Brüssel (eu-int) - Berichterstatter Richard CORBETT (SPE, UK)
erklärte, dass man nach der Erweiterung der EU das "Fahrzeug der EU" von einem Kleinbus für
15 Leute auf einen Großbus für 25 Leute nachrüsten müsse. Ein größerer Bus verlange
aber auch einen stärkeren Motor, damit man auch hügelige Wege befahren könne. Ebenso verlange ein
größerer Bus stärkere Bremsen, mehr Sicherheit und mehr Komfort sowie ein Positionierungsprogramm,
mit dem man feststellen könne, wo man sich auf dem Weg befinde.
Die EU brauche demnach neue Regeln durch eine neue Verfassung. Diese biete vier große Verbesserungen:
- Eine größere Klarheit darüber, was die EU sei und wie sie funktioniere. Unter anderem durch
einen einheitlichen Vertrag, anstatt vieler Verträge, der die Zuständigkeiten genau definiere.
- Eine effizientere Union, z. B. durch mehr qualifizierte Mehrheitsentscheidungen oder durch einen Außenminister,
der für die EU spreche.
- Mehr Demokratie und mehr Rechenschaftspflicht der EU, indem z. B. alle Gesetzesentwürfe zunächst
an die nationalen Parlamente zur Überprüfung gingen.
- Neue Rechte für die Bürger der EU durch die Charta der Grundrechte.
All dies führe zu dem Schluss, dass die Verfassung eine große Verbesserung gegenüber den bisherigen
Verträgen darstelle und daher die Zustimmung des Parlaments verdiene. Natürlich sei die Verfassung ein
Kompromiss, aber als solcher ein großer Fortschritt. Durch die Zustimmung des Parlaments werde man ein starkes
Signal an die Außenwelt senden.
Íñigo MÉNDEZ DE VIGO (EVP-ED, ES) sagte, dass die EU früher eine Vision
gewesen sei, man aber jetzt Frieden auf dem Kontinent habe und nun alle für ein Europa der Demokratie und
der Solidarität zusammenträten. Mit der Verfassung werde das alte Kriegsbeil begraben. Die Staaten würden
dadurch nicht geschwächt, sondern die nationalen Parlamente würden gestärkt. Die EU sei nicht nur
ein Markt; es gehe vielmehr um menschliche Würde auf Grundlage der Charta der Grundrechte. Méndez de
Vigo betonte das Mehr an Demokratie und Transparenz, das die Verfassung schaffe und erinnerte an all die Menschen,
die für das gekämpft hätten, was heute Wirklichkeit geworden sei. Man habe einen langen Weg hinter
sich und könne nun stolz auf die Verfassung sein, die eine neue Ära auf dem europäischen Kontinent
einleiten werde.
Vertreter des Rates:
Für den Vertreter der luxemburgischen Ratspräsidentschaft, Außenminister Nicolas SCHMIT,
ist die im Konvent geleistete Arbeit herausragend und historisch. Das Signal, das das EP abgeben werde, sei auch
ein Signal für die Bürger. Die Verfassung sei eine Verfassung für die Bürger, diese zögen
aus ihr der größten Nutzen. Der Vertrag bestätige, dass sich die Union auf gemeinsame Werte gründe
und nicht mehr nur eine wirtschaftliche und politische Union sei.
Es sei nun die Aufgabe jedes Mitgliedstaates, jeder Regierung und jedes Parlaments, dafür zu sorgen, dass
die Verfassung zum vorgesehenen Datum in Kraft treten könne.
Vertreterin der Kommission:
Laut Kommissarin Margot WALLSTRÖM wäre die Verfassung nicht ohne das Europäische
Parlament möglich gewesen. Dieses habe eine wesentliche Rolle gespielt, u. a. durch Beiträge im Konvent.
Wallström begrüßte den Bericht. Die Kommission schließe sich den Schlussfolgerungen an. Rechte
und Pflichten der EU seien in einem Dokument dargestellt. Dadurch werde die EU offener und einfacher zu verstehen
sein. Sie werde demokratischer. Das Ergebnis sei der bestmögliche Kompromiss in der derzeitigen politischen
Lage. Die Verfassung sei kein perfekter Text, man müsse auf begründete Anliegen reagieren.
Die Verfassung müsse nun ratifiziert werden. Die Debatte dürfe nicht durch Missverständnisse und
Mythen gefährdet werden. Man müsse jetzt deutlich zeigen, welchen Einfluss die Verfassung auf den Alltag
der Bürger haben werde. Hier gehe es beispielsweise um die Aufnahme der Grundrechtecharta, die Verstärkung
der demokratischen Rechenschaftspflicht, die Modernisierung in den Bereichen Justiz und Sicherheit sowie um eine
führende Rolle der EU in humanitärer und Wiederaufbauhilfe. Neue Bestimmungen im Katastrophenschutz würden
es erlauben, in Zukunft die internationale Hilfe effizienter zu gestalten. Die Kommission habe eine Website eingerichtet
und verschiedenen Initiativen zur Information über die Verfassung unterstützt. Man müsse verstärkt
informieren. Man müsse prüfen, ob man gemeinsame Veröffentlichungen herausgeben könne oder
gemeinsame Medienereignisse. Man müsse den Mitgliedstaaten bei der Erarbeitung ihrer Informationskampagnen
helfen.
