Innenpolitik / Rücktritt von Innenminister Dr. Ernst Strasser  

erstellt am
13. 12. 04

Am Freitag (10. 12.) gab Innenminister Ernst Strasser seinen Rücktritt bekannt. Er habe sich "aus Gründen der persönlichen Lebensplanung" entschlossen, in die Privatwirtschaft zurück zu kehren, so Strasser. Er werde eine geordnete Übernahme vornehmen. Rückblickend empfinde er besondere Dankbarkeit gegenüber Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll.
     
Erklärung von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel im Nationalrat
Hohes Haus, meine Damen und Herren, Herr Präsident
Ich danke sehr dem Hohen Haus für die Bereitschaft, diese Erklärung von mir entgegen zu nehmen. Mich hat Innenminister Ernst Strasser gestern (Donnerstag, 09. 12., Anm.) Abend in Kenntnis gesetzt aus seiner Funktion als Bundesminister für Inneres ausscheiden zu wollen und nach 13 Jahren politischer Arbeit wieder in die Privatwirtschaft zurück zu kehren. Er hat mich heute früh von seiner Absicht informiert, dies heute (Freitag, 10. 12., Anm.) öffentlich bekannt zu tun. Diese Entscheidung aus dem Regierungsteam auszuscheiden respektiere ich selbstverständlich.

Ich habe heute Verteidigungsminister Günter Platter gebeten, vorübergehend auch das Bundesministerium für Inneres zu führen. Er wird morgen, auch das ist bereits abgesprochen, vom Herrn Bundespräsidenten um 8:15 Uhr angelobt. Es ist ein Glücksfall, dass mir in der Person von Günter Platter eine Persönlichkeit im Regierungsteam zur Verfügung steht, die fürwahr die Kompetenz hat das Innenministerium, ein besonders wichtiges Ressort zu führen. Er ist bereits jetzt als Verteidigungsminister für die Sicherheit der Menschen in unserem Land verantwortlich und hat viele Jahre lang sehr erfolgreich als Gendarmeriebeamter gearbeitet. Er kennt daher aus allernächster Nähe das Sicherheitsbedürfnis der Bürger und die Erfordernisse auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesministeriums für Inneres. Platter hat gerade in den letzten Tagen, das will ich hier ausdrücklich hervorheben, höchste Führungskompetenz und Krisenmanagement unter Beweis gestellt.

Die Art und Weise wie Du die aufgetretenen und bekannt gewordenen Vorfälle im Bundesheer aufgeklärt hast und rasche Konsequenzen gezogen hast, ist absolut richtig, notwendig und wird von uns hoffentlich allen breites unterstützt. Für eine sachgerechte Führung des Ressorts ist daher gesorgt, der Übergang kann glatt und reibungslos von statten gehen.

Ernst Strasser, meine Damen und Herren, hat im Februar 2000 ein sehr schwieriges Amt angetreten. Für alle Experten war damals klar, dass im Innenministerium zahlreiche Reformen in Angriff zu nehmen waren, die zum Teil ja schon viele, viele Jahre vorher fällig gewesen sind. Diese waren auch vielfach schon angekündigt aber eben nie durchgeführt worden. Vieles war zu tun, um den österreichischen Sicherheitsapparat fit zu machen zur Bekämpfung von internationaler Kriminalität, Terrorismus, moderner Verbrechensformen, Computerkriminalität, Kinderpornographie, Schlepperunwesen, Asylmissbrauch und Katastrophen. Das sind die wichtigen Aufgaben, die im Innenministerium wahr zu nehmen sind. Und außerdem war die EU Erweiterung in den Bereichen Inneres und Sicherheit mit Leben zu erfüllen. Strasser hat daher die so genannte Salzburg Gruppe ins Leben gerufen, das sind die mittel- und osteuropäischen Länder, um mit den Ländern der regionalen Partnerschaft schon vor deren Beitritt zur Union Fragen der inneren und äußeren Sicherheit optimal vorzubereiten. Und auf europäischer Ebene haben wir uns darüber hinaus aktiv für eine stärkst mögliche Vernetzung der Polizeikooperationen zur Bekämpfung der Kriminalität und Terror eingesetzt.

