Langfristig birgt ein EU-Beitritt der Türkei zwar wirtschaftliche Chancen, er muss aber politisch
und finanziell verkraftbar sein
Wien (pwk) - Auch wenn die EU-Chefs bei ihrem Gipfeltreffen am Donnerstag (16. 12.) grünes
Licht für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei geben werden, muss nach Ansicht der
Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) klar sein, dass sowohl die EU als auch die Türkei noch viel tun
müssen, um erweiterungsreif zu werden. „Von einem wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen birgt ein EU-Beitritt
der Türkei langfristig natürlich durchaus attraktive Chancen“, so WKÖ-Präsident Christoph Leitl.
Der Beitritt dürfe jedoch nicht die Handlungsfähigkeit der Union torpedieren. Und er müsse für
den europäischen Haushalt verkraftbar sein und vor allem von der europäischen Bevölkerung akzeptiert
werden.
Abgesehen von den großen politischen und wirtschaftlichen Reformen, die Ankara noch setzen muss, um sich
für eine Mitgliedschaft in der EU zu qualifizieren, brauche die EU selbst ein stabiles Fundament, um ein Mitglied
von der Größe und ökonomischen Tragweite der Türkei verkraften zu können. „Auf das vierte
Kopenhagener Kriterium – nämlich die interne Fähigkeit der EU, neue Mitglieder aufzunehmen – wird leider
oft vergessen“, sagte Leitl. Die Europäische Union bleibe jedoch nur dann ein Anziehungspunkt für aufstrebende
Demokratien und attraktiv für die eigene Bevölkerung, wenn sie das Versprechen, für wirtschaftlichen
Wohlstand zu sorgen, auch einlöst. „Das setzt voraus, dass Europa handlungs- und entscheidungsfähig bleibt.
Im Klartext: Ohne gültige europäische Verfassung ist ein EU-Beitritt der Türkei schlicht nicht möglich.“
Außerdem sei die Zustimmung der Europäerinnen und Europäer dringend notwendig, so der Wirtschaftskammer-Präsident:
„Das Europa-Projekt muss von den Bürgern getragen werden, sonst wird es langfristig keinen Bestand haben."
Leitl erinnerte zudem daran, dass die Türkei dank der bestehenden Zollunion mit der EU schon jetzt einen bevorzugten
Status genießt, wobei die ökonomische und politische Kooperation unabhängig von der Beitrittsfrage
rasch ausgebaut werden sollte. Im Hinblick auf die österreich-türkischen Wirtschaftsbeziehungen ortet
Leitl großes Potenzial. Der bilaterale Handel hat zuletzt kräftig zugelegt. Im Vorjahr beliefen sich
die österreichischen Importe aus der Türkei auf 700 Millionen Euro (+ 14 Prozent gegenüber 2002).
Das ergibt Platz 21 in der Importstatistik. Österreichs Ausfuhren in die Türkei betrugen knapp 705 Millionen
Euro (+ 27,2 Prozent) - macht ebenfalls Rang 21 unter den wichtigsten Exportdestinationen. Erfreulich ist, dass
die Exporte im ersten Halbjahr 2004 im Vergleich zu den ersten sechs Monaten 2003 abermals deutlich zugelegt haben
- nämlich um 25 Prozent auf 396 Millionen Euro.
Eine absolute Priorität für die österreichische Wirtschaft ist ein rascher EU-Beitritt Kroatiens.
„Ich appelliere an die EU-Chefs, noch im Frühjahr 2005 konkrete Beitrittsverhandlungen aufzunehmen“, sagte
Leitl. Der im Vorjahr gegenüber Kroatien erwirtschaftete Handelsbilanzüberschuss von rund 630 Millionen
Euro zählt zu den höchsten, die Österreich im Außenhandel überhaupt erzielt. Auch für
das laufende Jahr zeichnet sich eine überaus positive Bilanz ab: Von Jänner bis Juli 2004 haben Österreichs
Kroatien-Exporte um 18 Prozent 709 Millionen Euro zugelegt. Die Importe sind sogar um 43 Prozent auf 334 Millionen
Euro gestiegen. Mit Gesamtinvestitionen von knapp drei Milliarden Dollar seit 1993 ist Österreich zudem der
größte Auslandsinvestor Kroatiens. |