Verteidigungsausschuß debattiert Vorkommnisse im Bundesheer  

erstellt am
15. 12. 04

SP: Ausbildungskrise im Heer, Minister verspricht klare Regelungen
Wien (pk) - Der Landesverteidigungsausschuss hielt am Dienstag (14. 12.) unter dem Vorsitz seines Obmanns Reinhard Eugen Bösch (F) eine Aktuelle Aussprache zum Thema "Missstände in der Ausbildung" ab. Anlass waren die seit Tagen in der Öffentlichkeit diskutierten Vorwürfe wegen Übergriffen gegen Grundwehrdiener bei Geiselnahme-/ Geiselhaft-Übungen in den Bundesheerkasernen Freistadt, Landeck und Bludesch.

Bundesminister Günter Platter leitete die Aussprache mit einer chronologischen Darstellung der Ereignisse ein und unterstrich sein Bemühen um eine transparente Vorgangsweise. Er habe sofort klare Worte gefunden und umgehend die Staatsspitze sowie die Wehrsprecher der Parteien umfassend informiert, sagte Platter. Die auf einem Video festgehaltenen Ereignisse in Freistadt seien nach derzeitigem Erkenntnisstand "anders gelagert" als jene von Landeck und Bludesch. In Freistadt habe es sich um eine nicht angeordnete Übung gehandelt, die von zwei Unteroffizieren geführt wurde, bei der die Dienstaufsicht nicht wahrgenommen wurde und bei der es zu Handgreiflichkeiten gekommen sei. Die Grundwehrdiener seien nicht ausreichend informiert worden, sie wussten nicht, was auf sie zukomme und es sei kein "Ausstiegslosungswort" vereinbart worden.

Daher habe er die Ausbilder vom Dienst suspendiert, sagte der Verteidigungsminister. Die militärische Untersuchungskommission ermittle, ein Disziplinarverfahren sei eingeleitet, Gerichte und Staatsanwaltschaft seien bereits tätig.

In Landeck sei bei einer Übung eine mitternächtliche Gefangennahme inszeniert worden, wobei den Grundwehrdienern Mützen über den Kopf gezogen wurden. Die Übung dauerte fünf Stunden. Den Grundwehrdienern wurde aber der Zweck der Übung erklärt, ein Ausstiegslosungswort vereinbart, das ein Drittel der Soldaten in Anspruch nahm. Es habe zwar Fesselungen, aber keine tätlichen Übergriffe gegeben und die zuständigen Offiziere haben ihre Dienstaufsicht wahrgenommen; es habe sich überdies um eine klar angeordnete Übung gehandelt.

An der Übung in Bludesch haben Grundwehrdiener teilgenommen, die sich freiwillig für eine intensivere Ausbildung gemeldet haben sowie solche, die Interesse an einem Auslandseinsatz zeigten. Auch in Bludesch war ein Ausstiegslosungswort vereinbart.

Erhebungen der militärischen Untersuchungskommission über zwei Selbstmorde in den Jahren 2001 und 2002 haben keinerlei schikanöse Behandlung als Ursache der Selbsttötungen ergeben, teilte der Ressortleiter mit.

Der "verletzte" Grundwehrdiener, der auf einem Video zum Thema "Gefangennahme" zu sehen ist, sei ein Wehrdiener, der sich freiwillig als Schauspieler zur Verfügung gestellt habe. Die Verletzungen seien mit Schminke angefertigt. In diesem Fall sah der Minister nach derzeitigem Erkenntnisstand keine Notwendigkeit, Maßnahmen zu ergreifen.

Ohne Verantwortliche für Übergriffe entlasten zu wollen, machte der Minister auf die "unsichere Situation" aufmerksam, die für Ausbilder bestehe, weil Ausbildungsunterlagen für Geiselnahmeübungen einen Hinweis auf ein Merkblatt vom September 2002 enthalten, das nicht für die Ausbildung, sondern für den Einsatz gedacht sei. Grundwehrdiener seien von Geiselnahmeübungen aber ausdrücklich ausgenommen worden. Er habe daher nicht nur angeordnet, die Vorkommnisse zu untersuchen, sondern auch die Situation bei den Ausbildungsvorschriften.

In diesem Zusammenhang trat Minister Platter dafür ein, klar zwischen Grundwehrdienern und Kaderpersonal sowie Soldaten zu unterscheiden, die in Auslandseinsätze gehen. Da es vorkomme, dass Soldaten gefangen genommen wurden, sei es notwendig, diese Situation in die Ausbildung einzubeziehen. Der für das Ausbildungswesen zuständige Offizier im Ressort sei nicht vom Dienst, wohl aber von seiner Tätigkeit entbunden, bis die Untersuchungen abgeschlossen sein werden. Zudem setze sich die Bundesheer-Beschwerdekommission intensiv mit den Vorfällen auseinander. - Er habe sich bemüht transparent zu handeln, Maßnahmen zu setzen und nicht davor zurückgeschreckt, harte Konsequenzen zu setzen, sagte Minister Platter.

