Binnenmarkt: Kommission mahnt bei acht Mitglied- staaten Umsetzung von EU-Rechtsvorschriften an  

erstellt am
22. 12. 04

Brüssel (eu-int) - Die Kommission hat die Fortführung von insgesamt vierzehn Vertragsverletzungsverfahren gegen acht Mitgliedstaaten beschlossen. Sie will erreichen, dass die betreffenden Länder ihren Verpflichtungen zur Umsetzung von Binnenmarktvorschriften nachkommen, die das Europäische Parlament und der Rat verabschiedet haben. Die Vorschriften betreffen Finanzdienstleistungen, Rechnungslegung sowie die Anerkennung von Berufsqualifikationen. Die Kommission wird Griechenland, Frankreich und Luxemburg vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften verklagen, weil sie der Kommission keine Umsetzungsmaßnahmen für die Richtlinie über Finanzsicherheiten aus dem Jahr 2002 und die „Fair Value“-Richtlinie aus dem Jahr 2001 gemeldet haben. Mittels so genannter „mit Gründen versehener Stellungnahmen“ wird die Kommission außerdem weitere Mitgliedstaaten förmlich zur Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht auffordern. Im Falle der Niederlande betrifft dies die Richtlinie über Finanzsicherheiten, im Falle Deutschlands [und des Vereinigten Königreichs (für Gibraltar)] die „Fair Value“-Richtlinie. Die begründeten Stellungnahmen stellen die zweite Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 226 EG-Vertrag dar. Wenn die drei genannten Mitgliedstaaten binnen zwei Monaten keine zufrieden stellende Antwort geben, kann die Kommission die Fälle an den Gerichtshof verweisen. Im Übrigen wird die Kommission Belgien, Deutschland, Griechenland, Frankreich und Österreich vor dem Gerichtshof verklagen, weil diese Mitgliedstaaten die Richtlinie aus dem Jahr 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen nur unvollständig in ihre nationalen Rechtsordnungen überführt haben.

Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy kommentierte: „Auf diese Richtlinien hatten sich die Mitgliedstaaten im Rat geeinigt, damit der Binnenmarkt sein enormes Potenzial entfalten und mehr Wohlstand generieren kann. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Binnenmarktvorschriften pünktlich umzusetzen. Wenn sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen, machen sie Bürgern und Unternehmen in ganz Europa das Leben schwer. Auch die neue Kommission wird die Mitgliedstaaten nach besten Kräften dabei unterstützen, Rechtsvorschriften innerhalb der von ihnen selbst gesetzten Fristen in nationales Recht zu überführen. Wenn sie dies nicht tun, wird sich die Kommission aber auch nicht scheuen, beispielsweise den Gerichtshof anzurufen.“

Im Juli 2004 lag das mittlere Umsetzungsdefizit (Prozentsatz der Richtlinien, die nicht fristgerecht in innerstaatliches Recht umgesetzt wurden) für die gesamte EU bei 2,2%; (siehe IP/04/890).

Das Ziel, das die Staats- und Regierungschefs mehrfach auf Tagungen des Europäischen Rates vorgegeben haben, liegt bei 1,5%. Die nächsten Zahlen werden Anfang 2005 veröffentlicht.

Richtlinie über Finanzsicherheiten: Griechenland, Frankreich, Luxemburg und die Niederlande
Die Kommission hatte im Juli 2004 mit Gründen versehene Stellungnahmen an Griechenland, Frankreich und Luxemburg gerichtet (siehe IP/04/891). Nun hat sie beschlossen, diese Länder vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zu verklagen, weil sie die Richtlinie 2002/47/EG nicht in nationales Recht überführt haben. Darüber hinaus wird jetzt auch eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Niederlande gerichtet.

Diese Richtlinie hätte bis zum 27. Dezember 2003 von allen Mitgliedstaaten rechtskräftig umgesetzt werden müssen. Dass dies noch nicht überall geschehen ist, wirkt sich verzerrend und störend auf das harmonisierte System vereinfachter Finanzsicherheiten aus, das die Richtlinie eigentlich schaffen und gewährleisten sollte.

Die Richtlinie sorgt für einen klaren, EU-weit einheitlichen Rechtsrahmen, der das Kreditrisiko bei Finanzgeschäften durch die Bestellung von Wertpapieren und Barguthaben als Sicherheit begrenzt. Die Richtlinie zählt zu den Prioritäten des Aktionsplans für Finanzdienstleistungen, der wiederum ein Kernbestandteil der Lissabon-Strategie ist, mit der Europas Wirtschaft wettbewerbsfähiger gemacht werden soll. Finanzsicherheiten stellen in der EU schon heute einen riesigen Markt dar, auf dem der Wert der ausstehenden Vereinbarungen allein bei den Wertpapierpensionsgeschäften („Repos“) auf insgesamt etwa 2 Bio. € geschätzt wird.

