Rede bei Widerstandssymposion: "Amnestie" setzt Unrecht voraus
Wien (pk) - Bundespräsident Heinz Fischer bezeichnete in seiner Rede beim Symposion "Widerstand
in Österreich 1938 - 1945" im Parlament Gedenktage als Marksteine der historischen Entwicklung mit Relevanz
für die Zukunft. Es sei daher wichtig, das Jubiläumsjahr 2005 nicht als eine "Choreographie des
Jubels" zu sehen, sondern nachdenklich und lernbereit auf das Erreichte zurückzublicken. Das erfordere
auch, in die dunkle Zeit der nationalsozialistischen Diktatur hinabzutauchen, als es ein Verbrechen war, sich Österreich
als einen eigenen Staat zu wünschen, Jude zu sein oder eine ausländische Radiostation zu hören.
Daher müssen wir nach den Menschen forschen, die ihren Glauben an andere Werte unter Gefahr ihres Lebens aufrecht
erhalten und oft auch mit ihrem Leben und dem ihrer Angehörigen bezahlt haben. Zudem gelte es, jene in unsere
Rückbesinnung einzubeziehen, die diesem Regime den Dienst verweigerten und gegen dieses Regime tätig
wurden, den Widerstand in- und außerhalb Österreichs, den Widerstand in der Wehrmacht und den Widerstand
des Gewissens.
Warum so viele Jahre verstreichen mussten, bis angemessene Antworten auf Fragen nach dem militärischen und
zivilen Widerstand gegeben wurden, sei schwierig zu beantworten. Der Übergang von einer so brutalen Diktatur
wie der NS-Herrschaft zu einer demokratischen Mehrparteienrepublik sei ein komplexes Ereignis mit Hunderttausenden
Einzelentscheidungen gewesen, die nachträglich nicht einfach zu beurteilen seien. In diesem Zusammenhang zitierte
der Bundespräsident Solschenizyn, der einmal schrieb, die Grenze zwischen gut und böse gingen oft mitten
durch das Herz ein und desselben Menschen. So sei die Grenzziehung zwischen denen, die trotz politischer Verfehlungen
wieder voll und ganz in unser demokratisches Gemeinwesen integriert werden konnten, und jenen, wo das nicht hätte
stattfinden dürfen, außerordentlich schwierig. Auf der anderen Seite haben sich nicht wenige Widerstandskämpfer
nach 1945 nicht akzeptiert und oft ausgegrenzt gefühlt oder sich zumindest um eine Anerkennung ihrer Tätigkeit
im Widerstand gebracht gefühlt. Viele, die Hab und Gut, Verwandte und Freunde zurückgelassen haben, um
in der Emigration ihr Leben zu retten, haben nach dem Krieg vergeblich auf eine Einladung zur Rückkehr in
die alte Heimat gewartet.
Der Bundespräsident ging dann speziell auf die Gruppe der Deserteure aus der Hitler-Armee ein und hielt die
Forderung für berechtigt, trotz der so genannten Befreiungsamnestie von 1946, alle Urteile der Wehrmachtsjustiz
und vergleichbarer Sondergerichte wegen Desertion, Wehrdienstverweigerung, Fahnenflucht, Hochverrat etc. durch
einen demonstrativen Akt des Gesetzgebers aufzuheben. Als einen der vielen guten Gründe dafür nannte
Fischer, dass der Ausdruck "Befreiungsamnestie" auf einen Gnadenakt hinweise, der in diesem Zusammenhang
unpassend sei, weil es nicht um Amnestierung eines begangenen Unrechts, sondern um eine neue Sicht auf den Widerstand
in der Hitler-Armee geht. Desertion aus der Hitler-Armee könne mit der Desertion aus der Armee eines demokratischen
Staates nicht verglichen werden, hielt der Bundespräsident fest.
In seinen weiteren Ausführungen machte der Bundespräsident darauf aufmerksam, dass im Widerstand Menschen
unterschiedlichster Wertehaltungen vereint waren, Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberale, Christdemokraten und
Monarchisten. Sie bildeten zunächst nur eine kleine Minderheit, hatten später aber mehr Zulauf und wurden
nach dem Fehlschlag des 20. Juli 1944 mit besonderer Brutalität verfolgt. Der Mut dieser Männer und Frauen,
gegen das Unrechtsregime des Nationalsozialismus aktiv zu werden, verdiene Anerkennung, Respekt und dankbare Aufmerksamkeit,
sagte Bundespräsident Heinz Fischer und erinnerte seinerseits daran, dass den in der Moskauer Deklaration
vom Oktober 1943 angesprochenen eigenen Beitrag Österreichs zu seiner Befreiung vor allem jene Österreicherinnen
und Österreicher geleistet haben, die im Widerstand waren. Ihr Ziel, ein unabhängiges Österreich,
ist Wirklichkeit geworden. Es sei daher gut und richtig, dass wir uns gerade heute, im Gedenkjahr 2005 auch zum
Widerstand gegen den Nationalsozialismus bekennen und damit beschäftigen, betonte Fischer. |