Abgeordneter Anton Gaal (S) würdigte die konstruktive Zusammenarbeit des Bundesministers mit der Bundesheerbeschwerdekommission und zeigte sich zuversichtlich, dass es über Parteigrenzen hinweg möglich sein werde, die für das Bundesheer negativen Fälle aufzuklären und abzuschließen. Die Ereignisse in Landeck und Bludesch haben gezeigt, dass Freistadt kein Einzelfall gewesen sei, er warne aber dennoch davor, vorschnell zu verallgemeinern, sagte Gaal und erinnerte an die hervorragende Leistung der Bundesheersoldaten im In- und Ausland, bei Katastropheneinsätzen sowie bei der Friedenssicherung. Es seien Mängel festgestellt worden, die behoben werden müssten, sagte der Wehrsprecher der SPÖ und verlangte eine Überarbeitung der Ausbildungspläne sowie klare Regelungen für die Ausbildung des Kaderpersonals einerseits und der Grundwehrdiener andererseits. "Geiselnahme/Geiselhaft-Übungen haben im Grundwehrdienst nichts verloren". Ein Interpretationsspielraum, den das vom Minister genannte Merkblatt eröffnet habe, sei in der Praxis "negativ ausgefüllt worden". Es sei dafür zu sorgen, dass künftig keine Verletzung der Menschenwürde in der Ausbildung mehr eintreten können, verlangte Gaal.

Abgeordneter Peter Pilz (G) stellte zunächst fest, dass Verstöße gegen die Menschenwürde nicht nur in Freistadt, sondern auch in Landeck und Bludesch stattgefunden haben und es daher unverständlich sei, dass der Minister nur in Freistadt Dienstsuspendierungen vorgenommen habe. Pilz verlangte "Suspendierungen noch heute".

Außerdem verwies Pilz auf weitere Merkblätter, in denen Bezug auf das vom Minister genannte Merkblatt genommen werde und verlangte, dass vom Ressort alles auf den Tisch gelegt werde. Pilz bezweifelte, dass der Kabinettschef des Ministers geeignet sei, die militärische Untersuchung zu führen. Pilz sah auch eine Verantwortung des Kabinetts des Bundesministers, da die Übung "Schutz 04" von vielen leitenden Beamten des Ressorts abgelehnt worden sei und nicht hätte stattfinden dürfen. Kritik übte Pilz auch daran, dass Generalmajor Segur-Cabanac in einer ersten Reaktion auf die Vorkommnisse in Freistadt von einem "Einzelfall" gesprochen habe.

Abgeordneter Walter Murauer (V) lobte die entschlossenen Reaktionen des Verteidigungsministers und bekannte sich dazu, alle Vorfälle aufzuklären. Murauer schloss sich Platter in der Einschätzung an, dass die Vorkommnisse in Landeck und Bludesch nicht mit jenen von Freistadt vergleichbar seien. Grundsätzlich meinte Murauer, man müsse Übungen durchführen, die dem eigenen Schutz der Soldaten dienen. Der Soldat müsse im Falle einer Geiselnahme analysieren können, was geschehe und wie er sich zu verhalten habe. Bei der Erfüllung internationaler Aufgaben können Soldaten in solche Situationen kommen. In der Ausbildung seien aber klare Unterscheidungen zwischen Grundwehrdienern und Kaderpersonal zu treffen.

Abgeordneter Werner Kummerer (S) wollte sich nicht nur mit den Vorfällen selbst, sondern auch mit dem Vorfeld der Ereignisse beschäftigen, zumal es genügend Fingerzeige gegeben habe, dass es in der Ausbildung nicht so laufe, wie es sollte. Kummerer machte darauf aufmerksam, dass es für Kompaniekommandanten schwierig sei, auf Grund von 290-Seiten starken Merkblättern praktische Entscheidungen zu treffen. Kummerer erinnerte aber gleichzeitig an einen Erlass aus dem Jahr 1995, der Fesselungen klar und eindeutig verbiete.