Die Reformen seit 2000 sind ihnen meine Damen und Herren bestens bekannt: die Schaffung des Bundeskriminalamtes im Jahr 2001, die Reform der Bundespolizeidirektion Wien, früher gab es die bekannten Probleme, dass die Ermittlungsgrenzen haben an der Bezirksgrenze geendet. Daher war diese Reform absolut notwendig. Eine Reform des Innenministeriums in der Zentralstelle war notwendig, um einfach mehr Menschen, mehr Mitarbeiter in den Außendienst zu bekommen und die Verwaltung abzuschlanken. Es erfolgte die Übergabe des Pass- und Meldewesens an die Magistrate. Es gibt nun deutlich weniger Verwaltung und dafür Einsparungen. Zu seinen Erfolgen zählt die Einführung der monatlichen Kriminalstatistik. Der Sicherheitsmonitor hat zum Teil spektakuläre Ergebnisse mit sich gebracht. So konnten vor allem Serieneinbrüche und großflächige Kriminalfälle in rascher Zeit aufgeklärt werden. Wir merken das beim Rückgang etwa der Kriminalfälle in Wien um 7%, aber auch österreichweit ist ein kleiner Rückgang aufgetreten.

Die Eingliederung der Zollwache, ist auch ein Thema das jahrzehntelang diskutiert und nie umgesetzt worden ist. In diesem Zusammenhang danke ich Karl Heinz Grasser für seine Bereitschaft maximal zu kooperieren Vor allem mit der gestern hier im Hohen Haus beschlossenen Zusammenlegung aller Wachekörper in eine Polizei wurde ein echter Meilenstein in der Modernisierung der Exekutive erreicht. Das Asylgesetz 2003 hat wesentliche Verbesserungen bei den Verfahrensabläufen gebracht im Asylbereich und durch die 15 a Vereinbarungen mit den Bundesländern wurde die Flüchtlingsbetreuung neu geregelt.

Zu danken ist dem Innenminister, dem scheidenden Innenminister auch für die Neuorganisation von Mauthausen, dem Kulturdialog der Zivilisationen, die Betreuung der verschiedenen schwierigen Bereiche, etwa Kultusgemeinde, Islamische Glaubensgemeinschaft vor allem im Nachhang zum 11. September. In Summe weiß jeder, dass im Innenministerium, einem der größten Häuser in der Republik mehr als 31.000 Mitarbeiter beschäftigt sind. Mit den Budgets 2005 und 2006 werden wir zusätzlich 800 Exekutivbeamte zur Verfügung stellen und die Zusammenlegung von Gendarmerie und Polizei bringt alleine durch die Einsparung von Doppelgleisigkeiten in der Verwaltung 500 Exekutivbeamte mehr auf die Straße im Einsatz für die Sicherheit der Bürger

Meine Damen und Herren nur zum Vergleich. Ende 1999 waren 21.900 Exekutivbeamte auf der Straße im Dienste der Bürger, heute sind es um 1.000 mehr. Das soll nicht vergessen werden.

Ernst Strasser hat als Innenminister in den letzten viereinhalb Jahren gute Arbeit für die Sicherheit der österreichischen Bürgerinnen und Bürger geleistet. 90% der Menschen in unserem Land fühlen sich sicher. Der scheidende Innenminister Ernst Strasser hat gemeinsam mit den Sicherheitskräften dafür gesorgt, dass Österreich weiter zu den sichersten Ländern der Welt zählt. Dabei solle auch mit Günter Platter bleiben.

Quelle: Bundespressediesnt
 
 Gusenbauer: "Als Paulus begonnen, als Saulus geendet"
"Wer ist der nächste Rücktrittskandidat?"
Wien (sk) - "Wenn Strasser einmal als ein vermeintlich liberaler Innenminister angetreten ist, dann ist er als das Gegenteil davon gegangen. Innenminister Strasser hat als Paulus begonnen und als Saulus geendet", so SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer über den überraschenden Rücktritt von Innenminister Strasser am Freitag (10. 12.) im Nationalrat. Gusenbauer bezeichnete Schüssels Entscheidung, Verteidigungsminister Platter, der ohnehin alle Hände voll zu tun habe, vorübergehend als Innenminister einzusetzen als "Notmaßnahme" und "keine gute Idee". Ein Grundcharakteristikum der Demokratie sei eine Trennung von Polizeigewalt und Militärgewalt, unterstrich Gusenbauer. "Diese Bundesregierung ist in einer tiefen Krise, sie war und ist nicht im Stande die Sicherheit in unserem Land zu garantieren", kritisierte Gusenbauer. Die einzige Frage, die sich heute noch stelle, ist: "Wer ist der Nachfolger oder die Nachfolgerin von Ernst Strasser, aber nicht im Ressort, sondern als Rücktrittskandidat". Gusenbauer bilanzierte Strassers Amtszeit und stellte ihm kein gutes Zeugnis aus: So habe Strasser die stärkste Steigerung der Kriminalitätsrate, sinkende Aufklärungsrate, Personalabbau, Konflikte mit dem VGH und ein ungelöstes Asylproblem zu verantworten.

