Wien (staedtische) - Die Veranstaltungsreihe "Architektur im Ringturm" präsentiert vom 28.
Jänner bis 11. März 2005 die Metropole Prag als „Stadt der hundert Passagen“. Besonders im Zuge der Modernisierung
im 20. Jahrhundert sind in Prag eine Vielzahl von Passagen und Durchhäusern von einzigartiger architektonischer
Qualität entstanden. Die Ausstellung
Jirí Grossmann-Passage 1993–96
Josef Vrana (*1939)
© Petr Zhor |
präsentiert die architektonisch wertvollsten Passagen in der Alt- und Neustadt.
„Man kann durch ganze Stadtteile Prags gehen, ohne die offene Straße zu etwas anderem als zum bloßen
Überschreiten zu benutzen,“ so Egon Erwin Kisch in seiner „Monografie der Durchhäuser“.
Wesen einer Passage
Der Durchgang oder das Durchhaus - bereits aus dem Mittelalter bekannt - erfüllt eine einfache innerstädtische
Verbindungsfunktion (meist für Fußgänger). Durchgänge - jahrhundertelang an der Stelle der
späteren Passagen stehend - bildeten in der Altstadt Prags ein dichtes Netz.
Die Prager Passage ist ein Durchgang durch ein Stadthaus oder eine Blockbebauung und auf private oder öffentliche
Zwecke ausgerichtet, wie Wohnen, Handel, Kultur und Geselligkeit. Im Tschechischen werden diese Stadthäuser
- charakterisiert durch verschiedene Funktionen und meist mehrstöckige Innenfassaden mit Glasdächern
- „Palais“ genannt und entsprechen der französischen „Galerie“.
Die Stadthäuser wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtet, um die ausgedehnten Parzellen der von Karl
IV. gegründeten Neustadt nicht allein an ihren Bebauungsrändern öffentlich zu nutzen. Manche Passagen
- vor allem in den Außenbezirken - wurden durch Mietshäuser angelegt und mit einer Ladenstraße
kombiniert.
Die Prager Passagen standen im Zeichen der rasanten Entwicklung auf dem Gebiet der Architektur, des Handels und
der Kultur. Aus der reinen Ladenstraße wurde die Prominade und in der Folge der Vorplatz zu den Tempeln der
Unterhaltungskultur: Kabarett, Theater, Konzert und Kino.
Zeit der Moderne
Zu Anfang des 20. Jahrhunderts setzte in Prag der Wandel in eine moderne Metropole ein. Durch den Umbau
des einstigen Rossmarktes zum Wenzelsplatz entstanden neue Häuser und erste Passagen in der Neustadt, wie
etwa die Passage des Hotels Ambassador (1912-14, Richard Klenka z Vlastimilu, František Weyr), verbunden durch
einen Garten mit dem Palais Sylva-Taroucca. Die barockreiche Frontseite mit Mansardendach und formenreichen Giebeln
kündigte Elemente des Art Déco an. In der Passage mit Kassettendecken und Mosaikfußboden befanden
sich Kino, Kasino und Kabarett.
Die Passage des Palais Koruna (1914) mit Perlkrone und mystischen Statuen stellte eine Art weltliche Basilika mit
Läden, Wohnungen und Plätzen zum Verweilen dar. Architekt Antonin Pfeiffer holte sich für Palais
und Passage Anregungen in Paris, Brüssel, Budapest und Prag und schuf ein Prunkstück der tschechischen
Moderne und einen der landesweit ersten Stahlbetonbauten im geometrisierenden Jugendstil. Das Palais barg Geschäfte,
Büroräume, ein Café mit Galerie, unter der Erde sogar ein Lichtspielhaus und eine Schwimmhalle.
Prager Passagen waren Ausdruck einer neuen Ästhetik, in der sich vielfach Naivität mit intellektueller
Kultiviertheit mischte. Passagenräume wurde zum festen Bestandteil des Architekturtyps Stadtpalais und fügten
sich ins Stadtbild ein. Das berühmte Kaufhaus U Nováku (1904) wurde in den 1920iger Jahren zum Musterbeispiel
eines großstädtischen Palais. Es wurde von Architekt Osvald Polívka, Koryphäe der tschechischen
Jugendstilarchitektur, umgebaut und kombinierte Gastronomie, Kommerz und Kultur.