Abgeordneter Walter Tancsits (V) stellte fest, dass Übergriffe und Handgreiflichkeiten verfolgt und geahndet werden und auf Mängel in der Dienstaufsicht reagiert wurde. Der Verteidigungsausschuss sei aber keine Disziplinaroberkommission. Tancsits hielt fest, dass bei diesen Übungen über das Ziel hinausgegangen wurde, zumindest was Grundwehrdiener betrifft. Er sehe die Notwendigkeit solcher Ausbildungen für das Kaderpersonal und für Soldaten im Auslandseinsatz, nicht aber für Grundwehrdiener. Es sei offenbar nicht immer klar gewesen, welcher Zielgruppe was zu vermitteln sei. Tancsits warnte aber auch davor, bei der Disziplinarverfolgung über das Ziel zu schießen, sofern "in gutem Glauben mehr ausgebildet wurde". Man sollte nicht das falsche Signal geben, dass der bestraft werde, der mehr mache.

Abgeordneter Stefan Prähauser (S) hält den Versuch von Generalmajor Segur-Cabanac, die Ereignisse als einen Einzelfall darzustellen, für eine falsche Form der Aufarbeitung der Affäre, die sich das Bundesheer nicht verdiene. Es verbessere die Situation auch nicht, wenn versucht werde, die Verantwortung "nach unten" abzuschieben.

Auch für Abgeordneten Markus Fauland (F) hat das Bundesheer in der Öffentlichkeit einen Rückschlag erlitten. Fauland erinnerte daran, dass das Kommando der Landstreitkräfte klar befohlen habe, Grundwehrdiener nicht in Geiselnahme/Geiselhaft-Übungen einzubeziehen. Der Redner schloss sich der Einschätzung an, dass Soldaten im Auslandseinsatz nicht aber Grundwehrdiener mit Geiselnahme/Geiselhaft-Situationen konfrontiert werden sollen und plädierte für eine zielgruppenorientierte Ausbildung.

Auf die Fragen der Abgeordneten eingehend warnte der Verteidigungsminister vor Vorverurteilungen, ohne damit Fehler rechtfertigen zu wollen. Er habe angeordnet, die Ausbildungsvorschriften klar hinsichtlich des Kaderpersonals und der Grundwehrdiener zu trennen, um künftig Missverständnisse auszuschließen. Für eine endgültige Beurteilung der Ereignisse seien die Ermittlungen der Untersuchungskommission, der Staatsanwaltschaft und der Disziplinarkommission abzuwarten. Platter wiederholte aber, dass es im Unterschied zu Landeck und Bludesch nur in Freistadt zu Handgreiflichkeiten gekommen sei, in Freistadt kein Ausstiegslosungswort vereinbart wurde und dort auch keine Dienstaufsicht wahrgenommen wurde. Das oft zitierte Einsatzmerkblatt sei keine Ausbildungsrichtlinie. Dass solche Richtlinien fehlten, habe er bereits vor den Ereignissen kritisiert.

Abgeordneter Rudolf Parnigoni (S) konstatierte eine Krise des Ausbildungssystems beim Bundesheer, verlangte Maßnahmen gegen die Verstöße gegen die Menschenwürde in allen drei Kasernen.

Abgeordneter Peter Pilz (G) wies Verteidigungsminister Platter darauf hin, dass seit gestern eine neue Situation bestehe, weil der "Zielkatalog Allgemeine Basisausbildung", der ausschließlich für Grundwehrdiener gelte, beim Thema Geiselnahme und Gefangennahme einen Bezug zum genannten Merkblatt enthalte. Dafür trage der Bundesminister die persönliche Verantwortung. Pilz warf Platter auch vor, den Chef des Führungsstabes, der auf heeresinterne Beschwerden nicht reagiert habe, zu schützen und stellte die Frage, was das Kabinett des Bundesministers von den widerrechtlichen Fesselungen und Verstößen gegen die Menschenrechte und Menschenwürde gewusst habe.

Abgeordneter Werner Amon (V) zollte dem Verteidigungsminister Respekt für seine in höchstem Maß glaubwürdige Vorgangsweise und hielt es für zulässig, die Vorkommnisse in den drei Kasernen differenziert zu beurteilen. Geiselnahme/Geiselhaft-Übungen seien für Grundwehrdiener abzulehnen, sollen für Spezialkräfte aber nicht ausgeschlossen werden.

Abschließend führte Verteidigungsminister Günter Platter aus, dass das "Merkblatt für den Einsatz" Gegenstand von Untersuchungen, das Fesselungsverbot aus dem Jahr 1995 gültig sei und er die Ergebnisse der Bundesheerbeschwerdekommission sehr ernst nehmen werde.

Untersucht werden derzeit auch Hinweise aus dem April 2004 auf "Wildwuchs" bei der Ausbildung. Deshalb sei auch der Abteilungsleiter für das Ausbildungswesen bis zum Abschluss der Untersuchungen von diesem Dienst entbunden wurde.
     
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