Als einen "etwas komischen Vorfall" bezeichnete Gusenbauer die Tatsache, dass Innenminister Strasser zwar gestern im Haus gewesen sei, es aber nach der heutigen Rücktrittsbekanntgabe nicht der Mühe wert gefunden hatte, sich ordnungsgemäß vom Parlament zu verabschieden. In Strassers Amtszeit falle die stärkste Steigerung der Kriminalitätsrate in der gesamten Geschichte Österreichs, bevor Strasser Innenminister wurde, habe es weniger als 500.000 Delikte gegeben, im heurigen Jahr werde es bereits über 700.000 Delikte geben, so Gusenbauer. Die Anzahl der aufgeklärten Fälle sei stetig gesunken, vor Strassers Amtszeit wurden über 50 Prozent der strafbaren Handlungen aufgeklärt, nun nur mehr 37,5 Prozent. "Die Ursache für dieses Scheitern liegt auf der Hand", so Gusenbauer, denn Strasser habe in den vergangenen Jahren mehr als 3000 Exekutivbeamte abgebaut: "Mit einem Weniger an Gendarmerie und Polizei kann es nicht ein Mehr an Sicherheit geben".

"Der Innenminister hat auch zu verantworten, dass er in seiner Amtszeit des öfteren mit dem Verfassungsgerichtshof in Konflikt geraten ist", unterstrich Gusenbauer und erinnerte an die Aufhebungen des Höchstgerichts im Bereich Zivilrecht, Asylrecht und Zwangspensionierungen im Ressort Strassers. "Dieser Innenminister hat auch traurige Bekanntheit damit erlangt, dass er mit einer Rigorosität sondergleichen versucht hat, in seinem Ressort all diejenigen, die ihm politisch nicht zu Gesicht gestanden haben, zu säubern", kritisierte Gusenbauer.

Der Innenminister sei in den letzten Jahren nicht im Stande gewesen, das Asylrecht zu lösen, im Gegenteil, er habe durch seine Maßnahmen die Situation verschärft. "Dieser Innenminister hat in den letzten Monaten versucht, die Stimmung in Österreich hochzuschaukeln und ein Problem zu beklagen, das er selbst geschaffen hat", so Gusenbauer.

In einer Situation, wo der Verteidigungsminister ohnehin alle Hände voll zu tun habe, beim Bundesheer für Klarheit und Sauberkeit zu sorgen, erachte er die Entscheidung Schüssels, Platter mit dem Innenministerium zu betrauen, als eine "falsche". "Wie geht es in einer österreichischen Bundesregierung zu, wo am Vorabend seines Rücktritt der Innenminister den Bundeskanzler informiert, dass er am nächsten Tag gehen möchte. Wie funktioniert hier die Zusammenarbeit, und wie schaut hier die Führungsfähigkeit in der Bundesregierung aus?", fragte Gusenbauer.

 

 Kössl: Strasser ist Reformminister der II. Republik
ÖVP-Sicherheitssprecher bedauert Rücktritt des Innenministers
Wien (övp-pk) - ÖVP-Sicherheitssprecher Kössl bedauerte in einer ersten Stellungnahme den Rücktritt von BM Dr. Ernst Strasser: "Der scheidende Bundesminister geht als Reformminister in die Geschichte der 2. Republik ein". Noch nie zuvor seien so viele Strukturprobleme im Sicherheitsbereich angegangen und gelöst worden.

Kössl: "Die Reformen im Zivildienst und im Asylbereich und zahlreiche Verbesserungen bei der Exekutive und in der Sicherheitsverwaltung sind darauf zurückzuführen, dass Dr. Strasser sich vor wirklichen Herausforderungen nicht gescheut und Politik mit Herz und mit Hirn betrieben hat". Als Höhepunkt der Karriere wäre sicherlich das gestern beschlossene Sicherheitspolizeigesetz zu bezeichnen, das mit der Wachkörperzusammenlegung ein historischer Schritt im Sicherheitsbereich sei. Dr. Strasser hätte sämtliche Innenminister vor ihm am Arbeitspensum und Durchsetzungsvermögen weit hinter sich gelassen.

