Demographischer Wandel verändert Industrie und Gesellschaft  

erstellt am
30. 11. 04

Wien (PdI) - Die Herausgeber von „industrie aktuell“ (Bundessparte Industrie der WKO, Industriewissenschaftliches Institut, Investkredit Bank AG und Industriellenvereinigung) lassen in der jüngsten Ausgabe im „Industrieforum“ ExpertInnen zu verschiedenen Aspekten des demographischen Wandels zu Wort kommen: Bevölkerungsentwicklung und Arbeitsmarkt, Herausforderungen beim Betriebsübergang, Veränderungen des Konsumverhaltens, die betriebliche Praxis sowie die Erwartungen und Anforderungen der jungen Generation werden darin beleuchtet. Am Dienstag (30. 11.) wurden bei einem Pressegespräch im Haus der Industrie die Beiträge vorgestellt.

Münz: Länger arbeiten, Vereinbarkeit von Familie und Beruf steigern,
pro-aktive Integrationspolitik machen
Der Bevölkerungswissenschafter Prof. Dr. Rainer Münz, Senior Fellow am Hamburgischen Weltwirtschaftsarchiv (HWWA), betont in seinem Beitrag „Alternde Gesellschaft - Herausforderungen für Wirtschaft und Arbeitnehmer“, dass

steigende Lebenserwartung und weniger Kinder dazu führen, dass in Zukunft weniger Menschen mit frischem Wissen neu ins Berufsleben eintreten. „Damit einher geht eine mögliche Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung“, als Reaktion darauf schlägt Münz u.a. die Verlängerung der Lebensarbeitszeit vor. „Dass Menschen mit 55-60 Jahren aus dem Erwerbsleben ausscheiden, wird für unsere Gesellschaft künftig zu einem ‚Luxus’, den wir uns nicht mehr leisten sollten.“ Die Anhebung des Frühpensionsalters und die Gleichstellung der Frauen mit den Männern setzen allerdings einen funktionierenden Arbeitsmarkt für Ältere voraus. „Entscheidend ist, dass wir die Möglichkeit bekommen, im Berufsleben laufend frisches Wissen zu erwerben.“ Wichtig sei auch ein Bruch mit der bisherigen Praxis, Belegschaften und Management möglichst zu verjüngen, während ältere Arbeitskräfte in Frühpension geschickt werden oder eine Invaliditätspension in Anspruch nehmen.

„Hilfreich wäre es auch, wenn die Jungen Studium und Ausbildung rascher abschließen. Zugleich sollten wir zukünftig mehr tun, um Frauen nach der Geburt von Kindern wieder ins Berufsleben zu integrieren. Das erfordert familiengerechtere Karriereverläufe und Arbeitszeitmodelle, und setzt eine flächendeckende Versorgung mit Kindergärten und Ganztagschulen voraus.“ Außerdem schlägt Münz die Rekrutierung qualifizierter junger Erwachsener aus dem Ausland vor, wofür eine pro-aktive Politik Voraussetzung ist. „Fast alle Industriegesellschaften haben ähnliche demographische Probleme. „Um attraktive Migranten entsteht daher ein weltweiter Wettbewerb“, betonte Münz. Ihre Integration führe zu mehr ethnisch-kultureller Heterogenität - nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch innerhalb der Belegschaften.

Untergrabner: Traditionelle Unternehmensübergabe verliert an Bedeutung
Mag. Gabriela Untergrabner, Kundenbetreuerin der Europa Consult GmbH, des M&A-Beratungsunternehmens der Investkredit-Gruppe, hat in den vergangenen zwei Jahren mehr als 400 österreichische Familienunternehmen mit jeweils mehr als 7 Mio. € Umsatz besucht und mit (Alt-)Eigentümern, (möglichen) künftigen Eigentümern und familienfremden Geschäftsführern über Unternehmensnachfolge - insbesondere die Möglichkeit von Management Buy Outs - gesprochen. Ihre Erkenntnis: Die traditionelle Unternehmensübergabe - von Eltern an eines der Kinder - verliert zunehmend an Bedeutung.

