daher in einem größeren Kreis
der Verwandtschaft. Dass eine Generation dabei völlig übersprungen wird, mag in Zukunft - aufgrund der
demografischen Entwicklung - häufiger vorkommen, derzeit ist das aber nur selten anzutreffen. Relativ oft
gibt es aber Übergaben an Neffen oder Nichten. Der Verkauf an bisherige Konkurrenten stößt auf
wenig Gegenliebe, als Alternative zur Weitergabe in der Familie kommt oft ein Management Buy Out (MBO) in Frage,
selbst wenn der Erlös dabei geringer wird. Fast 90 % rechnen damit, dass wir in Zukunft MBOs sehr viel häufiger
sehen werden. Unternehmen und Standort bleiben erhalten - wenn auch nicht mehr in Familienbesitz.
Riedl: Jugend will Work-Life-Balance und steht zu Lebenslangem Lernen und Flexibilität
„Geht’s der Jugend gut, geht’s uns allen gut!“, meint Christoph Riedl, Präsidiumsmitglied der Österreichischen
Bundesjugendvertretung und Bundesgeschäftsführer der Katholischen Jungschar. In seinem Beitrag plädiert
er für die Abkehr vom Senioritätsprinzip bei der Entlohnung. Anhand von Trends und Entwicklungen ließe
sich zumindest ansatzweise ein konkretes Situationsbild der österreichischen Jugend zeichnen. „Begriffe wie
lebenslanges Lernen und Flexibilität sind für Jugendliche keine Fremdworte mehr. Sie wissen, dass ein
Verweilen an einem Arbeitsplatz von der Ausbildung bis zur Pension, kaum mehr Realität ist. Jugendliche haben
dabei nicht das Bild eines überarbeiteten Workaholic vor Augen, wenn sie an ihre eigene berufliche Zukunft
denken. Für Jugendliche muss das Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit stimmen.“
Trotz dieser vorhandenen Motivation in den Arbeitsprozess einzusteigen gibt es eine weit verbreitete Unsicherheit
unter den Jugendlichen. Sie verdienen oft nicht genug, um die eigenen Vorstellungen von einer eignen Wohnung einer
Familie und sozialer Sicherheit verwirklichen zu können. Gerade in den ersten Berufsjahren, in denen die finanziellen
Aufwendungen für junge Menschen am höchsten sind, ist der Lohn bzw. das Gehalt am niedrigsten.
Weitere Aspekte: Lehrlingsausbildung, Beschäftigung Älterer, verändertes Konsumverhalten und Brain
Drain
Die weiteren Beiträge im Industrieforum: KR Egon Blum (Unternehmer, Regierungsbeauftragter für Jugendbeschäftigung
und Lehrlingsausbildung) schreibt über die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die Lehrlingsausbildung,
Birgit Feldhusen von AC Nielsen stellt eine Studie über die heterogene Zielgruppe „Generation 45plus“ und
ihr Konsumverhalten vor. Mag. Wilhelm Hübner (Manager Human Resources Europe bei Magna International) erläutert,
wie man die Herausforderung „Ältere Dienstnehmer“ als Chance nutzen kann, und Prof. Dr. Oded Stark (Universität
Bonn und Klagenfurt) zeigt die Chancen von Entwicklungsländern aufgrund internationaler Migration auf - zwischen
„brain drain“ und „brain gain“. |