Blütezeit. In der Blütezeit glänzten die Prager Passagen von Pracht, Einfallsreichtum und Innovationen.
Das Palais Lucerna im historisch-synthetischen Stil mit maurischen Elementen (1907-21, Vácslav Havel, Stanislav
Bechyne() gab sich vornehmlich als Kulturtempel mit Kabarett, Lichtspielhaus mit den ersten Tonfilmvorführungen
Prags und einem ebenso bekannten Musiksaal. Der Erbauer Vácslav Havel, Großvater des Ex-Präsidenten,
wollte diesen Bau als Palais im Sinne des modernen gesellschaftlichen Lebens gestalten. Einzigartig im Großen
Saal ist die Aufhängung der Eisenbetondecke von Stanislav Bechyne(.
Durch die Vernetzung der Passagen Rokoko, Lucerna und U Nováku entstand das ausgedehnteste Palastlabyrinth
Prags.
In den 1920er Jahren, der Zeit der neugegründeten Ersten Republik, wurde der Rondokubismus als Nationalstil
ins Leben gerufen. Verbreitung fand auch Art Dèco. In der Außengestaltung des Palais Adria (1922-25,
Josef Zasche, Pavel Janák) verschmelzen die Nachempfindung eines italienischen Palazzo pubblico mit Formen
des Nationalstils zu einem wirksamen Ganzen. Sein Schöpfer, Pavel Janák, zeichnete 1929 auch für
die Spiegelpassage verantwortlich, angeregt durch „Lichtwunder der Gegenwart“. Das Palais prunkte von außen
z.B. mit bossierten Pfeilern und antikisierenden Pilastern und innen mit Luxusgeschäften. In der sinnbetörenden
Passage flimmerte es in gold und weiß auf Grund zart weißer Opaxitflächen und Spiegelfassungen
aus Messing.
Die nüchterne Signatur des frühen funktionalistischen Konstruktivismus mit detailbetonten Formen kam
im Palais Fénix mit der gleichnamigen Passage (1927-29, Friedrich Ehrmann, Josef Goc(ár) zum Ausdruck.
In den 1930iger Jahren erlebte der Funktionalismus mit seinen Glas- und Stahlbetonbauten seine Hochblüte.
Den Auftakt bildeten die Häuser Lindt (1927) und Bat’a (1928-30). Ludvík Kysela schuf die seinerzeit
fortschrittlichsten, mit Passagen ausgestatteten Bauten Prags. Er wandte bahnbrechend die Stahlbetonskelettbauweise
an und schuf Glasfassadenaufgänge für die Kaufhäuser Lindt und Bat’a.
Neue Häuser lösten in jener Zeit alte Baudenkmäler ohne Sentimentalität ab. So entstand etwa
die - inzwischen wieder geschlossene - Bat’a Passage an der Stelle des barocken Bürgerhauses „Zum weißen
Hahn“ mit modernen Errungenschaften: kleine Trinkwasserbrunnen und einem damals seltenen öffentlichen Telefon.
Den Höhepunkt des Funktionalismus bildeten dann die Passage Broadway mit Schaufenstern in verchromten Rahmen,
Spiegelflächen und gerundeten Eckfenstern (1936-38, Antonín C(erný, Bohumí Kozák)
und die Passage „Zur Schwarzen Rose“ (1928-32, Oldr(ich Tyl) im Kaufhaus Bondy - eine Perle des Prager Konstruktivismus
(drei Etagen und Hallen mit Umgängen, preußische Kappen und Glasbetonsteine mit Glasscheiben).