„Im Rahmen meiner Studie hat sich herausgestellt, dass mangelndes Interesse der nachfolgenden Generation ein Hauptgrund dafür ist. Kinder schlagen heute oft eigene Karrieren abseits des Familienunternehmens ein. Wenn das Thema der Übernahme aktuell wird, sind die möglichen Nachfolger in der nächsten Generation auch nicht mehr ganz jung, haben oft eine sehr gute Ausbildung hinter sich und an einer Parallelkarriere gearbeitet.“

Viele Unternehmer wollen den Betrieb im Familienbesitz halten, und suchen daher in einem größeren Kreis der Verwandtschaft. Dass eine Generation dabei völlig übersprungen wird, mag in Zukunft - aufgrund der demografischen Entwicklung - häufiger vorkommen, derzeit ist das aber nur selten anzutreffen. Relativ oft gibt es aber Übergaben an Neffen oder Nichten. Der Verkauf an bisherige Konkurrenten stößt auf wenig Gegenliebe, als Alternative zur Weitergabe in der Familie kommt oft ein Management Buy Out (MBO) in Frage, selbst wenn der Erlös dabei geringer wird. Fast 90 % rechnen damit, dass wir in Zukunft MBOs sehr viel häufiger sehen werden. Unternehmen und Standort bleiben erhalten - wenn auch nicht mehr in Familienbesitz.

Riedl: Jugend will Work-Life-Balance und steht zu Lebenslangem Lernen und Flexibilität
„Geht’s der Jugend gut, geht’s uns allen gut!“, meint Christoph Riedl, Präsidiumsmitglied der Österreichischen Bundesjugendvertretung und Bundesgeschäftsführer der Katholischen Jungschar. In seinem Beitrag plädiert er für die Abkehr vom Senioritätsprinzip bei der Entlohnung. Anhand von Trends und Entwicklungen ließe sich zumindest ansatzweise ein konkretes Situationsbild der österreichischen Jugend zeichnen. „Begriffe wie lebenslanges Lernen und Flexibilität sind für Jugendliche keine Fremdworte mehr. Sie wissen, dass ein Verweilen an einem Arbeitsplatz von der Ausbildung bis zur Pension, kaum mehr Realität ist. Jugendliche haben dabei nicht das Bild eines überarbeiteten Workaholic vor Augen, wenn sie an ihre eigene berufliche Zukunft denken. Für Jugendliche muss das Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit stimmen.“

Trotz dieser vorhandenen Motivation in den Arbeitsprozess einzusteigen gibt es eine weit verbreitete Unsicherheit unter den Jugendlichen. Sie verdienen oft nicht genug, um die eigenen Vorstellungen von einer eignen Wohnung einer Familie und sozialer Sicherheit verwirklichen zu können. Gerade in den ersten Berufsjahren, in denen die finanziellen Aufwendungen für junge Menschen am höchsten sind, ist der Lohn bzw. das Gehalt am niedrigsten.

Weitere Aspekte: Lehrlingsausbildung, Beschäftigung Älterer, verändertes Konsumverhalten und Brain Drain

Die weiteren Beiträge im Industrieforum: KR Egon Blum (Unternehmer, Regierungsbeauftragter für Jugendbeschäftigung und Lehrlingsausbildung) schreibt über die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die Lehrlingsausbildung, Birgit Feldhusen von AC Nielsen stellt eine Studie über die heterogene Zielgruppe „Generation 45plus“ und ihr Konsumverhalten vor. Mag. Wilhelm Hübner (Manager Human Resources Europe bei Magna International) erläutert, wie man die Herausforderung „Ältere Dienstnehmer“ als Chance nutzen kann, und Prof. Dr. Oded Stark (Universität Bonn und Klagenfurt) zeigt die Chancen von Entwicklungsländern aufgrund internationaler Migration auf - zwischen „brain drain“ und „brain gain“.
     
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