Sicherheiten sind Vermögensgegenstände (z. B. Wertpapiere), die ein Kreditnehmer einem Kreditgeber zur Verfügung stellt, um für diesen - sollte der Kreditnehmer seine finanziellen Verpflichtungen nicht in vollem Umfang erfüllen können - das Risiko finanzieller Verluste zu verringern. Sie dienen auch als Schutz der beiden Parteien gegen Risiken z. B. bei Pensions- und Derivategeschäften. Vor Verabschiedung der Richtlinie waren die Marktteilnehmer in der Europäischen Union bei der Bestellung von Sicherheiten mit ganz unterschiedlichen Rechtsordnungen konfrontiert, was bei grenzübergreifenden Transaktionen Zweifel an der Verlässlichkeit der Sicherheiten weckte.

Zwar haben auch Schweden und Belgien die Richtlinie noch nicht umgesetzt, sie haben aber einen detaillierten Zeitplan bis zum Inkrafttreten der einschlägigen Gesetze vorgelegt. Die Kommission sieht daher im gegenwärtigen Stadium von einer Klageerhebung beim Gerichtshof ab, wird die Umsetzung aber aufmerksam verfolgen, um sicherzustellen, dass die beiden Länder ihre Zusagen einhalten. Italien, das im Juli 2004 bereits eine mit Gründen versehene Stellungnahme erhalten hatte, hat der Kommission inzwischen die Umsetzung der Richtlinie in innerstaatliches Recht mitgeteilt.

Rechnungslegung: Griechenland, Frankreich, Luxemburg, Deutschland und das Vereinigte Königreich
Die Kommission reicht Klage gegen Griechenland, Frankreich und Luxemburg beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ein, weil diese Länder versäumt haben, die „Fair Value“-Richtlinie (2001/65/EG) aus dem Jahr 2001 umzusetzen, und auf die begründete Stellungnahme vom Juli 2004 (siehe IP/04/984) keine zufrieden stellende Antwort gegeben haben. Darüber hinaus hat die Kommission jetzt auch Deutschland und das Vereinigte Königreich für Gibraltar in begründeten Stellungnahmen ermahnt, die Richtlinie umzusetzen.

Mit der „Fair Value“-Richtlinie werden drei bestehende Rechnungslegungsrichtlinien geändert: die Richtlinien über den Jahresabschluss (78/660/EWG), über den konsolidierten Abschluss (83/349/EWG) und über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten (86/635/EWG). Diese Richtlinien legen fest, welche Unternehmenstypen Abschlüsse vorlegen müssen, in welcher Form die Gewinn- und Verlustrechnungen sowie die Bilanzen zu präsentieren sind und welche Bewertungsregeln zugrunde zu legen sind. Darüber hinaus schreiben die Richtlinien vor, wie die Abschlüsse offen zu legen sind.

Nach der neuen Richtlinie 2001/65/EG müssen die Mitgliedstaaten erlauben oder vorschreiben, dass alle Unternehmen oder bestimmte Unternehmenstypen bestimmte Finanzinstrumente, unter anderem Derivate, mit dem „Fair Value“ ansetzen. Sie gleicht die Bestimmungen der Rechnungslegungsrichtlinien an die derzeit geltenden internationalen Bewertungsstandards für Finanzinstrumente an. Wenn sie nicht fristgerecht in der ganzen EU angewendet wird, könnten unterschiedliche Rechnungslegungsvorschriften und -möglichkeiten zu ungleichen Voraussetzungen für die Unternehmen in der EU führen, womit es für Investoren schwieriger würde, Unternehmensergebnisse zu vergleichen.

Belgien, Irland, die Niederlande und Finnland, die ebenfalls im Juli 2004 eine mit Gründen versehene Stellungnahme erhielten, haben die Richtlinie inzwischen in nationales Recht überführt oder werden dies in Kürze tun.

Anerkennung von Berufsqualifikationen: Belgien, Deutschland, Griechenland, Frankreich und Österreich
Die Kommission reicht Klage gegen Belgien, Deutschland, Griechenland, Frankreich und Österreich beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ein, weil diese Mitgliedstaaten der Kommission lediglich einen Teil der nationalen Maßnahmen gemeldet haben, die zur Umsetzung der Richtlinie 2001/19/EG über die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen erforderlich sind.

Die Mitgliedstaaten hatten sich bei der Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie auf den 1. Januar 2003 geeinigt. Die Richtlinie ist Teil der „SLIM“-Initiative zur Vereinfachung der Binnenmarktvorschriften. Mit ihr wird es wesentlich einfacher, die Verzeichnisse der nationalen Qualifikationen, die in anderen Mitgliedstaaten automatisch anerkannt werden können, auf dem aktuellsten Stand zu halten; außerdem wird die allgemeine Regelung zur Anerkennung von Berufsqualifikationen damit neu gefasst.

Solange die Richtlinie nicht von allen Mitgliedstaaten vollständig umgesetzt wurde, können manche Personen nicht so einfach und rasch, wie es eigentlich der Fall sein sollte, von ihrem Recht Gebrauch machen, mit ihrer im Heimatland erworbenen Qualifikation eine Arbeit in anderen EU-Mitgliedstaaten aufzunehmen.

Gleichzeitig wird dort das Dienstleistungsangebot eingeschränkt, weil die Kunden weniger Wahlmöglichkeiten haben.
     
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