Vertreter der Fraktionen:
Hans-Gert POETTERING (EVP-ED, DE) sagte, man sei einen weiten Weg gegangen. Der EVP-Teil seiner
Fraktion sage ohne Einschränkung Ja zur Verfassung, der ED-Teil habe das Recht, anders abzustimmen.
Er begrüße es, dass viele der Werte, wie die Würde des Menschen, älterer Menschen und von
Kindern, in der Verfassung beschrieben seien. Die Werte, die uns verbinden, seien das Entscheidende. Viele Mitglieder
seiner Fraktion hätten einen Gottesbezug in der Verfassung begrüßt, hätten es begrüßt,
wenn das christlich-jüdische Erbe aufgenommen worden wäre.
Er begrüße es, dass von nationaler Identität die Regel sei. Es werde zum Ausdruck gebracht, dass
die Nationalstaaten die Grundlage seien; der subsidiäre Aufbau Europas komme zum Ausdruck. Jean Monet habe
gesagt: "Nichts ist möglich ohne Menschen, nichts dauerhaft ohne Institutionen." Diesem stimme er
zu. Das Gestaltungsprinzip dürfe nicht die Regierungszusammenarbeit sein, sondern müsse sich auf die
Gemeinschaftsmethode gründen. Man brauche ein starkes Europäisches Parlament, eine starke Kommission
sowie einen transparent handelnden Ministerrat.
Vieles in der Verfassung habe Programmcharakter, sei also noch zu verwirklichen. Hierzu gehörten die Nachbarschafts-
und die Außenpolitik. Die EU insgesamt müsse in den Vereinten Nationen vertreten sein.
Martin SCHULZ (SPE, DE) erklärte, die EU sei eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen in der
Welt suche. Die Gründung der Gemeinschaft für Kohle und Stahl sei direkte Folge des Zweiten Weltkriegs
gewesen. Zu Beginn habe sie die Nachkriegszeit im Blick gehabt, in den nächsten Schritten seien zunächst
die Überwindung faschistischer Diktaturen, danach der kommunistischen Unterdrückung enorme Erfolge gewesen.
Man habe es geschafft, das faschistische und kommunistische Erbe Europas auf der Basis der Grundrechtecharta zu
verändern. Die Überwindung nationalstaatlicher Grenzen sei notwendig, um den Herausforderungen des 21.
Jahrhunderts zu begegnen.
Seine Fraktion werde dem Bericht die Zustimmung geben. Die in der Verfassung festgelegten Werte seien zivile Werte.
Sie seien universal und unteilbar und daher gültig für alle, ob christlich, jüdisch, muslimisch
oder nicht gläubig. Die Union müsse ihren sozialen Auftrag, den Schutz des einzelnen Bürgers vor
den Gefahren in der Welt garantieren.
Es reiche jedoch nicht, dass sich das EP für die Verfassung engagiere. Die Staats- und Regierungschefs sowie
die Außenminister müssten vor dem Volk genauso auftreten und die Verfassung als ein Werk derjenigen,
die für die Zukunft Europas eintreten, vermitteln.
Andrew DUFF (ALDE/ADLE, UK) erklärte, dass das Parlament diesmal an der Entstehung des Vertrags
über eine Verfassung für Europa beteiligt gewesen sei, und dass man daher keine Kritik äußern
könne. Alle Mitglieder seiner Fraktion würden sich also für die Entschließung äußern
und sich überall dort, wo in den Mitgliedstaaten Referenden geplant sind, für das Inkrafttreten der Verfassung
einsetzten.
Das Hauptargument für das Reformwerk sei die daraus resultierende Stärkung der EU - sei es, im Ausland
tätig zu werden, oder sei es die Stärkung der nationalen Saaten. Die Verfassung definiere die EU neu.
Sie schaffe ein Gleichgewicht zwischen den alten und den neuen Mitgliedstaaten, zwischen den Bürgern und den
Behörden. Die Verfassung sei zwischen Traum und Realität angesiedelt und bilde einen neuen Konsens.
Ohne starke Regeln, ohne starkes Parlament und Demokratie könne die Union nicht existieren. Ohne starke Institutionen
und die Verfassung könne sie nicht funktionieren. Man müsse nun Verantwortung übernehmen für
das Funktionieren der neuen Regelungen. Die Verfassung sei auch für die Bürger da, weshalb die Ratifizierung
unterstützt werden sollte.