Der Sicherheitssprecher dankte Dr. Strasser namens seiner Fraktion im Innenausschuss für die hervorragende, ehrliche und äußerst produktive Zusammenarbeit und wünschte ihm für seine persönliche Zukunft alles Gute.

 

Scheibner: Wichtige anstehende Reformen im Innenressort
Keine Kriminalisierung des gesamten Bundesheers
Wien (fpd) - Der überraschende Rücktritt eines Regierungsmitglieds sei unangenehm, aber keine Staatskrise, sagte FPÖ-Klubobmann Herbert Scheibner in der Debatte am Freitag (10. 12.) über die Erklärung des Bundeskanzlers zum Rücktritt des Innenministers.

Unangenehm sei Strassers Rücktritt auch deshalb, weil gerade im Innenressort wichtige Reformen anstünden, sagte Scheibner. Man sei mitten in den Verhandlungen für ein neues Asylgesetz. Dies sei absolut notwendig, weil man den Grundsatz durchsetzen müsse, daß in Zukunft nur jene Asyl bekämen, die in ihren Heimatländern wirklich politisch, religiös oder rassisch verfolgt seien. Dem evidenten Mißbrauch des Asylrechts sei ein Riegel vorzuschieben. Dies habe Priorität im Innenministerium. Hier müsse professionell vorgegangen werden, hier brauche man eine Ressortführung, die die Verhandlungen rasch und effizient weiterführe.

Scheibner bezeichnete auch die Situation im Bundesheer als schwierig. Die Vorfälle bei den Übungen müßten aufgeklärt werden. Hier habe der Verteidigungsminister bisher gute Arbeit geleistet. Es müsse auch sichergestellt werden, daß derartige Vorfälle in Zukunft nicht mehr möglich seien. Scheibner betonte, daß es im Bundesheer keine Dienstvorschrift und kein Merkblatt gebe, die ein derartiges Handeln rechtfertigen würden. Es dürfe aber nicht möglich sein, das gesamte Bundesheer mit seinen Offizieren, Unteroffizieren und Ausbildnern jetzt zu kriminalisieren. Die einsatznotwendige Ausbildung müsse gesichert sein, aber richtig und mit Augenmaß umgesetzt werde.

Im Bundesheer gebe es momentan eine Verunsicherung aufgrund von Gerüchten über massive Umgliederungen und eine Neuordnung der obersten Führungsstruktur. Mit der FPÖ sei bislang nicht darüber gesprochen worden, sagte Scheibner, der daher davon ausgeht, daß es sich wirklich nur um Gerüchte handle. Es dürfe jetzt in dieser Übergangsphase keine Maßnahmen geben, die präjudiziell wirken und die eine massive Umgliederung und Neuorientierung der Führungsstruktur bedeuten würden. Dies würde zu einer weiteren Verunsicherung im Offizierskorps führen. "Wir gehen auch davon aus, daß es sich wirklich nur um eine Übergangsphase handelt, bis ein Ressortminister gefunden wird, der das Innenministerium auf Dauer übernimmt und die Reformen entsprechend weiter betreut." Diese Übergangsphase dürfe nicht lange dauern.

 

 Schwere Regierungskrise innerhalb des ÖVP-Führungsteams
Van der Bellen: Schüssel steht vor Scherbenhaufen seines Führungsstils - Strasser-Rücktritt Höhepunkt der Instabilität der Regierung
Wien (grüne) - "Die ÖVP befindet sich in einer schweren Regierungskrise. Bundeskanzler Schüssel steht vor den Scherbenhaufen seines Führungsstils. Offenbar gibt es innerhalb der ÖVP-Führung grobe Differenzen, die das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Der Rücktritt des Innenministers ist - abgesehen von der katastrophalen Bilanz von Finanzminister Grasser und Bildungsministerin Gehrer - der bisherige Höhepunkt der Instabilität dieser Bundesregierung", kommentiert der Bundessprecher der Grünen, Alexander Van der Bellen, den Rücktritt von Innenminister Strasser. "Der Rücktritt des Innenministers dürfte weniger persönliche Gründe haben, sondern auf Meinungsverschiedenheiten in der Bundesregierung zurückzuführen sein. Strasser wollte nach eigenen Angaben offenbar ursprünglich bis Jänner 2005 im Amt bleiben und für eine geordnete Übergabe im Innenministerium sorgen. Schüssel hat noch vor der Pressekonferenz seines Innenminister Verteidigungsminister Platter - trotz aufklärungsbedürftiger Vorfälle in dessen Ressort - zum vorläufigen Nachfolger bestellt", so Van der Bellen.
     
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