Wien (pk) - Bundeskanzler Wolfgang Schüssel stellte seinen Ausführungen
zum Widerstand 1938 bis 1945 den Gedanken voran, Sich-Nicht-Erinnern würde heißen, vor der Vergangenheit
zu fliehen und könnte bedeuten, Gegenwart und Zukunft zu verspielen. Im Mittelpunkt der heutigen Tagung, die
gemeinsam von SPÖ und ÖVP unter aktiver Teilnahme der anderen Parteien veranstaltet werde, stehe die
Frage, was damals eigentlich geschehen sei. In den ersten vier Monaten des Jahres 1945 habe das NS-Regime noch
brutale Vergeltungsschläge gegen den Widerstand geführt, sagte der Bundeskanzler und leitetet dann zur
Würdigung des Beitrags über, den der Widerstand für die Befreiung Österreichs leistete, obwohl
die Schwierigkeiten enorm waren. Denn das NS-Regime besaß Zugriff auf alle Institutionen und hatte bereits
im Jahr 1938 die führenden Politiker Österreichs in Konzentrationslager gebracht.
Lange Zeit sei in der historischen Betrachtung die Opferrolle Österreichs im Vordergrund gestanden. Tatsächlich
haben auch Österreicher Schuld auf sich geladen, was erst später ins Zentrum der Betrachtung gerückt
wurde. Heute werde dies offen ausgesprochen. Es sei aber auch wichtig, sich die positive Mitverantwortung vor Augen
zu halten und an den österreichischen Widerstand zu denken, da die Alliierten in der Moskauer Deklaration
festgehalten haben, dass Österreich für die Teilnahme am Krieg an der Seite Hitler-Deutschlands eine
Verantwortung trage, "der es nicht entrinnen kann", und dass anlässlich der endgültigen Abrechung
Bedacht darauf zu nehmen sein werde, wie viel Österreich selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben werde.
Der Bundeskanzler würdigte die Gewissensentscheidung der Widerstandskämpfer, ihren Mut, ja ihre Tollkühnheit,
sich gegen die NS-Mordmaschine zu stellen. Der österreichische Widerstand sei kein Monopol bestimmter Gruppen
gewesen, er wurde von Kommunisten, Sozialdemokraten, bürgerlichen Gruppen, Monarchisten und Legitimisten getragen,
sagte Schüssel und hob insbesondere den Oberösterreicher Franz Jägerstätter hervor, der sich
aus religiösen Gründen weigerte, den Wehrdienst zu leisten. Widerstand sei auch keine Frage des Standes,
des Alters und des Geschlechts gewesen: Arbeiter, Bauern, Künstler, Priester, Aristokraten, Junge und Alte,
Männer und Frauen haben sich am Widerstand beteiligt. Die Wehrdienstverweigerung ist ebenso zu nennen wie
der Schutz, den Menschen auf eigene Gefahr Verfolgten gaben.
Der ersten Regierung Figl haben 12 maßgeblich Verfolgte angehört, erinnerte der Bundeskanzler und machte
darauf aufmerksam, dass es nach 1945 wenig Hass und Rache gab, sondern vielmehr den Versuch, den Minderbelasteten
die Hand zu reichen und die Gruppen, die im Widerstand vereinigt waren, als Nukleus eines gemeinsamen neuen Österreich
zu nehmen. Der Bundeskanzler schloss mit einem Zitat Emile Ciorans, der Gott bat, ihn vor dem "großen
Hass" zu bewahren sowie darum, einen "Strahl" in die Nacht des Hasses zu schleudern. Dies sei die
eigentliche Botschaft des österreichischen Widerstandes, ein positiver Lichtstrahl, der in eine sehr schwierige
Zeit gefallen sei. |