Laut Monica FRASSONI (GRÜNE/EFA, IT) ist die Mehrheit der Fraktion der Grünen für
die Verfassung. Zwar weise die Verfassung verschiedene Mängel auf, aber es gehe hier um die Schaffung gemeinsamer
Werte und die Einhaltung der internationalen Rechtsnormen. Insgesamt würden die Kompetenzen dadurch klarer
definiert.
Es gebe dennoch gewisse Lücken - die EU entspreche noch nicht überall den an sie gerichteten Anforderungen.
Viele Änderungen am Verfassungstext hätten zu Verschlechterungen geführt. Zwar entstehe kein europäischer
Superstaat, aber der Integrierungsprozess sei allein durch die Verfassung nicht abgeschlossen. Das institutionelle
System der Union werde einer weiteren Erweiterung nicht standhalten. Trotz allem sei die Verfassung aber besser
als die Nizza-Verträge. Frassoni forderte eine Weiterentwicklung der Verfassung und die Möglichkeit einer
Reform. Die Verfassung bilde eine wichtige Grundlage für die Zukunft, die jedoch verbesserungsfähig sei.
Francis WURTZ (KVEL/NGL, FR) erklärte, der Bericht konzentriere sich auf neue Bestimmungen,
wie die Dauer der Ratspräsidentschaft von 2 ½ Jahren, einen europäischen Außenminister sowie
die Rolle der nationalen Parlamente. Wenn sich der Text hierauf beschränken würde, könne man dafür
stimmen, denn seine Fraktion sei für Europa, für gemeinschaftliche Strukturen. Die Frage sei allerdings,
welche Strukturen man brauche. Europa sei am Besten geeignet, im Rahmen der Globalisierung auf Probleme zu antworten.
Ziele seiner Fraktion seien, dass Europa dafür eintritt, die Rechte der Bürger, der Arbeitnehmer durchzusetzen.
Als internationaler Akteur müsse sich Europa dafür einsetzen, den Krieg als Mittel der Regelung der Weltprobleme
gänzlich auszuschließen. Es müsse sich für eine Nord-Südpartnerschaft einsetzen.
Man sei gegen die Verfassung, da sie die Bestimmungen wiederhole, die eine solche Vision Europas verhinderten,
z. B. die Bestimmungen im Wettbewerb, Bestimmungen über Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Man brauche keine Propaganda, sondern eine echte Evaluierung der letzten Jahre. In diesen sei der Graben zwischen
den Bürgern und der EU größer geworden. Dies werde nicht vom Bericht hervorgehoben. Deswegen sei
man gegen den Bericht und gegen die Verfassung. Bei dem Nein handele es sich jedoch um ein europäisches Nein.
Laut Philippe de VILLIERS (IND/DEM, FR) geht in der Verfassung das Wort Souveränität verloren.
Ein anderes Wort komme hinzu, das des europäischen Gesetzes. Ein Gesetz sei jedoch ein Symbol der nationalen
Souveränität. Die Verfassung schließe eine mögliche Opposition eines Volkes gegen seine nationalen
Interessen aus. Sie schaffe eine Bürokratie in Brüssel, die sich Befugnisse eines Staates anmaße.
Die nationalen Demokratien und Parlamente würden geschwächt.
Brian CROWLEY (UEN, IE) sagte, nun müssten die Mitgliedstaaten ratifizieren, diese müssten
darüber bestimmen, wo die Debatten stattfinden würden. In der Verfassung würden dieselben Themen
aufgetischt, wie auch in den vergangenen Verträgen. Bei dem Grundgesetz der EU handele es sich um ein gutes
Dokument, es werde genau festgelegt, wer für etwas zuständig sei. Die Debatte müsse auf der Grundlage
der Wahrheit stattfinden, auf der Grundlage dessen, was in der Verfassung stehe.
Jim ALLISTER (FL, UK) erläuterte, das Hohe Haus werde in Euphorie die Verfassung annehmen, das
letzte Wort bleibe aber bei den Mitgliedstaaten. In der Debatte im Vereinigten Königreich mache man den Wählern
vor, dass es sich nur um eine kleine Bereinigung der Mängel handele. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die Europhilen
hätten im konstitutionellen Ausschuss ihre Ziele verfolgt und hierfür alle Mittel eingesetzt. Sie verhehlten
nicht, dass sie Europa verstärken wollten, ohne lästige nationale Konsultation.
Die Verfassung sei der Anfang eines europäischen Superstaats, der sich über die Mitgliedstaaten setze
und die letzten Befugnisse der Mitgliedstaaten abbaue.
Richard CORBETT (SPE, UK) und Íñigo MÉNDEZ DE VIGO (EVP-ED, ES)
Vertrag über eine Verfassung für Europa
Dok.: A6-0070/2004
Verfahren: Initiativbericht
Aussprache: 11.01.2005
Abstimmung: 12.01.2005, 12.00 Uhr
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