Nationalratspräsident bei Auftaktveranstaltung zum Jubiläumsjahr
Wien (pk) - Aus dem "Land, das keiner wollte", sei "Österreich ein Staat geworden,
den alle wollen", Österreich sei "zur Nation geworden, an die seine Bürgerinnen und Bürger
glauben, die sie lieben". Wenn acht Millionen Menschen in einem Europa der 500 Millionen "als Kultur-
und Schicksalsgemeinschaft bestehen wollen, so brauchen sie den Grundkonsens aller Kräfte in einer reich gegliederten
Bürgergesellschaft". Das sagte Nationalratspräsident Andreas Khol am Freitag (14. 01.) bei
der Auftaktveranstaltung zum Jubiläumsjahr 2005 im Parlament.
Zu Beginn der Veranstaltung im historischen Sitzungssaal des Parlaments hatten die Teilnehmer in einer Trauerminute
der Opfer der Flutkatastrophe in Asien gedacht. Diese Katastrophe habe die Grenzen menschlicher Vorhaben gezeigt,
sagte Nationalratspräsident Khol einleitend: "Was wir als vermeintliche Herren der Welt, der Technik,
der planbaren Vorgänge allzu gerne verdrängen, ist uns grausam vor Augen geführt worden: die Naturgewalten
haben wir nicht im Griff", sagte Khol. "Naturkatastrophen sind unabwendbar: Wir kennen nicht den Tag
und nicht die Stunde." Der Nationalratspräsident weiter: "Einem Naturereignis dieser Dimension
stehen wir Menschen alle gleichermaßen hilflos gegenüber. Wir werden niemals eine Erklärung, einen
Sinn in diesem Leid finden, vielleicht gewinnen wir aber eine neue Solidarität in der Welt." Khol sprach
in diesem Zusammenhang auch von Trauer über die Toten, Dank an die Helfer, Hoffnung für die Vermissten
und Mitleid für die Angehörigen der Opfer, "deren Schmerz wir verstehen, aber nicht wirklich lindern
können."
Nach dem Trauerakt eröffnete Nationalratspräsident Andreas Khol das Jubiläumsjahr 2005. In seiner
Rede bewegte er sich von der Vergangenheit - Woher kommen wir eigentlich? - über die Gegenwart - Wo stehen
wir heute? - in die Zukunft: Wohin gehen wir?
Österreich komme "aus den Ruinen des Jahres 1945, den Trümmern unserer Städte und Dörfer,
aus den Trümmern unserer Gesellschaft nach Wirtschaftszusammenbruch und Bürgerkrieg, dem Ende der Demokratie
und den Verbrechen des Nationalsozialismus", sagte Präsident Khol. Österreich heute sei "ein
Staat geworden, den alle wollen. Die Bürgerinnen und Bürger, alle politischen Kräfte, haben ihn
gemeinsam erarbeitet". Dieser Staat sei gestaltet von einer parlamentarischen Demokratie, die auf dem Grundkonsens
aller beruhe und die "im Wertefundament einer blühenden und vielfältigen Bürgergesellschaft
verankert ist. Wirtschaftlich erfolgreich steht die Republik mit ihrer Lebensqualität für alle an der
Spitze der Welt". Österreich sei zur Nation geworden, an die seine Bürgerinnen und Bürger glauben,
die sie lieben. Als Mitglied der EU habe Österreich seine Rolle gefunden. "Heute können wir stolz
sagen, dass wir zu jedem unserer Nachbarstaaten so gute Beziehungen haben wie nie zuvor in der Geschichte."
Zur Zukunft übergehend, betone Khol, "im Viereck von niedriger Geburtenrate, gefährdeter Integration,
steigender Neubürgerrate und notwendiger Homogenität müssen die Antworten für eine weiter bestehende
gesellschaftliche Kohäsion ständig erarbeitet werden. Österreich müsse seinen Beitrag zum Frieden
vor der Haustür - Khol nannte den Kosovo und die Balkanstaaten - bestimmen. Der Wirtschafts- und Arbeitsstandort
müsse "laufend verbessert" werden; Ziel sei ein menschengerechter Weg, geprägt durch eine Synthese
von Markt und Gemeinwohl. Und Nationalratspräsident Khol schloss: "Vieles ist zu bedenken im Gedankenjahr
2005, das heute beginnt. Tun wir es intensiv und gemeinsam: gewappnet für das Unerwartete, bereit zur Veränderung,
mit gemeinsamen Werten als Kompass unseres Tuns."
Das Gedenken an die Flutopfer und die Auftaktveranstaltung zum Jubiläumsjahr 2005 fand im historischen Sitzungssaal
des Parlaments statt. Dieser Saal, in dem ursprünglich das Abgeordnetenhaus des ehemaligen Reichsrates tagte,
ist einer der historisch symbolträchtigsten Orte Österreichs. Im "Reichsratssitzungssaal",
wie er kurz genannt wird, trafen Ende April 1945 die Mitglieder der Provisorischen Staatsregierung unter dem Vorsitz
von Karl Renner zu ihrer ersten Sitzung zusammen; in dicken Mänteln, wie die Photos zeigen, weil an eine Beheizung
des schwer beschädigten Parlamentsgebäudes damals nicht zu denken war. Ebenfalls in diesem Saal konstituierte
sich am 19. Dezember 1945 der erste Nationalrat der Zweiten Republik und nahm seine gesetzgeberische und kontrollierende
Arbeit für die wiedererstandene Republik auf. An diesem Ort, wo so vieles von dem begann, was anlässlich
runder Jahrestage in den kommenden Monaten gefeiert werden soll - "60 Jahre Zweite Republik", "50
Jahre Staatsvertrag" und "10 Jahre EU-Mitgliedschaft" - eröffnete Nationalratspräsident
Andreas Khol heute die Reihe der Jubiläumsfeierlichkeiten des Jahres 2005. |