EP-Berichterstatterin Evelyne Gebhardt im ÖGZ-Interview - Gefahr
der Liberalisierung der Daseinsvorsorge durch die Hintertür
Wien (rk) - In einem Interview mit der Österreichischen Gemeinde-Zeitung (ÖGZ-Ausgabe 01/2005)
hat sich die zuständige Berichterstatterin im Europäischen Parlament, Evelyne Gebhardt (SPD), zur geplanten
EU-Dienstleistungsrichtlinie gegen den vorliegenden Vorschlag der EU-Kommission ausgesprochen. Die EU- Kommission
plant nämlich, dass in Zukunft das sogenannte Herkunftslandprinzip bei der Erbringung von Dienstleistungen
gilt. Im Klartext: Egal, wo in der Gemeinschaft der Dienstleistungserbringer tätig wird - es gilt das Recht
jenes Landes, in dem der Dienstleister beheimatet ist, mit allen damit verbundenen Konsequenzen.
"Die Europäische Kommission hat einen Weg gewählt, den ich für falsch halte", meinte Gebhardt
"Am besten wäre es, wenn die Kommission ihren Vorschlag zurückziehen und überarbeiten würde."
Gebhardt lehnt das Herkunftslandprinzip eindeutig ab, insbesondere mit Blick auf so heikle Bereiche wie die sozialen
Dienste und die kommunale Leistungserbringung. "Man kann nicht einfach so umgehen mit all diesen Bereichen,
die in die Daseinsvorsorge hineingehören."
Liberalisierung der Daseinsvorsorge durch die Hintertür
Gebhardt erkennt hier die Gefahr einer Liberalisierung der Daseinsvorsorge durch die Hintertür, eine
Einschätzung, die auch zahlreiche Kritiker teilen. "Nach der Definition, die im Vorschlag enthalten ist,
gilt diese Richtlinie ja für alle Dienste, die gegen Entgelt gemacht werden. D.h., es wird praktisch definiert,
dass Dienstleistungen im allgemeinen Interesse solche sind, die nicht entgeltlich gemacht werden. Allerdings sind
viele Dienste, die in den Kommunen erbracht werden - öffentlicher Nahverkehr, Krankenhäuser, Abfallwirtschaft,
Wasserversorgung usw. - natürlich und auch richtigerweise gegen Gebühr. Das bedeutet, dass diese Bereiche,
die eigentlich zur Daseinsvorsorge gehören, plötzlich dem freien Markt zugeführt und als Dienstleistungen
gewertet werden", erklärte die EU-Abgeordnete.
Gebhardt: "Solange das Herkunftslandprinzip besteht, ist diese Richtlinie problematisch. Es steht zwar nirgends,
dass soziale Rechte abgebaut werden müssen. Aber wenn wir dann viele schwarze Schafe kriegen, die sich in
dem Land niederlassen, wo die geringsten sozialen Rechte oder Umweltnormen gelten, dann ist die Gefahr groß,
dass dieser unfaire Wettbewerb ein Herabziehen dieser Rechte in den anderen Staaten bewirkt."
Bewusstseinsbildung in den Kommunen wichtig
Die Parlamentsberichterstatterin mahnte vor allem eine intensive Beschäftigung mit dieser Materie
in den Städten und Gemeinden ein. "In vielen Ländern haben die Gemeinden noch gar nicht richtig
kapiert, was da auf sie zukommen könnte, wenn wir das so belassen wie es jetzt ist."
Gebhardt wird als Berichterstatterin im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz im Jänner ein
überarbeitetes Arbeitsdokument vorlegen. Im März ist die Vorlage eines Berichtsentwurfs im Ausschuss
geplant, auf dessen Basis das Europäische Parlament eine Stellungnahme abgeben wird. Ministerrat und EU-Parlament
müssen in dieser Frage gemeinsam entscheiden. Der EU-Ministerrat hat sich mit der Materie erstmals Ende November
2004 beschäftigt.
Weiters in der aktuellen ÖGZ-Ausgabe 01/2005: Ein umfassender Hintergrundbeitrag zum Finanzausgleich 2005-2008
von Anton Matzinger (BMF), ein Bericht von Städtebund-Generalsekretär Erich Pramböck zur Wahl von
Bürgermeister und Städtebund-Präsident Michael Häupl zum neuen Präsidenten des Rates der
Gemeinden und Regionen Europas, ein Interview mit Post-Vorstand Herbert Götz zu Ersatzlösungen für
Postämter-Schließungen sowie ein Gastkommentar von Univ.-Prof. Herbert Walther, der dem "Märchen
von der Beamtenrepublik Österreich" entgegentritt. |