Für die beginnenden 1930iger bis 40iger Jahre steht etwa das Kunstgewerbehaus (1934-38, Oldr(ich Starý,
František Zelenka). Der Palast verkörperte die Ideale der Zeit: Transparenz, Schwerelosigkeit, maschinelle
Schönheit. Elegant glatte Wände der Passagenhalle, Lichteffekte und Verglasung lassen Außen- und
Innenraum ineinander fließen. In Eugen Rosenbergs Merkur-Passage (1037-38) harmonierte die Ästhetik
der Vergangenheit mit der technischen Invention: eine Kombination kühler Materialien wie Marmor, Chromstahl
und Glas, Markisen und Hallen mit Stahlbetongewölben. An das Durchhaus mit mittelalterlichem Kern erinnert
ein kleines Renaissanceportal.
Die 1990iger Jahre zeigen nach einer historisch bedingten Zäsur von beinahe fünfzig Jahren wieder freien
Unternehmergeist und große Baulust. Manche Passagen wurden mit unterschiedlichem Maß an Pietät
renoviert. Die Rathpassage (A.D.N.S., Václav Alda, Petr Dvor(ák, Martin Ne(mec, Jan Stempel, 1996)
etwa stellt eine gelungene Kombination von Überlieferung und Innovation dar. Neu gebaute Handels- und Verwaltungszentren
orientieren sich an der Architektur der passagenreichen Stadtpalais. Auch die neu gebaute Hrzán-Geschäfts-Passage
(Pavel Boc(ek, Jan Kasl, A-projekt, 1996) mit seiner barocken Frontseite besticht durch die Harmonie historischer
Elemente und moderner Formen.
Die vielen Gesichter der Passagen. Die Existenz von Passagen hatte von Anfang an insbesondere das ästhetische
Denken stimuliert und die Entstehung neuer Kulturformen begünstigt. Die junge Filmkunst brauchte Lichtspielhäuser
und Passagen schienen dafür wie geschaffen. So befand sich eines der ersten Prager Kinos (1909) im Palais
Lucerna. Passagen zeichneten sich aber nicht nur durch ästhetische Reize aus - es gab Kaffeehäuser, Kabaretts
und Theater. In der Adria-Passage befanden sich die Lichtspiele, das berühmte Theater Laterna Magica und der
Klub der Filmemacher, die zur Legende wurden.
Bis 1938 entstanden in Prag 40 Passagen. Mit der Zeit änderte sich aber auch die Soziologie der Besucher:
hedonistische Lebenskünstler wurden in der Zeit der wirtschaftlichen Rezession von Hektikern verdrängt.
Ein Beispiel für diesen Wandel ist die Koruna-Passage, eine der bekanntesten Adressen der Stadt. Das Barockhaus
mit Kaffehaus, in dem tschechische Intellektuelle in der Zeit der nationalen Emanzipation verkehrten, wich einem
Jugendstilpalais mit Passage und Kaffeehaus, das in der konjunkturschwachen Zeit zum „Automat", einem ersten
Schnellimbiss, umfunktioniert wurde. Der Architekt L. Machon (wurde durch diese Apotheose des maschinellen Funktionalismus
dermaßen berühmt, dass er den Auftrag für ein ähnliches Bauvorhaben in London erhielt. Das
glänzende technizistische Prager Wunder wurde mit den Jahren blind. Der „Automat Koruna“, heute nur mehr eine
literarische Legende, fiel dem Ausbau der Prager U-Bahn zum Opfer.
Die Ausstellung: Die Ausstellung „Passagen aus Prag“ zeigt die Lage der Passagen in Übersichtsplänen.
Jede Passage wird mit mehreren Fotos und Texten ausführlich dargestellt. Ein großes Modell gibt Einblick
in die städtebauliche Lage wichtiger Verbindungen.
Katalog (in tschechischer und deutscher Sprache): Prager Passagen. Begleiter für Flaneure, Passanten und/oder
Touristen; Michaela Brozová, Ivo Hanel; EURO ART, Prag 2000; 88 Seiten mit zahlreichen Abbildungen; Preis:
12 Euro.
Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag: 9.00 bis 18.00 Uhr; freier Eintritt
Donnerstag bis 19.30 Uhr |